Glasfaser: Angst vor strategischem Überbau
Die Messe ANGA COM ist das Gipfeltreffen der Breitband-Branche "Where Broadband meets content". Wobei der veranstaltende Breitbandverband ANGA e.V. die von knapp 200 Unternehmen der deutschen Breitbandbranche gegenüber Politik und Marktpartnern vertritt. Mit dabei sind bekannte Namen wie Vodafone, Telekom Deutschland, Tele Columbus (Pyur), Deutsche Glasfaser, EWE TEL, Netcologne, M-net, wilhelm.tel/willy.tel und eine Menge Technologie-Ausrüster. Historisch ist der Verband schon 1974 als „Arbeitsgemeinschaft für Betrieb und Nutzung von Gemeinschaftsantennen- und -verteileranlagen“ gegründet worden.
Damals war das Koaxkabel hip
Damals war Kupfer angesagt und das Koaxkabel galt als das Vehikel, um neue (private) Radio- und TV-Programme in die Haushalte zu bringen, weil ARD und ZDF schon damals unterstellt wurde, politisch zu einseitig zu sein. Die Glasfaser gab es damals, technisch gesehen, schon. Doch sie galt in der Branche noch als sehr ferne Zukunftsmusik.
Heute ist Glasfaser angesagt
Ausbau der Glasfaser im Wettbewerb führt hier und da zum Überbau. Ist das vermeidbar?
Foto: Picture Alliance/dpa/BELGA
Heute, fast 50 Jahre später, ist Glasfaser in aller Munde und es ist längst ein offenes Geheimnis, dass es viel zu wenige Glasfaserleitungen hin zu den Privat- und Unternehmenskunden gerade in abgelegenen Regionen gibt.
Vor der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes war jede Art von Signal- und Nachrichtenübertragung gesetzlich geregelt und alleinige Sache der Deutschen Bundespost. Mit der Liberalisierung des Marktes sollte Wettbewerb die Sache regeln, was relativ schnell sinkende Preise und eine Vielzahl neuer Anbieter auf den Markt gebracht hat.
Traum vom "Verschwinden" der Bundespost
Der Traum mancher Wettbewerber, die Nachfolgefirma der Bundespost, nämlich die Deutsche Telekom würde sich schnell in Luft auflösen oder wenigstens zur Bedeutungslosigkeit verkommen, hat sich definitiv nicht erfüllt. Im Gegenteil.
Private Anbieter im Mobilfunk: Anfangs erfolgreich
Im Mobilfunk konnte "D2privat" zunächst erfolgreich Paroli bieten und lag bald vorne, weil sie den Wunsch der Kunden nach besserem Service und mehr Flexibilität (weniger Bürokratismus) verstanden hatten und umsetzten. Doch dann wurde Mannesmann D2privat an Vodafone verkauft, und fortan beherrschten Rendite-Überlegungen das Geschäft. Das hat sich bis heute bitter gerächt.
Dann kamen E-Plus mit kreativen Ideen und viel Chaos und VIAG Interkom (heute o2) mit noch mehr Start-Chaos. Schon ab 2000 war absehbar, dass der Markt für vier Spieler viel zu eng sein würde.
Telekom entdeckt die Glasfaser
Lange hat es dauert, bis die Deutsche Telekom verstanden hat, dass sie ihr Festnetz auf Glasfaser aufrüsten muss. Die private Konkurrenz hatte das früher begriffen und teilweise auch schon umgesetzt. Da aber viele neue kleinere Unternehmen ihr Glück versuchten, war das notwendige Geld Mangelware, und so wurden manche ambitionierten Ausbauprojekte in den Sand gesetzt. Offene Gräben, verschwundene Arbeiter und blockierte Straßen sorgten für Frust. Bürgermeister, Kommunen und Bürger waren die vielen neuen Anbieter schnell leid und riefen lautstark nach der Telekom.
Die verbliebenen Wettbewerber suchten sich neue Partner, schlossen sich zusammen oder werden das noch tun. Wenn aber ein großes Unternehmen aus verschiedenen kleinen Partnern zusammengefügt wird, braucht das seine Zeit und es gibt Friktionen, d. h. es hakt im Getriebe, was die Kunden schmerzlich spüren, wenn der Ausbau ewig dauert oder nicht klappt und niemand zuständig ist oder helfen kann.
Nun ist die Telekom in den Glasfaser-Markt eingestiegen, weil sie erkannt hat, dass ihre treuen Kunden sonst zu neuen Anbietern wechseln und nicht wiederkommen könnten, wenn sie nicht endlich auch Glasfaser bis ins Haus anbietet.
Das ging so lange gut, solange sich Telekom und die Mitbewerber vor Ort nicht in die Quere kamen. Die Politik möchte Marktwirtschaft und sich am liebsten nicht einmischen. Dort, wo der Ausbau offensichtlich nicht rentabel ist, sollen kompliziert zu beantragende Fördermittel den Ausbau ermöglichen.
Lokalpolitiker wollen volle Förderung
Lokale Politiker sind genervt, wenn bei sogenannten "Markterkundungsverfahren" kein Anbieter große Lust zeigt, alles auszubauen oder höchstens die Filetstücke, aber nicht die Randlagen. Also hätten sie gerne am liebsten den kompletten Ausbau vom Bund bezahlt. Dafür reicht aber das Geld nicht.
Alle reden von Open Access
Alle Anbieter singen das hohe Lied vom "Open Access". Was bedeutet das genau? Ein Unternehmen verlegt Leitungen, die anderen Unternehmen sollen diese gegen Miete mitbenutzen. Klingt einleuchtend.
Aber damit sind wir schon beim Problem: Was genau sollen die Konkurrenten denn mitbenutzen dürfen? Reichen die Leerrohre (eine Art riesiger Gartenschlauch, der unter den Straßen liegt), worin dann die mietenden Unternehmen ihre eigenen Glasfasern "einblasen" dürfen? Oder sollen es nackte (unbeleuchtete) Fasern sein, die gemietet werden sollen?
Nein, sagen die frühen Kabelverleger, wir möchten, dass die Telekom oder ein anderer Mitbewerber eine beleuchtete Glasfaser mit einem fertigen Datensignal bei uns mietet, was im Fachjargon BSA (Bitstream Acess) heißt. Die dort verfügbaren Signale werden zunächst zum Vermittlungsrechner des erstausbauenden Anbieters geleitet und erst "weiter hinten" dann an den konkurrierenden Anbieter des Endkunden übergeben.
Für beleuchtete Fasern mit Datensignalen könnte man mehr Geld nehmen. Doch das scheint sich für viele an einer Miete interessierten Konkurrenten dann nicht mehr wirklich zu rechnen. Also mieten sie nicht.
Service-Qualität?
Dann kommen noch die Fragen um die Service-Qualität (wer ist Ansprechpartner, wie schnell werden Störungen behoben, wer ist wofür zuständig?) und die genaue Beschreibung der Produkte. Die Telekom ist bundesweit, die Konkurrenten sind oft nur lokal unterwegs.
Verständlich, dass die Telekom nur begrenzt "Lust" hat, sich auf zig kleinere und Kleinstanbieter einzulassen, weil das auch Ressourcen, Zeit und Geld kostet. Und wenn die Kunden der Telekom nicht in der gewünschten Qualität beliefert werden, weil die Lieferanten versagen, bekommt die Telekom die Prügel dafür.
Da ist die Neigung groß, auch in Regionen, wo die Konkurrenz der Telekom schon gebaut hat oder noch bauen will, ganz schnell auch Telekom-eigene Leitungen zu verlegen. Oft nach dem Motto: Diese Woche bauen die, nächste Woche bauen wir: Straße auf, Straße zu, Straße auf - der Bürger versteht das nicht und ist sauer.
Wunsch nach Koordination
Könnte man das nicht koordinieren? Könnte man schon, aber das ist der Politik zuwider. Soll einem zweiten Unternehmen wirklich mit Bußgeldern "verboten" werden, eigene Leitungen zu verlegen, wenn ein anderes Unternehmen vorher schon da war? Kann verhindert werden, das Unternehmen A nur einen rentablen Teil des Ortes ausbaut und den Rest "vergisst"? Bis wann müssen Ausbauten angemeldet und genehmigt sein, bevor der nächste zum Zug kommen könnte? Könnte mit Partisanentaktik der Ausbau durch andere Unternehmen verhindert werden, obwohl die es selbst auch gar nicht schaffen können oder wollen?
Die Folge wäre eine gigantische Planungsbürokratie, welche die Politik nicht will.
Verpasste Chancen
Eine vernünftige Lösung wäre eine bundesweite Ausschreibung gewesen, wie z. B. beim Autobahnbau. Man hätte Deutschland in Parzellen eingeteilt, die "bewertet" worden wären. Antragsteller hätten neben "guten" Parzellen auch "schlechte" Parzellen (wenige Kunden, weit verstreut) ausbauen müssen. Jeder Anbieter hätte gesagt, welche Fördermittel er braucht, der "günstigste" (mit gewissen Vorgaben) hätte das Rennen gemacht. Klare Zeitvorgaben und eine strikte Aufsicht hätten verhindern müssen, dass Unternehmen sich überschätzen und Gebiete anmelden, die sie nicht geregelt bekommen. Das fand bekanntlich nicht statt.
Eine andere Lösung hätte bei der Liberalisierung des Telekom-Netzes greifen können: Eine staatlich kontrollierte Netzgesellschaft, die nur an Telekommunikations-Anbieter, aber nicht an private oder geschäftliche Endkunden liefern darf. Das wäre eine "Bundespost 2.0" geworden, vermutlich teuer und schwerfällig. So ein Modell gibt es in Großbritannien; das heißt dort "Open Reach" und wird vom "Incumbent" British Telecom betrieben.
Strategischer Ausbau? - Mehr Pragmatismus
Klar: Der Verdacht, das die Telekom "strategisch" überbaut, um sich die lästige Konkurrenz auf Abstand zu halten, wird sich nie ganz ausräumen lassen.
Die pragmatische Lösung kann eigentlich nur Kooperation sein, mit dem Ziel, das Land schnellstmöglichst komplett auszubauen. Die Bundesnetzagentur könnte als Schiedsrichter fungieren, und das Kartellamt sollte seine Bedenken im Sinne eines gemeinsamen Ziels möglichst weit zurückstellen.
Im Idealfall sollte in jedem Ort jeder Kunde bei jedem TK-Anbieter seiner Wahl einen Vertrag abschließen dürfen. Praktisch ist das derzeit nicht der Fall. Baut ein nur regional tätiger "neuer" Anbieter das Netz vor Ort aus, besteht er zumeist auf einem Vertragsabschluss, an den der Kunde mindestens zwei Jahre gebunden ist. Lust, die eigenen Leitungen auch anderen Anbietern zur Verfügung zu stellen, besteht nicht immer, weil man um schwindende Rentabilität oder den Aufwand fürchtet.
BNetzA gefragt
Hier wird wohl unter Aufsicht der Bundesnetzagentur eine Preisfindung notwendig werden, die allen Beteiligten ein Auskommen ermöglicht, auch wenn das der hohen Lehre der Marktwirtschaft widerspricht.
Der Traum der privaten Telekom-Konkurrenz, dass der Staat der Telekom quasi "verbietet", in ihren Gebieten selbst auszubauen, liefe auf staatliche Planwirtschaft hinaus.
Jederzeit mit Überbau rechnen
Das heißt: Alle Anbieter müssen also immer und jederzeit damit rechnen, "überbaut" zu werden. Das wird deren Aktivitäten sicherlich bremsen, weil sie sich jeden Ausbau zweimal überlegen müssen. Die Konkurrenten können nur mit besonders gutem Kundenservice, zuverlässiger Technik und preislich attraktiven Angeboten punkten.
Keine Holterdipolter-Lösungen
Holterdipolter ein paar Glasfasern zu vergraben und den zahlenden Kunden dann im Regen stehen zu lassen, wenn das Netz nicht richtig funktioniert, ist keine Lösung. Dadurch verschreckte Kunden werden bei der Telekom bleiben, und die neuen Anbieter schauen langfristig in die Röhre.
In einem anderen Editorial ging es um Tarifwechselfaulheit.