Smartphone-Gerüchte

Editorial: Es gibt keine Höhepunkte mehr

Leaks und Gerüchte zu Smart­phone-Neuheiten haben sich förm­lich zu einem Geschäfts­modell entwi­ckelt. Doch zu viel davon macht jede Span­nung zunichte.
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iPhone, Samsung Galaxy, Xiaomi oder OnePlus - Neuvor­stel­lungen von Smart­phones sollen eigent­lich span­nend sein. Die zuneh­mende Dichte von Leaks und Gerüchten sorgt aller­dings genau für das Gegen­teil: Es gibt keine Höhe­punkte mehr. Die Keynote tritt in den Hinter­grund, es fehlt ledig­lich die offi­zielle Bestä­tigung dessen, was bereits Wochen und Monate vorher x-Male durch­gekaut wurde. Und so fragen wir uns dann nach dem Event: Hä, ist das Modell nicht schon längst auf dem Markt?

Der Höhe­punkt vor dem Höhe­punkt

Gerüchteküche: Über viele kommende Smartphone-Neuheiten ist im Vorfeld schon einiges bekannt Gerüchteküche: Über viele kommende Smartphone-Neuheiten ist im Vorfeld schon einiges bekannt
Bild: Image licensed by Ingram Image
Früher gab es nur wenige Quellen mit verläss­lichen Infor­mationen. Leaks und Gerüchte waren daher noch richtig span­nend, wenn rein zufällig das noch nicht offi­ziell vorge­stellte Top-Modell von einem Verant­wort­lichen in der Bahn oder in einer Bar "vergessen" wurde. Es waren auch oft wilde Speku­lationen, bei denen man dachte: Also wenn Hersteller X das tatsäch­lich umsetzt, dann fresse ich einen Besen.

Heute entpuppen sich die vermeint­lichen Gerüchte ziem­lich oft als Wahr­heiten. Sie sind so gut, dass man das Gefühl nicht loswird, irgendwo in der Geheim­hal­tungs­kette muss es tatsäch­lich einen Riss gegeben und jemand muss gesungen haben. Oft sind dann von anonymen Quellen, die nicht genannt werden wollen, oder von mit der Ange­legen­heit vertrauten Personen die Rede.

Geheim­hal­tung ist schwie­riger geworden

Geheim­hal­tung ist aber auch aus anderen Gründen schwie­riger geworden. So benö­tigt nun die Zube­hör­indus­trie schon lange vor dem offi­ziellen Release die Maße neuer Smart­phone-Modelle, um Schutz­hüllen herzu­stellen. Und wenn gleich nach dem Release die Vorbe­stel­ler­phase starten soll, brau­chen Online-Shops vorab offi­zielle Infor­mationen. Da kann es durchaus passieren, dass Daten­blätter und Preise schon mal vor der Keynote verse­hent­lich im Netz landen. Zuweilen basiert ein großer Teil der Leaks auch auf Doku­menten, die von Stan­dar­disie­rungs­orga­nisa­tionen veröf­fent­licht wurden. Auf dieser Basis können 3D-Render­bilder problemlos ange­fer­tigt werden, die aussehen, als handele es sich um offi­zielle Pres­sebilder zum neuen Top-Modell.

Viel­leicht spielt aber auch Hersteller X geheime Infor­mationen Leaker Y zu, nichts ist unmög­lich. Sollte das aber so sein, dann wird auf der einen Seite fleißig geleakt. Jede noch so mick­rige Infor­mation wird bis ins kleinste Detail ausge­schlachtet, um Aufmerk­sam­keit zu bekommen. Leaks sind zu einem Geschäfts­modell geworden, in dem sich die Leaker versu­chen, gegen­seitig zu über­treffen. Das gene­riert schließ­lich auch Klicks auf der eigenen Webseite oder Views bei YouTube, was am Ende oft eine Menge Geld einbringt. Prin­zipiell ist dagegen ja auch nichts einzu­wenden. Wer neue Infos hat und diese teilen darf, soll das auch tun dürfen.

Krampf­hafte Span­nung

Auf der anderen Seite gibt es dann aber vor der Keynote knall­harte Embargos für die Jour­nalisten, denen die Infor­mationen zu den neuesten Smart­phone-Modellen vom Hersteller selbst vorab zur Verfü­gung gestellt wurden. Teil­weise wird dabei vorge­geben, welche Info wann veröf­fent­licht werden darf oder dass erstmal nur ein oder zwei Bilder gezeigt werden dürfen. Da fragt man sich regel­mäßig: "Was soll das?"! Wenn man nicht will, dass die eigent­liche Keynote mehr oder weniger zur lang­wei­ligen Pflicht­ver­anstal­tung für Jour­nalisten verkommt, sollte man als Hersteller nicht noch vorher selbst alle mögli­chen Infos "leaken". Undichte Stellen gibt es immer, aber wer dann auch noch selbst gemachte Pres­sefotos der neuen Geräte in Umlauf bringt, nimmt der offi­ziellen Präsen­tation selbst jegliche Span­nung.

Häpp­chen machen hungrig, XXL-Portionen über­sät­tigen

Letzt­lich liegt es aber auch grund­sätz­lich an der Markt­sät­tigung. Unzäh­lige Smart­phone-Modelle sehen sich so ähnlich, dass man Mühe hat, sie noch vonein­ander zu unter­scheiden (Mehr dazu lesen Sie im Edito­rial: Wann kommt das nächste große Ding?). Dringt dann noch das letzte Quänt­chen Inno­vation vor der Keynote an die Öffent­lich­keit, sorgen die von den CEOs freudig präsen­tierten Geräte nur für ein apathi­sches Kopf­nicken, weil man das ohnehin schon alles weiß. Wenn es um den Preis oder eine Sonder­kon­figu­ration für die eigene Region geht, wacht man dann viel­leicht nochmal kurz auf.

Es ist wichtig, dass darüber gespro­chen und speku­liert wird, was kommt oder in der Entwick­lung ist. Das macht Spaß und ohne Mutma­ßungen würde der Smart­phone-Kosmos auch nicht exis­tieren. Die Leaks und Gerüchte könnten aber deut­lich span­nender sein, indem weniger infla­tionär damit umge­gangen und der Höhe­punkt nicht schon vor der Keynote entwertet wird.

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