Kommentar

Warum ein Ende von DVB-T2 HD fahrlässig wäre

Man kann es einfach nicht anders sagen: Deutsch­lands große Privat-TV-Sender haben sich mit ihrer Verschlüs­selung der HD-Signale gründ­lich verzockt. Nun steht das Anten­nen­fern­sehen DVB-T2 HD vor dem Aus.
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Diese Offen­heit ist bemer­kens­wert: Wie aus dem Geschäfts­bericht der freenet AG für 2022 hervor­geht, ist die Zahl der Umsatz gene­rie­renden Nutzer bei freenet TV, dem über Antenne (DVB-T2 HD) verbrei­teten verschlüs­selten und kosten­pflich­tigem Angebot deut­scher privater "Free-TV-Sender", im vergan­genen Jahr erneut massiv gesunken. freenet macht keinen Hehl daraus, wer dafür verant­wort­lich ist: Der Nutzerrück­gang sei "im Wesent­lichen auf das unat­trak­tive Programm­angebot der Privat­sender zurück­zuführen". Es muss schon viel Frust im Spiel sein, wenn man seine Kunden derart öffent­lich diskre­ditiert. freenet TV verliert Kunden. Ist es das Ende von DVB-T2? freenet TV verliert Kunden. Ist es das Ende von DVB-T2?
Bild: teltarif.de
Nun kann man tatsäch­lich über die programm­liche Qualität von Sendern wie RTL oder Pro7 streiten. Eines ist aber inzwi­schen Fakt: Immer weniger Menschen sind dazu bereit, für werbe­finan­ziertes Fern­sehen auch noch zusätz­lich zu zahlen, was bei den Privaten in HD-Qualität auch über die anderen Verbrei­tungs­wege Satellit (HD+) und Kabel an der Tages­ord­nung ist. Der Erfolg des haus­internen Konkur­renten waipu.tv zeigt der freenet AG eindrucks­voll, das Kunden, wenn sie schon zahlen, dies lieber für oft werbe­freie, "echte" Pay-TV-Sender tun. Andere geben ihr Geld für Strea­ming­dienste wie Netflix oder Disney+ aus.

DVB-T2 HD: Tolle Idee, kata­stro­phale Umset­zung

Der Miss­erfolg des Ange­bots freenet TV liegt dabei am wenigsten an der Technik. Neben dem Fern­seh­gerät wird vor allem in Ballungs­räumen mit gutem Empfang ledig­lich eine kleine Zimmer­antenne benö­tigt - Anschaf­fungs­kosten häufig unter 20 Euro. Beim alten DVB-T-Modus waren die Privaten unver­schlüs­selt und kostenlos zu sehen. Das hatte vor allem in Groß­städten zu einem Boom und einer Renais­sance des Anten­nen­fern­sehens geführt. Rund 30 öffent­lich-recht­liche und die wich­tigsten Privaten waren ohne Extra­kosten verfügbar, viele hatten damals den Kabel­anschluss gekün­digt, um Kosten zu sparen.

Mit dem Start des effek­tiveren Nach­fol­gers DVB-T2 HD änderten die Privat­sender ihre Stra­tegie: Sie strahlten ihre Programme fortan in vermeint­lich besserer HD-Qualität aus, verschlüs­selten dabei jedoch die Signale. Und Inter­essenten müssen seither - nach mehreren Preis­erhö­hungen - 7,99 Euro pro Monat zahlen. Die kosten­lose SD-Alter­native musste, anders als bei Kabel und Satellit, entfallen, da die nötigen Frequenzen fehlen. Aus heutiger Sicht war dieser Stra­tegie­wechsel schon der erste Sarg­nagel für DVB-T2 HD - und auch in puncto Reich­weite, den die privaten, werbe­finan­zierten Programme nun einmal brau­chen, ein Fehler. Es war auf jeden Fall naiv zu glauben, dass alle bishe­rigen DVB-T-Kunden künftig für werbe­finan­ziertes Fern­sehen zusätz­lich pro Monat bezahlen würden.

Das freenet TV-Angebot besteht aus knapp über 20 Programmen, hinzu kommen noch einmal 20 zumeist öffent­lich-recht­liche, unver­schlüs­selte und kosten­lose Sender. Zum Vergleich: Beim haus­internen freenet-Konkur­renten waipu.tv kostet ein Perfect-Plus-Abo 8,70 Euro im Monat. Hierfür gibt es über 230 Sender, davon 220 in HD. Hinzu kommen 100 Stunden Aufnahme-Funk­tion, Neustart von Sendungen (Replay) und eine Pausen-Funk­tion. Es ist in puncto Preis und Leis­tung einfach das bessere Angebot. Kein Wunder, dass es analog zum Kunden­rück­gang bei freenet TV einen stetigen Kunden­zuwachs bei waipu.tv gibt.

ARD möchte DVB-T2 treu bleiben

Die Sache hat nur einen Haken: waipu.tv ist als OTT-Dienst von der Verfüg­bar­keit von Internet und Mobil­funk abhängig. Speziell in Krisen­situa­tionen gelten beide Wege als wenig robust, das hatte etwa die Flut­kata­strophe an der Ahr gezeigt. Sich von der Rund­funk-Infra­struktur zu trennen, wäre also grob fahr­lässig. Stand jetzt will die ARD unge­achtet der Probleme bei den Privat­sen­dern an der Terre­strik als Verbrei­tungsweg fest­halten, und kämpft aktuell auch darum, dass das UHF-Band für das Fern­sehen erhalten bleibt.

Es bleibt aber dabei, dass das Poten­zial der Antenne nicht ausge­schöpft wird. Das ist auch umso bedau­erli­cher, da 2024 das Neben­kos­ten­pri­vileg beim Kabel-TV wegfällt und auch die Antenne davon profi­tieren könnte, dass Mieter nicht mehr zur Zahlung von Kabel­fern­sehen gezwungen werden, unab­hängig davon, ob sie es nutzen oder nicht.

freenet dagegen will die Kunden in Rich­tung Internet verla­gern: Ein Hybrid-Stick bei freenet TV soll künftig eine Kombi­nation aus Fern­sehen über Antenne und inter­net­basierten OTT-Ange­boten wie waipu.tv ermög­lichen. Es ist aber frag­lich, ob das tatsäch­lich die Lösung ist, denn rein theo­retisch könnten Kunden von freenet TV auch direkt waipu.tv abon­nieren. Schließ­lich sind alle freenet TV-Programme auch bei der haus­internen Konkur­renz verfügbar.

Down­grade zu SD und kosten­lose Verbrei­tung

Ganz anders sähe es aus, wenn die Privat­sender sich dazu entschließen würden, ihre Verschlüs­selung über Antenne aufzu­geben. Sollte es zu teuer sein, wäre selbst ein Down­grade zurück zu SD möglich, was sogar Platz für zusätz­liche Programme über Antenne schaffen würde. Wer mehr will, auch in HD, könnte waipu.tv als Hybrid-Angebot buchen. Es dürfte aber wohl ein uner­füllter Traum bleiben. Und somit ist der Kunden­rück­gang bei freenet TV tatsäch­lich der Anfang von Ende des Anten­nen­fern­sehens - zumin­dest bei den Privat­sen­dern!

Media Broad­cast will an DVB-T2 fest­halten

In der Zwischen­zeit hat sich Media Broad­cast zum neuen hybriden TV-Stick geäu­ßert: DVB-T2 HD und freenet TV seien und blieben für den Netz­betreiber und die freenet AG stra­tegisch wich­tige und zentrale Kern­pro­dukte, auch über die nächsten Jahre hinaus. "Mit Blick auf den Wegfall des Neben­kos­ten­pri­vilegs beim Kabel in 2024 gehen wir von der Gewin­nung von freenet TV-Neukunden aus, die bisher an das TV-Kabel gebunden waren. Inso­fern inves­tieren wir in einen hybriden DVB-T2/IPTV-Stick, um Kabel­kunden und anderen das beste TV-Erlebnis für die indi­vidu­ellen Empfangs­mög­lich­keiten und TV-Bedürf­nisse zu bieten". Zuschauer sollen aus dem Hause freenet eine Auswahl aus verschie­denen TV-Produkten mit unter­schied­lichen Features bekommen. freenet TV wolle dabei das führende Produkt sein. Weitere Einzel­heiten dazu würden folgen. Wir bleiben am Ball.

In einem weiteren Artikel haben wir noch mehr Infos zu Preis­erhö­hungen bei freenet TV.

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