Editorial: freenet wirft Kunden Tarifwechsel-Faulheit vor?
Im Lauf eines Journalisten-Lebens erhält man unzählige Pressemitteilungen, die mehr oder weniger wichtig sind. Manchmal handeln sie davon, dass jemand zu einem aktuellen Trend-Thema auch noch etwas sagen möchte, was ja nicht verboten ist: Denn durch Diskussion und das Liefern von Fakten werden Meinungen gebildet.
Eines dieser aktuellen Trend-Themen ist die Inflation, und damit verbunden das Thema: Wie können Verbraucher durch die Optimierung ihrer bereits bestehenden Tarife oder die Kündigung nutzloser Verträge Geld sparen, statt dieses unkritisch zu verschwenden?
Hierzu hat freenet in dieser Woche eine reichlich skurrile Pressemitteilung versandt, die vom Inhalt her korrekt ist. Aber gleichzeitig ist sie auch absolut zynisch.
Das hat die Studie herausgefunden
freenet und die Wechsel-faulen Kunden
Bild: freenet Mobilfunk
freenet scheint irgendwie auf die Idee gekommen zu sein, zu untersuchen, wie viele Kunden in möglicherweise völlig veralteten Handy-Tarifen verharren, ohne einmal zu überprüfen, ob es nicht vielleicht dieselbe Leistung auch zu einem günstigeren Preis gibt. Für die Studie gab es 2022 zwei Befragungen im Rahmen von Online-Interviews in quo People, dem Online-Panel der infas quo GmbH, im Auftrag der freenet AG. Zielgruppe der Befragungen waren Personen zwischen 18 und 79 Jahren.
Die Befragungen ergaben, dass Verbraucher "ihren Mobilfunkvertrag nicht im Blick haben". Der Abschluss liege "oft Jahre zurück", ein Tarifwechsel werde "nur selten durchgeführt". Sparpotenziale blieben ungenutzt. Und das, obwohl "die aktuelle Kostensituation das Einkaufs- und Ausgabeverhalten der Menschen erheblich beeinflusst". Den Strom-Vertrag hätten 30,1 Prozent der Befragten kürzlich überprüft, den Handy-Vertrag aber nur 18,4 Prozent.
Auf die Frage, welche Kosten die Verbraucher in Zukunft stärker überprüfen wollen, wurden auf Platz 1 Streaming-Dienste genannt (31,5 Prozent). Telekommunikation und Mobilfunk wollten 28,2 Prozent der Befragten noch einer genaueren Prüfung unterziehen, hatten das in den vergangenen Monaten aber noch nicht gemacht. In Zukunft will laut den Studien-Ergebnissen kaum jemand auf sein Handy verzichten. Den Abschluss eines Mobilfunkvertrages und den Kauf eines neuen Mobiltelefons hätten lediglich 8,2 Prozent der Befragten aufgrund der aktuellen Finanzsituation verschoben. Auch der folgende Abschnitt in der Pressemeldung liest sich fast wie eine Anklage:
Die Studie zum Sparpotenzial
Bild: freenet Es zeigt sich, dass Deutschland zwar nicht auf das Handy verzichten möchte, im Bereich Mobilfunktarif aber weiterhin äußerst abwartend agiert. Viele möchten den Ausgabenbereich, wie erläutert, zwar auf Potenzial prüfen, aber nur 16,3 Prozent planen, in den kommenden 12 Monaten einen Tarifwechsel durchzuführen. In der jüngeren Altersgruppe von 18 bis 29 Jahren plant fast jeder vierte Nutzer die Anpassung der Leistung oder das Wechseln des Mobilfunkvertrages (22,4 Prozent). Gefragt danach, wann sie denn tatsächlich das letzte Mal ihren Mobilfunkvertrag abgeschlossen oder angepasst haben, sagte fast die Hälfte (46,2 Prozent) dass das bereits zwei oder mehr Jahre zurückliegt. Mehr als 86 Prozent bestätigen zudem, dass sie ihren Tarif grundsätzlich nur selten wechseln. Den Menschen ist der Mobilfunkvertrag wie sich zeigt auf vielen Ebenen wichtig - die Kosten und das damit einhergehende Sparpotenzial hat aber nur ein Bruchteil im Blick.
Was hat freenet dabei geritten?
Die Ergebnisse der Studie halten wir durchaus für nachvollziehbar, und auch an der Methodik der Erhebung und Auswertung gibt es von uns nichts zu kritisieren. Aber hätten Sie solche Aussagen von freenet erwartet? Eine solche Pressemeldung würde man eher von einer Verbraucherschutz-Organisation erwarten. Man fragt sich unwillkürlich: Hat denn freenet in den vergangenen 10 bis 15 Jahren irgendetwas dafür unternommen, dass die eigenen Kunden eben nicht jahrelang ungeprüft in völlig veralteten und viel zu teuren Tarifen verharren? Aus jahrelanger Beobachtung muss teltarif.de eher konstatieren:
- freenet und alle anderen Provider haben über viele Jahre lang prächtig damit Geld verdient, dass ein Handy-Vertrag nach 24 Monaten nicht automatisch ausgelaufen ist, sondern sich automatisch und stillschweigend um weitere 12 Monate verlängert hatte.
- freenet und andere Provider haben es jahrelang kaum für nötig erachtet, Kunden in veralteten Tarifen proaktiv darauf hinzuweisen, dass sie inzwischen fürs gleiche Geld einen deutlich besseren Tarif erhalten könnten.
- freenet und andere Provider haben jahrelang ihre teils wirklich satten Tarif-Rabatte nur Neukunden angeboten, aber nicht Bestandskunden. Manch ein treuer Bestandskunde reibt sich schon mehrere Monate nach seinem Vertragsabschluss verwundert die Augen, um wie viel günstiger Neukunden den Tarif bekommen, für den man gerade selbst teuer bezahlt.
- Insbesondere freenet vermarktet weiterhin fleißig Tarife, bei denen Rabatte nur in den ersten 24 Monaten der Laufzeit gewährt werden. Ab dem 25. Vertragsmonat wirds dann teuer, wenn der Kunde nicht rechtzeitig gekündigt hat.
- Als es Bestrebungen gab, das TKG dahingehend zu reformieren, dass Kunden eben nicht so lange in veralteten Tarifen verharren, waren die Provider darüber alles andere als erfreut.
- Vor der gesetzlichen Änderung ist kein Provider auf die Idee gekommen, so etwas wie einen leicht auffindbaren Kündigungsbutton anzubieten, mit dem Kunden einfach, schnell und mit sofortiger Wirksamkeit kündigen können. Stattdessen betreiben sie in ihren Kundencentern immer noch die unsägliche "Kündigungsvormerkung" mit anschließendem verpflichtenden Telefonanruf, der nur der Rückgewinnung des Kunden dient - manchmal zu schlechteren Tarif-Konditionen, als sie Neukunden angeboten werden.
- "Tarif-Optimierung" besteht für viele Kunden übrigens nicht nur in einem günstigeren Preis, sondern auch in einer besseren Mobilfunk-Netzversorgung. Insbesondere freenet bietet Tarife in allen drei Netzen an - erschwert es Bestandskunden dann im Gegenzug aber manchmal, mit dem Tarif in ein besser verfügbares Netz zu wechseln.
Man kann es also nur als absolut zynisch bezeichnen, dass freenet den Kunden eine Trägheit und Faulheit unterstellt, an der freenet jahrelang gar nichts ändern wollte, weil das den Gewinn des Unternehmens möglicherweise deutlich geschmälert hätte.
TKG-Novelle: Warum musste erst der Gesetzgeber eingreifen?
Glücklicherweise wurde durch die im Dezember 2021 in Kraft getretene Novelle des Telekommunikationsgesetzes und das Gesetz für faire Verbraucherverträge das möglich, was kein Provider davor seinen Kunden freiwillig geboten hat, auch freenet nicht. Hierzu mussten also erst einmal Verbraucherverbände und letztendlich der Gesetzgeber tätig werden, um das durchzusetzen.
Erst der Gesetzgeber musste durchdrücken, dass ein Vertrag nach Ablauf der ersten 24 Monate mit der Frist von einem Monat gekündigt werden kann, und das über ein einfach auffindbares Kündigungsformular. Erst der Gesetzgeber musste die Provider explizit dazu verpflichten, ihren Bestandskunden jährlich eine Information zu schicken, aus der sie erfahren, ob es vielleicht einen besseren oder günstigeren Tarif für sie gibt.
Warum ist freenet nicht schon mehrere Jahre vor der TKG-Änderung von sich aus auf alle diese Ideen gekommen? Vielleicht gäbe es dann jetzt eine Studie mit dem Ergebnis "freenet ist im Bereich des Verbraucherschutzes der innovativste Provider und seine Kunden immer in den am besten passenden Verträgen". Aber das wird wohl auch nach der TKG-Änderung ein frommer Wunsch bleiben.
Beim Handykauf und beim Abschluss von Festnetz-, Mobilfunk- oder DSL-Verträgen gibt es allerhand zu beachten. In Meldungen und Ratgebern finden Sie bei teltarif.de Tipps und Hintergrund-Infos, um als Verbraucher gut informiert zu sein.