Wissen oder nicht?

Editorial: Politik, Internetsperren und echte IT-Experten

Von bewusster und unbewusster Falschinformation
Von Ralf Trautmann

Onlinedurchsuchung, Vorratsdatenspeicherung, "Sperrung" kinderpornographischer und weiterer strafbarer Inhalte: Die Debatte um "Zensur" und Überwachung des Internets und seiner Nutzer hat den Sprung von IT- und Bürgerrechts-lastigen Diskussionszirkeln in den alltäglichen, politischen Mainstream geschafft. Zu Recht: Hier geht es nicht um punktuelle Einschränkungen der Freiheit Einzelner, sondern tatsächlich um richtungsweisende Entscheidungen, die den Weg für zukünftige Entwicklungen in Bezug auf die persönlichen Freiheiten im Internet-Zeitalter vorgeben. Dabei stehen sich dann auch unterschiedlichste Meinungen zu den drängenden Fragen quer durch alle politischen Lager gegenüber: Soll es Internet-Sperren für bestimmte Inhalte geben, sollen diese in der Folge ausgeweitet werden, wer darf die Sperrliste erstellen, wer kontrolliert sie, sollen Nutzer-Daten erhoben werden und wer darf auf die Daten zurückgreifen? Alles berechtigte und wichtige Fragen, über die dann schlussendlich die so genannten Volksvertreter zu entscheiden haben.

Doch nicht selten stellt sich gerade hier die Frage, ob die Entscheidungsträger überhaupt die richtigen Ansprechpartner sind. Jüngstes Beispiel: Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, hat sich in einem RBB-Interview für eine Löschung strafbarer (in diesem Fall nicht kinderpornographischer, sondern rechtsextremer) Inhalte im Internet statt deren Sperrung ausgesprochen, da letzteres nur die "zweitbeste Lösung" sei. Wer hätte das gedacht: Als würden sich die anderen Parteien für eine Beibehaltung strafbarer Inhalte im Internet und "lediglich" für eine Sperre aussprechen.

Kein Problem allein der Grünen

Die Problematik, dass entsprechende Inhalte eben zum großen Teil nicht gelöscht werden können, da den heimischen Behörden schlicht und einfach der Zugang verwehrt ist - nämlich dann, wenn der Server im Ausland steht (und das ist natürlich nicht selten, nicht umsonst heißt der meistgenutzte Teil des Internets ja auch World Wide Web) - scheint zu Herrn Wieland nicht durchgedrungen zu sein. Selbst die nettesten Web-2.0-Seiten mit vereinzelten, rechtsextremen Threads oder Profilen und einem Server in den USA liegen schon außerhalb des Einflussbereiches hiesiger Behörden und manches, was in Deutschland strafbar ist - gerade im Bereich des Rechtsextremismus - ist woanders eben schlichtweg nicht illegal.

Für diese realistische Einschätzung bedarf es keines allzu tiefen technischen Wissens und man sollte erwarten dürfen, dass dies auch zu einem "innenpolitischen Sprecher", zudem Rechtsanwalt und ehemaligem Justizsenator in Berlin, also bei weitem nicht dem letzten Hinterbänkler im Bundestag, schon vorgedrungen ist.

Ist es aber entweder offensichtlich nicht, oder aber hier wollte sich einfach mal jemand ins politische Gespräch bringen: Denn auch der Mehrheit der Bevölkerung wird dieses Wissen abgehen, und die Forderung, das Internet von strafbaren Inhalten konsequent zu säubern, wird beim Internet-Laien wohl großen Zuspruch finden.

Natürlich sind derartige Meinungsäußerungen mit bewusst oder unbewusst falschem technischem Hintergrundwissen kein alleiniges Problem der Grünen. Die gesamte Debatte um den Umgang mit problematischen Internet-Inhalten zeugt oftmals von Unkenntnis oder absichtlich falscher Information durch alle politischen Lager, gerade auf Seiten der Befürworter der so genannten Internet-Sperren, denn bekanntlich lassen sich diese auch von Nutzern ohne Ausbildung zum Netzwerkspezialisten binnen Minuten umgehen: Potenzielle Konsumenten strafbarer Inhalte können dabei problemlos auf leicht verständliche Anleitungen zurückgreifen, und das weiß mittlerweile sicherlich auch die ungekrönte Königin der Debatte um Internetsperren, Ursula von der Leyen. Nicht umsonst heißt das geplante Gesetz gegen Kinderpornographie ja auch "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten in Kommunikationsnetzen". Es geht aber eben auch einfach um die Problematik, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Löschen geht nicht, Sperren auch nicht so richtig - die "Säuberung" des Internets von allem Übel dieser Welt ist schlicht und einfach nicht möglich, auch wenn die Protagonisten sämtlicher etablierter Parteien immer wieder ihren Beitrag dazu leisten wollen.

Piratenpartei: Viel Kompetenz hier, wenig Kompetenz dort

Was also tun? Manch technisch besser Informierte glaubt, vor lauter falschen Informationen bezüglich derartiger Themen durch die etablierten Parteien eine Alternative entdeckt zu haben: Aktuell tobt ein Hype um die Piratenpartei, vor allem nachdem deren schwedische Schwester dank eines Wahlergebnisses von über 7 Prozent in das Europäische Parlament eingezogen ist. Ob bei der anstehenden Bundestagswahl dem deutschen Ableger Ähnliches gelingen könnte, ist mehr als fraglich. Doch wie immer die Wahl ausgeht: Zuviel versprechen sollten sich potenzielle Wähler von den lustigen Piraten nicht.

Zwar gibts bezüglich Internet-Sperren hier sicherlich eine hohe technische Kompetenz, die vermutlich bei keiner der "großen" Parteien so vorhanden ist, größere technische Fauxpas an dieser Stelle sind also nicht zu erwarten. Dafür haperts dann aber an anderer Stelle: Abseits der bekannten Forderungen hinsichtlich Urheberrecht, Datenschutz und Ahnlichem gibts bei ihnen fast nichts, was über den PC-Bildschirm des Piraten hinausgeht. Kein Wunder, da sich in dieser Partei auch alles mögliche von ganz links bis ganz rechts tummelt.

Die Kompetenz auf der einen Seite kaschiert also aktuell die (noch) mangelnde Kompetenz an anderer Stelle. Bei einem möglichen Einzug in den Bundestag darf man sich daher schon auf entsprechende Interviews zu Rentenfragen, Bundeswehreinsätzen im Ausland und weiteren Themen freuen: Hier wirds dann wohl ähnlich skurril wie beim Herr Wieland im RBB-Interview werden.

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