Themenspezial: Verbraucher & Service Smartphone-Überfluss

Editorial: Wann kommt das nächste große Ding?

Der Smart­phone-Markt ist über­sät­tigt. Selbst Profis fällt es schwer, den Über­blick im Einheits­brei-Wett­bewerb zu behalten, Wann kommt das nächste große Ding?
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Es ist schon eine ganze Weile her, dieses große Ding, was Apple aus dem Sack ließ: Man nehme einen iPod, mixe ihn mit Mobil­funk, tada und man habe ein iPhone. Das war eine tolle Sache, eine Inno­vation, von dessen Hype Apple heute immer noch zehrt. Nach über 14 Jahren ist der Smart­phone-Markt gnadenlos über­sät­tigt. Selbst denje­nigen, die sich intensiv mit den mobilen Compu­tern beschäf­tigen, fällt es schwer, den Über­blick zu behalten. Neue Modelle werden wie am Fließ­band vorge­stellt. Und über­spitzt ausge­drückt sehen die alle gleiche aus.

Paradox daran ist, dass die Hersteller versu­chen, sich mit diesem Einheits­brei auch noch zu über­bieten. Es wird lieber im Strom geschwommen, sicher ist eben sicher. Lieber wird am soge­nannten Bewährten fest­gehalten, lieber noch ein Modell raus­hauen, das eigent­lich genau das gleiche ist wie das Stan­dard-Modell. Der Zusatz "Pro", "Plus" oder auch "Pro+" sugge­riert, hier gibt es mehr. Nur viel ist das oft nicht, im schlech­testen Falle nur ein biss­chen mehr Spei­cher, den man sich zum Nach­teil der Geld­börse des Kunden auch noch teuer bezahlen lässt, oder ein biss­chen mehr Mega­pixel für die Kamera.

Unter­schei­dungs­merkmal: Kamera-Design

Von vorne lassen sich die meisten Smart­phones abseits von Apples breiter Bade­wanne im Display kaum noch unter­scheiden. Die meisten Hersteller setzen auf ein kleines Display­loch, dem Punch Hole. Die Zeit der wilden Expe­rimente mit ausfahr­baren (Oneplus 7 Pro) oder umklapp­baren Kameras (Asus Zenfone 6 2019)) sind vorbei. Das Punch Hole hat sich deshalb bewährt, weil es die elegan­teste Lösung ist, das Display möglichst unter­bre­chungs­frei zu gestalten. Das sorgt dann aber nun mal auch dafür, dass sich die Smart­phones von vorne wie ein Ei dem anderen glei­chen. Aktuelle Smartphones sehen sich meist sehr ähnlich Aktuelle Smartphones sehen sich meist sehr ähnlich
Bild: teltarif.de
Man hat das Gefühl, erst durch das Design der Haupt­kamera besteht die Chance, Modell X dem Hersteller Y zuzu­ordnen. Und bei der Kamera geht es vor allem ums Protzen: Das Smart­phone, das hinten viele Linsen hat, muss was können. Und wenn die Kameras dabei noch richtig schön groß sind, muss es über alle Maßen viel Leis­tung bringen. So wird es zumin­dest sugge­riert.

Samsung stellte kürz­lich das Galaxy S22 Ultra vor. Im Gegen­satz zum Galaxy S22 und Galaxy S22+ bewegt sich das Haupt­kamera-Design mit seiner p-förmigen Optik in eine gänz­lich andere Rich­tung. Doch wo genau muss man nach der Inno­vation suchen? "Episch soll der neue Stan­dard sein", war das Motto des letzten Unpa­cked Events. Da stecken viele Erwar­tungen drin. Am Ende ist das Galaxy S22 Ultra nur ein Nach­folger des Galaxy Note 20 Ultra geworden, mit aktu­eller Technik und hier und da wurde an Schrauben gedreht. Das Samsung Galaxy S22 Ultra ist trotzdem ein ausge­zeich­netes Smart­phone mit einem tollen Display und einer tollen Kamera. Aber nach kurzer Zeit wird es wie viele andere nur eines von vielen sein.

Denn: Je mehr es von ihnen gibt, desto größer ist die Gefahr, dass Smart­phones unin­ter­essanter werden. Es wird auch nicht einfa­cher dadurch, dass die Klassen verschwimmen. Mit aller Kraft werden Ausstat­tungs­merk­male wie hoch­auf­lösende Kameras und Displays mit höheren Bild­wie­der­hol­raten in die Einsteiger- und Mittel­klasse gepresst. Derje­nige, der sich aber nur mal eben ein neues Smart­phone kaufen will oder muss, wird nur noch über­for­derter sein. Und die Einsteiger- und Mittel­klasse-Modelle werden immer besser, was dazu führt: Teuer bedeutet nicht gleich gut und günstig bedeutet nicht gleich schlecht.

Für was entscheidet man sich denn dann?

Je teurer ein Smart­phone ist, desto größer sind die Chancen, dass die Kamera sehr flexibel ist, mit vielen Einstel­lungs­mög­lich­keiten, ihre Low-Light-Perfor­mance auf einem top Niveau ist, es weitere Spie­lereien gibt, die bei güns­tigeren Modellen nicht vorzu­finden sind. Und dass der Hersteller die Modelle lange mit Updates versorgt. Im Einsteiger- und Mittel­klas­sebe­reich ist gerade das Thema Soft­ware ein Punkt, hier werfen einige Hersteller auch schon mal mit Prognosen um sich, trans­parent ist die Politik dahin­gehend jedoch nicht.

Soft­ware-Pech­vogel ist Huawei. Aufgrund des US-Handels­embargos haben die Smart­phones weiterhin keine Google Dienste. Der Hersteller muss sich behelfen, mit einem eigenen App Store oder Hilfe­stel­lungen, dass die Nutzer an YouTube, WhatsApp, Twitter und Co. kommen. Das ist nicht optimal. Wie der Hersteller damit umgeht und ob bald HarmonyOS auch auf Smart­phones in Europa erscheint, machen die Smart­phones des chine­sischen Herstel­lers zumin­dest inter­essanter als andere. Denn: Man lechzt förm­lich nach was Neuem.

Wir vermissen LG

LG verab­schie­dete sich im vergan­genen Jahr aus dem Smart­phone-Markt, zu groß war die Konkur­renz, zu stark der Druck. Dabei gehörte LG zu den Smart­phone-Herstel­lern, die sich was trauten. Während sich Samsung und Huawei im Jahr 2019 im Wett­lauf mit ihren ersten Fold­ables befanden, machte es LG einfach anders und über­raschte für das LG G8X ThinQ mit einem Case, das ein zweites Display bot, und damit die Nutzungs­fläche des Smart­phones erwei­terte. LG Wing LG Wing
Bild: LG
Für Über­raschung sorgt auch das LG Wing, ein Modell mit zwei Displays, das sich durch einen Mecha­nismus drehen ließ. Nicht jeder­manns Sache, aber doch schön anzu­sehen mit dem Wunsch, es mal auszu­pro­bieren. Und das nur aus einem einzigen Grund: Weil es etwas Neues war. Weil sich der Hersteller aus Südkorea traute, aus dem wohlig-warmen Treib­sand des Einheits­breis heraus­zukrie­chen und es zu wagen, gegen den Strom zu schwimmen.

Fold­ables

Smart­phones mit falt­baren Display beleben den Markt immerhin noch mit etwas mehr Span­nung. Vor knapp drei Jahren hatten die Hersteller noch mit ordent­lichen Start­schwie­rig­keiten zu kämpfen, wie Display­pro­bleme beim Galaxy Fold und Beulen beim Moto­rola Razr. Bei den nächsten Gene­rationen - beispiels­weise vom Fold zum Fold 2 - war aber schon ein deut­licher Sprung zu erkennen. Problem: Die Preise der Fold­ables waren und sind jenseits von Gut und Böse. Wenn­gleich Modelle wie das Flip 3 den Weg in den Massen­taug­lich­keit einge­schlagen haben, bleiben sie immer noch etwas Spezi­elles, denn die Expe­rimen­tier­phase ist noch nicht vorüber.

Mit Einfüh­rung des Galaxy S22 Ultra verab­schiedet sich Samsung endgültig von der eigenen Note-Serie. Anstelle deren Neuvor­stel­lung wird vermut­lich alljähr­lich im August das Event mit neuen Fold­ables treten. Andere Hersteller werden folgen. Das dürfte für span­nende Entwick­lungen sorgen. Nur hoffent­lich nicht mit dem glei­chen Effekt, wie derzeit bei den "normalen" Smart­phones.

iPhone 14: Das nächste große Ding?

Viel­leicht wird es bei den Fold­ables noch das nächste große Ding zu erwarten geben, wenn ein Hersteller, der bislang noch nicht auf dem Plan stand, mit einem ersten Display­falter um die Ecke kommt. Viel­leicht ist es zum 15-jährigen Jubi­läum des iPhones aber auch nur das iPhone 14, bei dem sich Apple von der breiten Notch verab­schieden könnte. Das iPhone 14 könnte so aussehen Das iPhone 14 könnte so aussehen
Bild: Jon Prosser, Rendersbyian
Was die Andro­iden schon seit Jahren machen, wird dann wieder gehypet, wie beim 120-Hz-Display vom iPhone 13 Pro. Endlich hat Apple nach­gezogen, dann muss es ja toll sein - oder nicht? Das 120-Hz-Pro-Motion-Display der neuen Pro-Modelle ist auch toll, aber es ist genauso wenig etwas, das auf Dauer für Wow-Effekte sorgt wie eine klei­nere Notch - und schon gar nicht, wenn die vermeint­lichen Game-Changer über mehrere Gene­rationen mitge­schleppt werden.

Die Frage ist: Ist es wirk­lich nötig, einmal im Jahr vier neue iPhones vorzu­stellen oder knapp einen Monat vor dem Galaxy S22 ein Galaxy S21 FE auf den Markt zu spülen - wenn­gleich es sich dabei um ein sehr gutes Smart­phone handelt? Aus der Perspek­tive des Herstel­lers schon, weil so Käufer mit unter­schied­lichen Budgets ange­spro­chen werden. Aus der Sicht des Käufers macht es jedoch weniger Sinn, weil es nur für noch mehr Unüber­sicht­lich­keit sorgt. Samsung verspricht für bestimmte Modelle vier Jahre Android-Updates und fünf Jahre Sicher­heits­updates. Auch Apples iPhones profi­tieren von einem langen Hersteller-Support.

Bitte traut euch was!

Hat man sich gerade an das neue Handy gewöhnt, kommt schon wieder das nächste raus und man fragt sich zwangs­läufig: Ist meines jetzt schon wieder alt? Nein, ist es nicht! Gute Smart­phones haben in der Regel auch gute Ressourcen, starke Prozes­soren und neueste Technik. Kommt dann noch ein entspre­chender Soft­ware-Support hinzu, hat man im besten Fall mehrere Jahre Freude am Gerät. Theo­retisch sollte es genügen, wenn Hersteller ein neues Modell alle zwei Jahre vorstellen, dann wäre die Entwick­lung in der Smart­phone-Tech­nologie zumin­dest deut­lich mehr erkennbar.

Niemand braucht jedes Jahr ein neues Handy. Den Druck, jedes Jahr ein neues Modell vorstellen zu müssen, machen sich die Hersteller nur selbst. Statt­dessen sollten sie sich mehr trauen, bei den Fold­ables hat es ja auch geklappt. Nur weil es Start­schwie­rig­keiten gibt, heißt es nicht, dass das auf ewige Zeiten auch so bleibt. Ansonsten geht es eben nur langsam voran, nach dem Motto: Produkt­pflege statt das nächste große Ding. Und das ist prin­zipiell auch ok, aber dann auch bitte nicht jedes neu hinzu gekom­mene Kamera-Pixel, jedes weitere Hertz bei der Bild­schirm­wie­der­hol­rate oder gar eine neue Gehäu­sefarbe dem poten­tiellen Kunden als ulti­mative Revo­lution verkaufen.

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