Zero Rating

Editorial: Netzneutralität oder nicht?

Zero-Rating ist bei den Kunden beliebt, weil sie ihre Lieb­lings­dienste günstig nutzen können. Jedoch wider­spricht es dem Neutra­litäts­prinzip. Besser wäre mehr Volumen für alle Dienste
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Zero Rating verletzt Netzneutralität Zero Rating verletzt Netzneutralität
Foto/Grafik: Vodafone, Logo: Telekom, Montage: teltarif.de
Würde in Deutsch­land ein Netz­betreiber auf die Idee kommen, die Inhalte bestimmter Websites - zum Beispiel Porno­seiten und bestimmte unlieb­same Medien - im Netz zu behin­dern, würden alle sofort "Zensur" und "China, China" rufen. Der Netz­betreiber wäre einem image­schä­digendem Shit­storm ausge­setzt, der ihn wohl ziem­lich schnell zum Zurück­rudern zwingen würde.

Die Netz­neu­tra­lität - also die gleich­berech­tigte Weiter­lei­tung aller Inter­net­pakete - ist in Europa ein hoch­geschätztes Gut. Und dennoch verstoßen viele Anbieter seit Jahren syste­matisch dagegen, ohne dass deswegen groß was passiert. Der EuGH spricht sogar wieder­holt Urteile, dass die Netz­neu­tra­lität verletzt ist, insbe­son­dere im September 2020 und in gleich drei Verfahren im September 2021. Und daran gibt es auch nichts zu rütteln, nichts zu deuteln und nichts zu drehen oder wenden. Wie von mir bereits vor einem Jahr kommen­tiert, ist es nicht netz­neu­tral, wenn YouTube-Videos in bestimmten Tarifen kosten­frei gestreamt werden können, die Online-Lektionen einer Fernuni aber beispiels­weise nicht. "Neutral" heißt, dass alle Pakete gleich behan­delt werden. Wenn aber bestimmte Pakete den Volu­men­zähler weiter­laufen lassen und andere nicht, dann ist das nicht neutral.

Pakete dürfen nach Tarif ungleich behan­delt werden, nicht nach Herkunft

Zero Rating verletzt Netzneutralität Zero Rating verletzt Netzneutralität
Foto/Grafik: Vodafone, Logo: Telekom, Montage: teltarif.de
Zulässig und akzep­tiert ist eine Ungleich­behand­lung in Abhän­gig­keit des gewählten Tarifs und des gewählten Diensts. Wer ein 10-GB-Paket gebucht hat, bei dem schlägt logi­scher­weise die Dros­selung zu, sobald diese 10 GB verbraucht sind. Wer ein 20-GB-Paket hat, darf nach 10 GB Daten­ver­brauch noch mit vollem Tempo weiter­surfen. Verschie­dene Tarife sehen auch verschie­dene maxi­male Über­tra­gungs­geschwin­dig­keiten vor oder erlauben bzw. verbieten die Nutzung von 5G. Das ist alles ok.

Auch Flat­rates, bei denen man unbe­grenzt streamen kann, sind mit der Netz­neu­tra­lität vereinbar. Verletzt wird die Netz­neu­tra­lität erst dadurch, dass Voda­fone Pass und Telekom StreamOn den Zugang zu einer Liste von Ange­boten kostenlos machen und für alle anderen zahlen lassen. Es gibt also einen exklu­siven Zirkel von Anbie­tern, deren Pakete beim Gebüh­ren­zähler anders behan­delt werden.

Legal ist hingegen, wie bereits geschrieben, die Ungleich­behand­lung aller Pakete aller Inhal­tean­bieter in Abhän­gig­keit vom Tarif. Statt "StreamOn" könnten die Netz­betreiber beispiels­weise ein StreamOffPeak-Paket einführen, bei dem die Kunden kostenlos freie Netz­kapa­zitäten nutzen können, aber der kosten­lose Stream dann eben unzu­ver­läs­siger ist als der kosten­pflich­tige. Nutzer könnten zwischen beiden Vari­anten hin- und herschalten - und das unab­hängig davon, ob sie nun YouTube, Netflix oder Börsen­kurse streamen.

Nächste Runde

Nur: Ruckelnde YouTube-Streams und lange Lade­zeiten von Social-Media-Seiten im OffPeak-Modus sind weder im Inter­esse der Nutzer noch von Google oder Face­book. Und so haben Telekom und Voda­fone schon vor dem (erwart­baren) EuGH-Urteil vorge­sorgt und die AGB ihrer Dienste leicht abge­ändert, um nun erklären zu können: "Wir sind ja gar nicht betroffen, weil das Urteil bezieht sich auf die alten StreamOn- und Voda­fone-Pass-Ange­bote".

Dieses Argu­ment ist formal richtig. Nur: Auch die neuen StreamOn- und Voda­fone-Pass-Vari­anten werden in abseh­barer Zeit vor dem EuGH schei­tern, weil das oben erläu­terte Grund­pro­blem, die endliche Ausnah­meliste vom Gebüh­ren­zähler, bestehen bleibt. Doch so lange die Netz­neu­tra­lität zwar in den einschlä­gigen EU-Richt­linien steht, ihre Verlet­zung aber keine Strafe kostet, geht das Hase-und-Igel-Spiel weiter: Noch bevor die jewei­lige Version verboten wird, wird jeweils der nächste Igel bereit­gestellt, also eine neue Zero-Rating-Vari­ante mit neuen AGB aber demselben alten Spiel. Irgend­wann gibt dann der Hase (hier sind das die Verbrau­cher­schützer) entnervt auf.

Und was ist mit den Kunden?

Die größte Frage ist natür­lich, was nach dem Wegfall von Telekom StreamOn und Voda­fone Pass mit den Kunden passiert. Müssen diese dann von den ca. 50 Euro im Monat teuren M- und L-Tarifen auf die 80 Euro Unli­mited-Tarife mit echter Flat­rate wech­seln? Wohl kaum. Denn jede Preis­erhö­hung erhöht den Wech­sel­druck der Kunden, und bei 50 bis 60 Euro monat­lich (inklu­sive einem neuen hoch­wer­tigen Smart­phone alle zwei Jahre) ist bei vielen Kunden einfach die Schmerz­grenze erreicht. Sie würden also wech­seln, was sie auch einfach tun können, da sie nach der einsei­tigen Strei­chung der StreamOn- bzw. Pass-Option ein Sonder­kün­digungs­recht haben.

Um die Kunden zu halten, müssten die Netz­betreiber also den Wegfall der Zero-Rating-Optionen ander­weitig kompen­sieren. Der normale Weg dahin wäre eine kräf­tige Erhö­hung des freien Daten­volu­mens. Für 80 Prozent der Nutzer würde sich dadurch nichts ändern: Sie hätten nach dem Wegfall des Zero-Ratings und der zeit­glei­chen Erhö­hung des Daten­volu­mens immer noch in etwa das Volumen, das sie benö­tigen, um unter­wegs Musik zu hören, Face­book zu checken oder ein paar lustige Videos zu schauen. Nur mit dem Unter­schied, dass sie sich jetzt nicht mehr auf eine dieser Tätig­keiten und bestimmte Anbieter fest­legen müssen.

10 Prozent hätten sogar den Vorteil, dass sie künftig in einen güns­tigeren Tarif wech­seln können, weil ihnen aufgrund ihres mobilen Nutzungs­ver­hal­tens das Zero-Rating bisher nichts gebracht hat, sie aber von den nun größeren Inklu­siv­volu­mina aller Tarife profi­tieren. Weitere 10 Prozent müssten hingegen in einen teureren Tarif wech­seln, weil sie Zero-Rating-Power­user waren und ihnen der allge­meine "Volu­men­nach­schlag" nicht reicht.

Fazit: Am Ende bleibt es dabei, dass Angebot und Nach­frage die Preise regu­lieren. Die Netz­betreiber können auch ohne Zero-Rating die Preis­schraube insge­samt über alle User gesehen nicht nach oben drehen. Aber es wird ohne Zero-Rating gerechter für alle. Genau das, was die Prot­ago­nisten der Netz­neu­tra­lität wollen.

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