Erneut

EuGH: Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Das Urteil war zu erwarten: Der Euro­päi­sche Gerichtshof (EuGH) hat geur­teilt, dass die deut­sche Vorrats­daten­spei­che­rung gegen EU-Recht verstößt.
Von mit Material von dpa

Dieses Urteil war zu erwarten: Wieder einmal hat der Euro­päi­sche Gerichtshof (EuGH) heute geur­teilt, dass die deut­sche Rege­lung zur Vorrats­daten­spei­che­rung im Wesent­lichen gegen EU-Recht verstößt. Die Rege­lung liegt seit 2017 auf Eis. Die Vorrats­daten­spei­che­rung beschäf­tigte seit Jahren Gerichte und spaltet die Gemüter immer wieder. Erneut hat der EuGH über die umstrit­tene Rege­lung entschieden. Versteht die Politik endlich, dass die Vorrats­daten­spei­che­rung ein NoGo ist?

Das Urteil könnte für weiteren Zwist in der deut­schen rot-grün-gelben Regie­rungs­koali­tion sorgen.

Wer muss was wie lange spei­chern?

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg spricht regelmäßig wegweisende Urteile Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg spricht regelmäßig wegweisende Urteile
Foto: Picture Alliance/dpa
Schon immer war die soge­nannte "Vorrats­daten­spei­che­rung" hoch umstritten. Es geht seit Jahren um die Frage, ob Inter­net­pro­vider und Tele­kom­muni­kati­ons­anbieter die Daten ihrer Kunden - also beispiels­weise IP-Adressen und Rufnum­mern - für den Zugriff von Behörden abspei­chern müssen. Das sieht das aktu­elle Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz vor, das in diesem Punkt derzeit auf Eis liegt.

Sicher­heits­poli­tiker suchen zentrales Instru­ment

Während Sicher­heits­poli­tiker darin ein zentrales Instru­ment im Kampf gegen orga­nisierte Krimi­nalität, Kinder­por­nografie und Terro­rismus sehen, halten Bürger­rechtler und Verbrau­cher­schützer das für einen unzu­läs­sigen Eingriff in die Privat­sphäre.

Die Vorge­schichte

Hinter­grund des aktu­ellen Urteils ist ein Rechts­streit der Bundes­netz­agentur mit dem Inter­net­pro­vider SpaceNet und der Telekom (Rechts­sachen C-793/19, SpaceNet und C-794/19 Telekom Deutsch­land, C-140/20, C-339/20, C-397/20), die sich gegen die Spei­cher­pflicht im Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz wehren. Die Bundes­netz­agentur hatte diese Rege­lung bereits 2017 auf Eis gelegt, nachdem das Ober­ver­wal­tungs­gericht Münster entschieden hatte, dass SpaceNet nicht zur Spei­che­rung der Daten verpflichtet werden darf. Dazu hatte das Bundes­ver­wal­tungs­gericht eine Pres­semit­tei­lung veröf­fent­licht. Das war wenige Tage, bevor die neue Regel eigent­lich in Kraft treten sollte.

EuGH entscheidet erneut dagegen

Nun hat der EuGH wieder einmal darüber entschieden. Schon in den vergan­genen Jahren hat der EuGH regel­mäßig über die Vorrats­daten­spei­che­rung in verschie­denen Ländern geur­teilt und die natio­nalen Rege­lungen meis­tens gekippt. Die Linie der Richter war und ist dabei recht eindeutig: Das anlass­lose Spei­chern von Kommu­nika­tions­daten verstößt demnach grund­sätz­lich gegen EU-Recht. Punkt!

Akute Bedro­hung der natio­nalen Sicher­heit?

Eine kleine Ausnahme gilt bei einer akuten Bedro­hung der natio­nalen Sicher­heit. In diesem Fall kann eine zeit­lich begrenzte, begrün­dete Daten­spei­che­rung zulässig sein. Der Begriff der natio­nalen Sicher­heit wird aber eng gefasst: Erst im April 2022 entschied der EuGH zur Vorrats­daten­spei­che­rung in Irland, dass schwere Straf­taten wie Mord nicht darunter fallen. In seinem Gutachten zum vorlie­genden deut­schen Fall bekräf­tigte der EuGH-Gene­ral­anwalt die vorhe­rigen Urteile und stärkte die Posi­tion von Daten­schüt­zern. Der Einschät­zung des Gene­ral­anwalts folgt der Gerichtshof oft, aber nicht immer.

Diskus­sions­stoff für Koali­tion

Nach dem Urteils­spruch ist klar, dass es in der Koali­tion schwierig werden wird, hier eine gemein­same Linie zu finden. Bereits in den Koali­tions­ver­hand­lungen hatte die FDP mit Macht auf eine Verein­barung zur Abkehr von der Vorrats­daten­spei­che­rung gedrungen.

Die Grünen sehen dieses Instru­ment eben­falls kritisch. Anders posi­tio­niert sich Bundes­innen­minis­terin Nancy Faeser. Die SPD-Poli­tikerin hatte kürz­lich beim Jahres­emp­fang der Sicher­heits­behörden betont, Polizei und Verfas­sungs­schutz bräuchten Eingriffs­befug­nisse auf der Höhe der Zeit. Im Koali­tions­ver­trag von SPD, Grünen und FDP landete im vergan­genen Herbst schließ­lich eine Formu­lie­rung, die viele Fragen offen lässt.

Dort heißt es: "Ange­sichts der gegen­wär­tigen recht­lichen Unsi­cher­heit, des bevor­ste­henden Urteils des Euro­päi­schen Gerichts­hofs und der daraus resul­tie­renden sicher­heits­poli­tischen Heraus­for­derungen werden wir die Rege­lungen zur Vorrats­daten­spei­che­rung so ausge­stalten, dass Daten rechts­sicher anlass­bezogen und durch rich­ter­lichen Beschluss gespei­chert werden können."

Für FDP-Frak­tions­vize Konstantin Kuhle ist klar: "Die anlass­lose Vorrats­daten­spei­che­rung ist ein totes Pferd, von dem auch die Bundes­innen­minis­terin schnell absteigen sollte." Er findet: "Pauschal alle Verbin­dungs­daten aller Menschen zu spei­chern, passt nicht in eine libe­rale Demo­kratie." Schließ­lich sei der Schutz der Bürger­rechte ein gemein­sames Anliegen der Ampel-Koali­tion, dem sich alle Koali­tions­partner verpflichtet fühlen sollten.

Busch­mann setzt auf Quick Freeze

Auch Bundes­jus­tiz­minister Marco Busch­mann (FDP) ist ein entschie­dener Gegner der Vorrats­daten­spei­che­rung. Er setzt statt­dessen auf ein Quick-Freeze-Verfahren mit Rich­ter­vor­behalt. Das bedeutet, dass ein Tele­kom­muni­kati­ons­anbieter auf rich­ter­liche Anord­nung bei einem Anfangs­ver­dacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeit­raum spei­chern müsste. Dieses Verfahren hat auch der EuGH in den vergan­genen Jahren als recht­mäßig beur­teilt.

Im Koali­tions­ver­trag ist Quick Freeze aller­dings nicht explizit erwähnt. Viele Ermittler halten dieses Verfahren für keine brauch­bare Alter­native zur Vorrats­daten­spei­che­rung - etwa wenn es darum geht, Menschen aufzu­spüren, die im Internet Darstel­lungen vom sexu­ellen Miss­brauch an Kindern und Jugend­lichen tauschen.

Urteile des EuGH haben große Auswir­kungen auf den Markt. So wurde deswegen das StreamOn Angebot der Telekom und der Voda­fone Pass verboten.

Mehr zum Thema Europäischer Gerichtshof