Gastbeitrag

"Gemeine Schnittstellen": Zusätzliche Abwehrstrategien geboten

Die rein juris­tische Bekämp­fung von unfairen Design-Mustern (Dark Patterns) auf Nutzer­ober­flä­chen von Websites reicht nicht aus.
Von Torsten J. Gerpott

Der nach­fol­gende Beitrag zeigt, dass die rein juris­tische Bekämp­fung von unfairen Design­mus­tern (Dark Patterns) auf Nutzer­ober­flä­chen von Websites Ergän­zungen erfor­dert. Sie sollten von der Bundes­regie­rung mit mehr Enga­gement voran­getrieben werden.

Wer im Internet einkauft, der findet in vielen Shops Hinweise, dass ein nur noch in begrenzter Zahl zwei Tage verfüg­bares Produkt, das zu den Top-Sellern mit Spit­zen­bewer­tungen früherer Käufer gehört und sich x andere Personen gerade eben­falls anschauen. Nimmt ein Besu­cher dann das Produkt in den Waren­korb auf, so erscheint nicht selten ein Abwahl­kasten, der mit einer Formu­lie­rung wie „Ich verzichte darauf, die Vorteile einer Trans­port­ver­siche­rung für meine Bestel­lung wahr­zunehmen“ verknüpft ist. Solche Nutzer­ober­flä­chen sollen Inter­essenten zu Käufern von Basis- und Zusatz­leis­tungen machen, um Absatz und Gewinn des Verkäu­fers zu stei­gern. Außerdem findet man auf vielen Websites bei Cookie-Zustim­mungs­auf­for­derungen Vari­anten, die Besu­cher durch Farben, Schrift­größe und Plat­zie­rung von Schalt­flä­chen dazu animieren, in die Verar­bei­tung ihrer perso­nen­bezo­genen Daten zum Zweck gezielter Werbung und Inhalts­vor­schläge einzu­wil­ligen.

Die skiz­zierten und von ihren Effekten her verwandte Muster der Gestal­tung von Nutzer­schnitt­stellen werden in Fach­kreisen mit den Angli­zismen Dark Pattern (DP) oder Nudging for Bad (unethi­sches Anstupsen) ange­spro­chen. Sie werden seit rund 15 Jahren als unfair einseitig Inter­essen von Nutzern zuwi­der­lau­fende, mani­pula­tive Mittel zur Einschrän­kung der Entschei­dungs­auto­nomie und -ratio­nalität von Site-Besu­chern sowie in die Irre führende (hinter)listige psycho­logi­sche Fallen im digi­talen Online-Raum gebrand­markt (siehe Bild für ein Beispiel). Beispiel für Dark Pattern Beispiel für Dark Pattern
Grafik: Prof. T.J. Gerpott

Unter­schiede digi­tale versus physi­sche Welt

Nun mag man monieren, dass solche Designs keine Beson­der­heit der digi­talen Welt sind. Schließ­lich ist es auch in der physi­schen Welt seit Urzeiten üblich, Verbrau­cher durch limi­tierte Editionen, nur kurze Zeit gültige Preis­sen­kungen und Hinweise auf gute Test­ergeb­nisse renom­mierter Insti­tutionen ohne Über­treten der Grenze zum Betrug gemäß § 263 StGB im Sinn der Verkäufer zu beein­flussen. Doch dieser Einwand trägt nicht. Im digi­talen Raum ist es Site-Betrei­bern viel schneller und zu nied­rigeren Kosten möglich, gemeine Nutzer­schnitt­stellen empi­risch fundiert in kurzen Abständen zu opti­mieren, indem die Wirkungen von Gestal­tungs­alter­nativen mitein­ander vergli­chen werden. Außerdem kann man in der digi­talen Welt Algo­rithmen verwenden, die Schnitt­stellen dyna­misch auf Kunden­seg­mente, die im Extrem­fall nur noch eine Person umfassen, zuschneiden. Schließ­lich werden Nutzer im digi­talen Raum DP nicht nur bei entgelt­pflich­tigen Online-Vertrags­abschlüssen, deren Zahl und Wert in den letzten Jahren rasch zuge­nommen hat, ausge­setzt, sondern bei vielen anderen Gele­gen­heiten, z.B., wenn sie sich eine Meinung zu poli­tischen Themen bilden oder ihrem Hobby wie Gaming nach­gehen.

Verbrei­tung

Dafür, dass DP aktuell auf Websites in Deutsch­land, in der EU und global weit verbreitet sind, gibt es zahl­reiche wissen­schaft­lich seriöse empi­rische Belege. So wurde bei einer Analyse der 75 am meisten ange­steu­erten Websites für statio­näre oder mobile Endge­räte in der EU fest­gestellt, dass Anfang 2022 nur zwei Anbieter keine DP verwen­deten und im Durch­schnitt 4,25 DP pro Site zu beob­achten waren. Die am häufigsten gefun­denen DP waren ein Verste­cken von Infor­mationen sowie Vorein­stel­lungen und Wieder­holungen bei Entschei­dungs­auf­for­derungen jeweils zu Ungunsten von Besu­chern.

Eine breiter ange­legte Unter­suchung von 11.297 englisch­spra­chigen Shop­ping-Sites im Februar 2019 iden­tifi­zierte auf 1.254 (=11,1%) dieser Sites 1.818 DP und auf 183 der Sites 234 eindeutig betrü­geri­sche Designs [Link entfernt] . Ähnlich fand man 2019 bei einer Analyse der 200 Top e-Commerce-Websites in den USA, dass dort auf 118 Sites Best­seller-Hinweise bzw. 116 zeit­lich befris­tete Preis­sen­kungen zur Erzeu­gung von sozialem bzw. zeit­lichem Druck und im Durch­schnitt pro Site 19,4 Design­merk­male zur Anre­gung von Spon­tan­käufen zum Einsatz kamen.

Nutzer­seite

Website-Besu­cher sind sich durchaus der Proble­matik unfairer digi­taler Ober­flä­chen bewusst. Eine in Deutsch­land im April 2022 durch­geführte bevöl­kerungs­reprä­sen­tative Online-Befra­gung ergab, dass 47 Prozent der 1006 Teil­nehmer sich bessere Fähig­keiten wünschen, Risiken im Internet zu erkennen und sich davor zu schützen. In der Verbrau­cher­befra­gung 2021 des VZBV stuften die 1500 Teil­nehmer „Internet und Digi­tali­sie­rung“ als Bereich ein, auf dem (a) sie sich mit Abstand schlechter geschützt fühlen als in sechs anderen Berei­chen (z.B. Finanzen und Versi­che­rungen) und (b) sich das empfun­dene Schutz­niveau gegen­über dem Vorjahr verschlech­tert hat. Der Sensi­bilität zum Trotz wirken DP im Sinn der für sie Verant­wort­lichen, weil Nutzer aufgrund kogni­tiver Beschrän­kungen (z.B. Aufmerk­sam­keit, Erin­nerungs­fähig­keit, Ermü­dung) – insbe­son­dere wenn sie unter Zeit­druck agieren und Emotionen wie Begeis­terung, Gier oder Neid im Spiel sind – es nicht schaffen, den psycho­logi­schen Fallen zu entgehen. Dark Pattern Dark Pattern
Foto: Picture Alliance/dpa

Herkömm­liche recht­liche Abwehr­stra­tegien

Ange­trieben durch die starke Verbrei­tung und gefähr­lichen Wirkungen von DP sinnen Poli­tiker auf der Ebene der EU und in deren Mitglieds­staaten seit längerem darüber nach, wie man Besu­cher und anstän­dige Betreiber von Sites vor Schäden durch DP bewahren kann. Der typi­sche Ansatz besteht darin, direkte Verbote irre­füh­render Design­muster in EU- und natio­nale Rechts­akte aufzu­nehmen, die entweder sämt­liche Anbieter oder bestimmte Anbiet­ertypen (z.B. Online-Vermittler) verpflichten.

Beispiels­weise unter­sagt die EU-weit gültige „Richt­linie ... über unlau­tere Geschäfts­prak­tiken im binnen­markt­internen Geschäfts­ver­kehr zwischen Unter­nehmen und Verbrau­chern“ vom 11.5.2005 zu Zwecken des Wett­bewerbs- und Verbrau­cher­schutzes Gewer­betrei­benden in Art. 5 bis 9 verschie­dene Geschäfts­prak­tiken und defi­niert sie derge­stalt, dass darunter auch digi­tale DP fallen können. In Deutsch­land wurden diese Vorschriften in den §§ 4a–7 des Gesetzes gegen unlau­teren Wett­bewerb umge­setzt.

Weiter bemüht man sich im Daten­schutz­recht mit Hilfe von Art. 4 Nr. 11, 5 Abs. 1 lit. a, 7, 12 und 25 der euro­päi­schen Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung vom 27.4.2016 darum, DP bei Einwil­ligungen von Site-Besu­chern in die Verar­bei­tung ihrer perso­nen­bezo­genen Daten durch Site-Betreiber allge­mein einzu­dämmen. Darüber hinaus unter­stützt in jüngster Zeit die Euro­päi­sche Kommis­sion speziell im digi­talen Raum DP-Verbote beim Einsatz künst­licher Intel­ligenz mit ihrem Vorschlag vom 21.4.2021 für einen Arti­fical Intel­ligence Act, beim Teilen von Daten mit ihrem Vorschlag vom 23.2.2022 für einen Data Act beim Begrenzen der Wett­bewerbs­macht digi­taler Gate­keeper mit dem Digital Markets Act vom 5.7.2022 und beim Schutz von Nutzern digi­taler Online-Vermitt­lungs­dienste mit dem Digital Services Act vom 5.7.2022.

Über direkte Verbote hinaus, die alle oder bestimmte Site-Betreiber betreffen, versucht man auf EU und deut­scher Ebene, DP juris­tisch außerdem im Vertrags- und Wett­bewerbs­recht zu begrenzen. Zu den einschlä­gigen Rege­lungen gehören:

  • Trans­parenz­pflichten für Online-Markt­plätze und -Bewer­tungs­sys­teme
  • Verzichts­gebote bei Default-Einstel­lungen für wirk­same Verbrau­cher­ver­träge
  • Vorgaben zur Gestal­tung von Schalt­flä­chen bei entgelt­pflich­tigen Verbrau­cher­ver­trägen
  • Kündi­gungs­schalt­flä­chen bei auf Online-Markt­plätzen geschlos­senen entgelt­lichen Dauer­schuld­ver­hält­nissen (z.B. Mobil­funk­ver­trag)
  • Wider­rufs­rechte nach dem Abschluss von Fern­absatz­ver­trägen.
Trotz des uner­müd­lichen Ausbaus der gesetz­lichen Rege­lungen im Kontext von DP nimmt die Verbrei­tung solcher Design­muster nicht ab. Hierfür gibt es zwei Haupt­gründe. Erstens ist es leicht, Nutzer­schnitt­stellen so zu gestalten, dass es nicht unmit­telbar offen­sicht­lich ist, dass ein Verstoß gegen allge­mein formu­lierte Rechts­normen vorliegt. Für solche Fälle muss dann erst in lang­wie­rigen Gerichts­ver­fahren mit hoher Ergeb­nis­unsi­cher­heit für den Kläger eine Entschei­dung herbei­geführt werden. Die geringe Wahr­schein­lich­keit, mit der vor allem die zahl­rei­chen weniger bekannten Website-Betreiber für DP zu Rechen­schaft gezogen und mit empfind­lichen Geld­bußen belegt werden, schafft Anreize, mit abstrakten gesetz­lichen DP-Vorgaben „groß­zügig“ umzu­gehen. Zwei­tens sind die DP-Möglich­keiten so viel­fältig, dass es selbst für kleine Website-Betreiber nicht schwierig ist, konkret verbo­tene DP-Vari­anten rasch durch subti­lere Spiel­arten zu ersetzen.

Erwei­terung durch spezi­fische Leit­linien

Weil eine rein lega­lis­tische Stra­tegie zur DP-Bekämp­fung nicht ausreicht, muss man umdenken und nach wirk­samen Erwei­terungen suchen. Bislang setzt die Politik mit Desi­gnauf­lagen und Strafen auf „nega­tive Anreize“ für Site-Betreiber. Deshalb ist eine nahe­lie­gende Kurs­kor­rektur, posi­tive Anreize ins Spiel zu bringen. Hierzu sollte die Bundes­regie­rung selbst oder von ihr beauf­tragte renom­mierte Insti­tutionen (z.B. Verbrau­cher­zen­tralen; Tech­nische Über­wachungs­ver­eine) spezi­elle Leit­linien zu DP für kommer­zielle Online-Verkäufer, -Inter­mediäre und Betreiber sozialer Medien erar­beiten. Solche Leit­linien müssen neben gene­rellen Gestal­tungs­prin­zipien für Nutzer­ober­flä­chen (z.B. Easy, Attrac­tive, Social, Timely [EAST] oder Fair­ness, Open­ness, Respect, Goals, Opinions, Options, Dele­gation [FORGOOD]) Fall­bei­spiele umfassen, die zeigen, welche Designs als gut und als noch gerade zulässig einzu­stufen sind.

Die Bundes­regie­rung kann sich dabei an etli­chen DP-Empfeh­lungen, die EU-Behörden, natio­nale Behörden von EU-Mitglieds­staaten und zivil­gesell­schaft­liche Orga­nisa­tionen bereits veröf­fent­licht haben, orien­tieren und sie auf deut­sche Verhält­nisse zuschneiden. Außerdem lassen sich Anre­gungen aus Verhal­tens­kodizes für den digi­talen Raum, die sich Internet-Anbieter zur Selbst­kon­trolle gegeben haben, entnehmen. Ein aktu­elles Beispiel ist der von 34 Tech­nolo­gie­unter­nehmen am 16.6.2022 mit Wohl­wollen der Euro­päi­schen Kommis­sion unter­zeich­nete „Streng­thened Code of Prac­tice on Disin­for­mation“.

Damit solche Leit­linien schnell an Markt- und Tech­nik­trends ange­passt werden können, sollte es sich bei Ihnen nicht um juris­tisch zwin­gend einzu­hal­tende Vorgaben handeln, die erst in einem zeit­auf­wän­digen Gesetz­gebungs­ver­fahren änderbar sind. Gleich­zeitig ist aber auch darauf zu achten, dass sie aufgrund ihrer recht­lichen Unver­bind­lich­keit von Anbie­tern nicht als bloßes Feigen­blatt für die vermeint­liche Über­nahme von Verant­wor­tung für ihr Verhalten im Internet miss­braucht werden. So kann man Bedenken gegen „DP free washing“ entkräften und einer Debatte analog zu der bei Finanz­anlagen im Hinblick auf die Envi­ron­mental, Social and Govern­mental [ESG] Krite­rien geführten Diskus­sion den Boden zu entziehen. Dies lässt sich durch drei Maßnahmen errei­chen.

Erwei­terung durch Bewer­tungs­soft­ware

Erstens sind von einer im Auftrag der Bundes­regie­rung tätigen neutralen Orga­nisa­tion Soft­ware-Tools bereit­zustellen und fort­lau­fend zu aktua­lisieren, die den Grad der Über­ein­stim­mung der Nutzer­schnitt­stel­len­gestal­tung einer Website mit den Soll-Ausprä­gungen gemäß DP-Leit­linien in quan­tifi­zie­render und leicht verständ­licher Weise abbilden (z.B. ähnlich wie eine Ampel­kenn­zeich­nung auf Lebens­mit­tel­ver­packungen). Solche Tools sind erfor­der­lich, um auch kleine Site-Betreiber in die Lage zu versetzen, ihre Webschnitt­stellen ohne großen Aufwand im Hinblick auf ihre DP-Leit­lini­enkon­for­mität hin zu bewerten.

Gegen­über einer Verla­gerung des Einsatzes der Soft­ware auf Nutzer hat die Selbst­prü­fung durch Anbieter zwei Vorteile. Sie ist unab­hängig von der Kompe­tenz und Moti­vation der Nutzer. Zudem belastet sie Nutzer nicht damit, bei Site­besu­chen Zeit für DP-Tests zu inves­tieren. Bei der Tool-Entwick­lung kann auf mehreren öffent­lich finan­zierten Forschungs­pro­jekten wie CLAUDETTE – auto­mated CLAUse DETectEr, DATENSCHUTZscanner by Privacy Guard oder Dark Pattern Detec­tion Project – Dapde aufge­setzt werden. Vor dem Hinter­grund der Viel­fäl­tig­keit von DP ist zwar kurz­fristig nicht damit zu rechnen, dass die Soft­ware nahezu fehler­frei arbeitet. Machbar sind aber schon heute Lösungen, die vor allem für Nutzer stark nach­tei­lige DP unter Einsatz von Tech­niken des Maschi­nen­ler­nens mit befrie­digender Zuver­läs­sig­keit iden­tifi­zieren können.

Zwei­tens sind Aktionen notwendig, die öffent­liche Aufmerk­sam­keit für von mit der Prüf­soft­ware gene­rierte Ergeb­nisse schaffen. So könnte die Bundes­regie­rung Verbrau­cher­schutz­orga­nisa­tionen damit beauf­tragen, DP-Top- und -Flop-Listen zu erstellen sowie breit zu kommu­nizieren. Der Repu­tati­ons­gewinn bzw. -verlust, den Site-Betreiber über solche allge­mein bekannten Listen erzielen bzw. erleiden können, hilft die Anbieter zu moti­vieren, DP-Leit­linien auch ohne juris­tischen Zwang umzu­setzen.

Drit­tens sind Zahlungen – analog zu jüngst vorge­schla­genen Prämien für Verbrau­cher und Unter­nehmen, die in einer Ener­gie­krise sparsam mit Gas umgehen – an kleine und mittel­große Betreiber einzu­führen, die der Bund bei Errei­chen bestimmter DP-Schwel­len­werte mit der o.g. Prüf­soft­ware auf Antrag vornimmt. Dem Einwand, dass damit Anbieter für eigent­lich geset­zes­treues Verhalten belohnt würden, ist entge­gen­zuhalten, dass sich Zahlungen auf „über­obli­gato­risch“ gute Nutzer­schnitt­stellen, die Grund­stan­dards deut­lich über­schreiten, begrenzen lassen. Zudem wird durch „helle“ Nutzer­ober­flä­chen das Verbrau­cher­ver­trauen in den Online-Handel gestärkt, so dass die öffent­liche Hand die Chance hat, infolge höherer Geschäfts­volu­mina zumin­dest einen Teil der Zahlungen über gestie­gene Steu­erein­nahmen zu kompen­sieren.

Bundes­regie­rung: Kein ausrei­chend koor­diniertes Enga­gement

Bis heute sind die Bemü­hungen der Bundes­regie­rung(en), über juris­tische Inter­ven­tionen hinaus Nutzer vor DP zu schützen, unzu­rei­chend. Das Bundes­minis­terium der Justiz hat zwar 2018 eine „Corpo­rate Digital Respon­sibi­lity [CDR]“ Initia­tive ins Leben gerufen. Sie brachte jedoch nur eher als Lippen­bekennt­nisse einzu­stu­fende Selbst­ver­pflich­tungen weniger Konzerne ohne Konkre­tisie­rungen von DP hervor.

Mit dem Regie­rungs­wechsel im Dezember 2021 wurden Verbrau­cher­schutz und mit ihm die CDR-Initia­tive in das Bundes­minis­terium für Umwelt verschoben. Aber auch dort belässt man es bis heute bei unver­bind­lichen isolierten Maßnah­men­vor­schlägen zu DP und allge­meinen Meinungs­foren wie zuletzt eine CDR-Konfe­renz am 5.7.2022. Weiter betei­ligt sich das Bundes­innen­minis­terium fleißig seit 2019 jähr­lich an einem Digi­taltag, der jedoch über eine reine PR-Veran­stal­tung mit netten Gemein­plätzen zur digi­talen Teil­habe der Bürger in Deutsch­land kaum hinaus­kommt.

Schluss­end­lich haben weder das Bundes­digi­tal­minis­terium noch das Bundes­wirt­schafts­minis­terium Schritte in Rich­tung auf DP-Leit­linien/-Soft­ware sowie Anreize zur Leit­lini­enan­wen­dung in der Praxis unter­nommen. Das Fehlen einer zentralen Instanz in der Bundes­regie­rung, die sich nicht nur in ihrem Titel mit dem Verweis auf Digi­tales schmückt, sondern tatsäch­lich weit­rei­chende Befug­nisse für Digi­tal­themen hat, macht sich bei DP einmal mehr schmerz­lich bemerkbar.

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Die Bundes­regie­rung hat derzeit mit Gasnot­stand sowie einer drohenden ernsten Rezes­sion infolge des Putin’schen Angriffs­krieges auf die Ukraine, Klima­schutz und Haus­halts­sanie­rung verständ­licher­weise drin­gende Themen vorrangig zu beackern, die mit Nutzer- und Wett­bewerbs­schutz im Internet wenig zu tun haben. Im Sinn der lang­fris­tigen Siche­rung eines grund­rechts­kon­formen digi­talen Inter­net­raums sollte sie aber jenseits juris­tischer Maßnahmen nichts­des­totrotz spezi­elle Leit­linien, Soft­ware-Tools, Infor­mati­ons­kam­pagnen und Prämi­enzah­lungen als Hebel zur DP-Bekämp­fung mehr ins helle Rampen­licht rücken.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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