Editorial: Wo darf Werbung stehen?
Wo darf E-Mail-Werbung stehen?
Foto: Telekom, Montage: teltarif.de
Es ist zur Gewohnheit geworden: Wenn wir bei Google nach
dem neuesten Smartphone oder nach einem Gesundheitsproblem
suchen, dann kommen Werbeanzeigen von Händlern, wo wir dieses
Smartphone kaufen können, oder von Ärzten, die dieses Problem gerne
behandeln würden, noch vor den ersten natürlichen Suchtreffern.
Oftmals sind diese Anzeigen natürlichen Suchtreffern recht ähnlich.
Entsprechend hoch ist die Verwechslungsgefahr.
Noch kritischer ist Werbung, die sich sogar innerhalb von Ergebnislisten versteckt: Erst zwei echte Treffer, dann wieder ein gekaufter Link - den wird ein relativ hoher Anteil der Nutzer trotzdem für echt halten. Ein solcher Fall landete schon vor Jahren vor Gericht: Das Städtische Werk Lauf an der Pegnitz bemängelte, dass der konkurrierende Stromanbieter Eprimo bei T-Online Werbeanzeigen innerhalb der E-Mail-Ergebnisliste positionierte. Nutzer, die gerade ihre E-Mails anzeigten, könnten diese mit legitimen E-Mails eines Stromanbieters verwechseln.
Der EuGH verglich nun solche Inbox-Werbung mit unzulässigen Spam-E-Mails. Ohne ausdrückliche Einwilligung des Nutzers seien solche Anzeigen daher unzulässig. Der Fall geht damit zurück zum BGH, der jetzt prüfen muss, ob es eine wirksame Einwilligung der T-Online-Nutzer gab.
Irgendwann willigt der Nutzer doch ein
Wo darf E-Mail-Werbung stehen?
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Am Ende wird wahrscheinlich ein Pyrrhus-Sieg für Lauf an der Pegnitz
stehen: Sie werden eine Unterlassungserklärung von T-Online erhalten,
Nutzern ohne vorherigen Zustimmung keine Inbox-Werbung mehr zu zeigen.
T-Online wird hingegen dieser Tage damit beginnen, sich ebendiese
Zustimmung von ihren Nutzern zu holen. Und schon in wenigen Wochen
werden sie 70 bis 80 Prozent Zustimmung haben. Die verbleibenden
20 bis 30 Prozent sind hingegen die besonders aufmerksamen Nutzer,
bei denen diese Form der Werbung eh am wenigsten wirkt.
Wir kennen alle diese Cookie-Zustimmungsbanner, die man immer dann bekommt, wenn man eine neue Seite erstmalig besucht. Klickt man "ja", sieht man die Banner nie wieder. Klickt man "nein", wird man nach drei bis sechs Monaten erneut gefragt. Wer nicht jedes Mal aufpasst, und irgendwann mal falsch klickt, hat dann seine Zustimmung auf Dauer gegeben. Denn den Button, um nachträglich doch wieder die Zustimmung zu widerrufen, nutzt so gut wie keiner.
Die großen Netzwerke (Google, Facebook, Apple, Amazon usw.) haben dann noch den Vorteil, dass man die Accounts oft geräteübergreifend nutzt. Es ist Google ja egal, ob man die Zustimmung für Tracking und Unterbrecher-Werbung beim Einloggen in das Google-Konto auf dem Laptop oder bei der Installation eines Android-Smart-TV gegeben hat. Die einmalige Zustimmung wird natürlich dauerhaft gespeichert. Eine Frist, nach der die Zustimmung überprüft werden muss, ist bisher nicht vorgesehen.
Wiedervorlage in fünf bis zehn Jahren
In etlichen Jahren landet wahrscheinlich ein erneuter Vorlagebeschluss beim EuGH, mit dem ein nationales oberstes Gericht (es muss nicht unbedingt der BGH sein) anfragen lässt, ob die Zustimmung zur Inbox-Werbung auch dann wirksam ist, wenn man diese gleichzeitig mit der Cookie-Zustimmung und der Zustimmung zur inhaltlichen Analyse der übertragenen E-Mails zur Optimierung der Werbung abgegeben hat. Vermutlich wird die Antwort dann erneut verbraucherfreundlich "nein" lauten. Vermutlich werden dennoch zwischen dem letzten und dem nächsten EuGH-Urteil eine Billion Inbox-Werbeanzeigen ausgeliefert worden sein: Die EU hat knapp eine halbe Milliarde Einwohner. Wenn jeder Einwohner durchschnittlich am Tag eine Inbox-Anzeige sieht, dann ist nach 2000 Tagen, also fünfeinhalb Jahren, die Billion voll.
Zwar gibt es viele Nutzer, die ihre E-Mail per werbefreier App lesen, aber auch diese bekommen in nicht geringer Zahl Inbox-Werbung in Form von vom E-Mail-Anbieter im Auftrag oder in Kooperation mit Dritten versendeten Werbe-E-Mails. GMX wirbt in den Nachrichten des "GMX Magazins" beispielsweise mit gewisser Regelmäßigkeit für ein dreimonatiges kostenloses Testabo des Musik-Dienstes "Deezer Premium" und mit deutlich höherer Frequenz für die konzerneigenen Stromtarife von 1&1 Energy. Da letztere nun wirklich nichts mit dem Service rund um den E-Mail-Dienst zu tun haben, sind sie ebenfalls als Werbung einzustufen - selbst, wenn sie für eigene Produkte des Konzerns werben.
Sicher gibt es auch Nutzer, die auch für private E-Mails ein kostenpflichtiges, komplett werbefreies E-Mail-Postfach bei einem professionellen E-Mail-Anbieter verwenden, oder die komplett auf E-Mail verzichten, und daher keine Inbox-Werbung erhalten. Diese dürften aber im Vergleich zu der Zahl der Freemail-User, die mehrfach am Tag ihre Nachrichten checken und so auch mehrfach am Tag mit Inbox-Werbung konfrontiert sind, doch in der Minderheit sein.
Und so wird sich an der Praxis der Inbox-Werbung in den kommenden Jahren insgesamt nicht viel ändern. Nur die Dokumentation der Zustimmung der Nutzer wird etwas penibler erfolgen als bisher.