Editorial

Neuer Vodafone-Chef: Zeit für echten Wandel?

teltarif.de Autor Henning Gajek hat fast alle Chefs bei Mannes­mann/Voda­fone kommen und gehen sehen und ist selbst Kunde im D2-Privat/Voda­fone-Netz - seit 1992. Eine Analyse.
Ein Kommentar von

Über einen Macht­wechsel bei Voda­fone wurde zwar unter Insi­dern immer wieder einmal speku­liert, aber die heutige Meldung kam dann doch ziem­lich über­raschend. Phil­ippe Rogge, bislang Ost-Europa-Manager bei Micro­soft mit Erfah­rungen beim belgi­schen Netz­betreiber Belgacom/Proxi­umus über­nimmt ab dem 1. Juli 2022 den Posten des Voda­fone Deutsch­land CEO von Hannes Amets­reiter, der sich nach sieben Jahren neuen Heraus­for­derungen in der Finanz­welt stellen will.

Auf den neuen Chef kommen eine Menge heraus­for­dernder Themen und Aufgaben zu, die sich in den letzten Jahren ange­staut haben und drin­gend einer Lösung bedürfen.

Probleme seit der Mannes­mann-Voda­fone-Fusion

Wenn man so will, ist seit der spek­taku­lären Über­nahme der Mannes­mann Mobil­funk durch Voda­fone beim deut­schen Ableger der Wurm drin. Zwar ist die deut­sche Filiale eine der finan­ziell wich­tigsten Teile im welt­weiten Voda­fone-Impe­rium. Wenn man aber auf inter­natio­nalen Messen wie dem Mobile World Congress nach Voda­fone Germany fragte, erntete man oft Achsel­zucken und Ratlo­sig­keit. Nein, Vertreter aus Deutsch­land, davon seien keine da.

Viele Probleme: Fest­netz-Mobil­funk-Shops

Die Vodafone-Zentrale in Düsseldorf bekommt einen neuen Chef. Was wird sich ändern? Die Vodafone-Zentrale in Düsseldorf bekommt einen neuen Chef. Was wird sich ändern?
Foto: Vodafone Deutschland
Voda­fone Deutsch­land hat noch eine Menge unge­löster Probleme: Ein Koax­kabel-TV-Netz, das erst nach aufwen­digen Umbau­arbeiten für die gestie­gene Kunden­nach­frage halb­wegs in Frage kam und trotzdem reißen die Klagen nicht ab, wenn das Internet zur Haupt­sen­dezeit fürs Fern­sehen zu ruckeln beginnt. Und das neue TKG erlaubt bald vielen Mietern, aus ihrem Zwangs­kabel-TV-Vertrag auszu­steigen und den Anbieter zu wech­seln. Das wird Voda­fone sicher spüren.

Zu viele weiße Flecken im Mobil­funk

Im Mobil­funk leidet Voda­fone an einem regional mehr als lücken­haften Netz­ausbau. Es müssten viel mehr weiße Flecken (wo absolut kein Netz ist) gestopft werden. Doch das würde wohl empfind­lich viel Geld kosten, was die engli­sche Zentrale drin­gend selbst braucht, um Finanz­löcher in Indien, Spanien, Italien oder anderswo zu stopfen - und die Share­holder zu befrie­digen.

Wer traut sich noch in einen Shop?

Dann ist das Problem der Voda­fone-Partner-Agentur-Shops nicht gelöst, die unter extremen Druck nach "Wachstum-Wachstum" krea­tive Ener­gien entwi­ckelt haben, um ahnungs­lose Kunden "über­zube­raten" und mit zig Mobil­funk­ver­trägen, Kabel-TV-Ange­boten, Internet-TV und vielem mehr zu "versorgen", was die gar nicht brau­chen, wollen oder gar verstehen. Das fand und findet teil­weise "am Rande des guten Geschmacks" statt. Gut infor­mierte Kritiker rechnen schon länger detail­liert vor, wie viel Geld dabei verbrannt wurde, was in der Bilanz eigent­lich drin­gend gebraucht würde.

Händ­ler­pro­vision: Gene­ral­reform erfor­der­lich

Eine wirk­same Lösung würde eine Gene­ral­reform des lang­jäh­rigen Provi­sions- und Abrech­nungs­modells erfor­dern, was zumin­dest kurz­fristig zu Umsatz­rück­gängen führen könnte. Viele Mono-Marken-Shops haben schon für immer geschlossen, weil der Markt eigent­lich mehr als gesät­tigt ist, bzw. weniger echte Neukunden bietet, sondern viele Altkunden, die Hilfe bei bereits verkauften Produkten suchen. Nur wer zahlt die reine Bera­tung dem Shop-Inhaber?

Verträge und Tarife entrüm­peln

Eigent­lich wäre drin­gend eine Tarif­reform ange­sagt, um die durch zig Rabatte und Sonder­kon­ditionen völlig über­las­teten Computer-Systeme (“KIAS“) wieder frisch aufzu­bauen oder zu moder­nisieren. Von einer durch­gängig einmo­natigen Kündi­gungs­frist für alle Verträge, womit verlo­renes Vertrauen wieder aufge­baut werden könnte, will ich gar nicht reden.

Hake­lige Kunden-Schnitt­stellen und Apps

Triviale Dinge, wie die Kunden-Online-Tools oder Apps, womit Kunden ihren Tarif oder Vertrag eigent­lich selb­ständig verwalten könnten, enthalten immer wieder Bugs, die dann die nach Ost-Europa oder nach Kairo (in Ägypten, Afrika) ausge­lagerten Hotlines beschäf­tigen und für erneuten Kunden­frust sorgen.

Rück­kehr der Technik-Hoheit?

Die ursprüng­lich für Deutsch­land zustän­dige Technik-Abtei­lung wurde im Laufe der Zeit immer mehr nach England und in ferne Länder ausge­lagert. Der letzte, in der Branche geschätzte Technik-Chef ist geflüchtet. Auch seine Vorgänger bekamen unter wenig schönen Umständen ihre Hüte gereicht. Inter­essiert die Netz­planer in Newbury, wenn in Falken-Gesäß (ein winzig kleiner Ort im Bundes­land Hessen) absolut gar kein Voda­fone-Empfang ist? Sicher nicht, denn auch im heimat­lichen England soll es wohl noch weitaus mehr und groß­flä­chi­gere Funk­löcher geben.

Bleibt also die Frage, ob der neue Voda­fone-Deutsch­land-Chef diese Probleme angreifen und lösen kann und darf. Hannes Amets­reiter oder seine Vorgänger Jens Schulte-Bockum oder Fried­rich Joussen wüssten dazu sicher einiges zu berichten.

Trotzdem: Ich wünsche dem neuen CEO Philipp Rogge für diese Herkules-Aufgabe viel Glück.