Editorial: StreamOnOff
Der EuGH sieht Zero Rating kritisch
picture alliance/Thomas Frey/dpa
Zero Rating ist bei Mobilfunkanbietern weltweit beliebt: Bestimmte, bei
den Kunden besonders begehrte und oft viel genutzte Dienste wie
Videostreaming oder Instant Messaging werden in bestimmten
Mobilfunkverträgen bereitgestellt, ohne, dass der Kunde dafür extra
bezahlen muss. Oft ist das Zero Rating an Einschränkungen gekoppelt:
So werden bei kostenloser Facebook-Nutzung in vielen Ländern die Medien
nicht oder nur in verringerter Qualität geladen, man sieht also überwiegend
Texte über das, was die Freunde gerade tun. Oder bei Videostreaming wird
die Bandbreite reduziert, so dass man Inhalte nur in SD-Qualität statt
in HD oder gar Full-HD übermittelt bekommt.
Rechtlich gibt es beim Zero Rating in der EU allerdings zwei große Hürden: Die eine ist das Kartellrecht, die andere die Netzneutralität. Anbieter kleinerer Streaming-Plattformen oder weniger bekannter sozialer Netzwerke, die beim Zero Rating nicht dabei sind, können aufgrund beider Regeln gegen die Netzbetreiber klagen und sollten dann eigentlich auch Recht erhalten. Denn die Netzneutralität schreibt vor, alle Internet-Datenpakete gleichzubehandeln. Nun gilt aber, dass bei der Telekom ein User, der Magenta Mobil M mit Stream On gebucht hat, nach 20 GB Transfer von YouTube immer noch lustig weiterschauen kann, während ein anderer User mit demselben Vertrag nach 20 GB Transfer von der Remote-Learning-Plattform seiner Fernuni natürlich schon längst in der Drossel hängt und nur mit der Zubuchung teurer Speed-On-Pässe in seinem Tarif überhaupt auf diese 20 GB kommen kann. Wenn aber ähnliche Dienste - hier Videostreaming von einer öffentlichen Plattform, dort Videostreaming von einer privaten Plattform - unterschiedlich kosten, dann ist das das Gegenteil der Netzneutralität.
In einem aktuellen Urteil kommt der EuGH daher vollkommen korrekt zum Schluss, dass Zero Rating gegen die Netzneutralität verstößt. Allerdings betrifft das Urteil einen Fall aus Ungarn, bei dem der Nulltarif für Facebook, Twitter und einige Instant Messenger dauerhaft gilt: Auch nach Verbrauch des kostenpflichtigen Datenvolumens für andere Dienste werden nur die anderen Dienste gedrosselt, während die Nulltarif-Dienste weiterhin verfügbar bleiben. In der Urteilsformel erklärt der EuGH nur diese konkrete Kombination - die regulären Dienste werden nach Verbrauch des Datenvolumens gedrosselt, die Nulltarif-Dienste bleiben verfügbar - mit EU-Recht für unvereinbar. Von daher fühlen sich Telekom StreamOn und Vodafone Pass von dem Urteil erstmal nicht betroffen.
Die Urteilsbegründung im Detail
Der EuGH sieht Zero Rating kritisch
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Formal muss man der Telekom und Vodafone recht geben, ihre
Dienste werden von der aktuellen Urteilsformel des EuGH nicht erfasst.
Liest man aber die
Urteilsbegründung, fällt es schwer zu
glauben, dass der EuGH bei StreamOn oder Pass anders entschieden
hätte. In Absatz 51 letzter Satz steht nämlich:
"Diese Maßnahmen zur Blockierung oder Verlangsamung des Datenverkehrs [des regulären Internettarifs] werden neben dem für die betreffenden Endnutzer geltenden 'Nulltarif' angewandt, und mit ihnen wird die Nutzung der nicht unter diesen Tarif fallenden Anwendungen und Dienste durch die Endnutzer technisch erschwert oder sogar unmöglich gemacht."
Das Problem ist aus Sicht des EuGH also nicht, dass der Nutzer
beliebig viele WhatsApp-Nachrichten verschicken kann, sondern, dass
er irgendwann in der Drossel landet, wenn er statt WhatsApp beispielsweise
Threema oder Signal benutzt. Und dieses Problem wird nicht
dadurch gelöst, dass dann auch WhatsApp blockiert wird, wenn der
Nutzer zu viel Threema-Nachrichten geschickt hat. Im Gegenteil, die
Lösung von Telekom und Vodafone drängt den Nutzer sogar noch stärker als
die ungarische Variante, bei der Nutzung seiner mobilen Daten
innerhalb der netzneutralitätsverletztenden Zero-Rating-Wolke zu
bleiben, um nur ja nicht in die Drosselung zu laufen.
Übrigens: Schon vor knapp drei Jahren habe ich in einem früheren Editorial ein Modell für Zero Rating vorgestellt, mit dem die Netzbetreiber ihre Netzauslastung legal verbessern und den Kunden was Gutes tun können. Sie müssten nur den Kunden die Wahl über die Inhalte lassen statt selber zu entscheiden, was kostenlos und was kostenpflichtig ist.