Internetpiraterie

Piraterie: Regierung könnte Medienindustrie einseitig bevorzugen

"Wirtschaftsdialog": Reine Lobby-Veranstaltung oder echter Dialog?
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Wirtschaftsdialog: Experte steht Positionen der Medienindustrie sehr nahe "Wirtschaftsdialog": Experte steht Positionen der Medienindustrie sehr nahe
Foto: Kölner Forschungsstelle für Medienrecht / Screenshot: teltarif.de
Das vom Bundeswirtschaftsministerium am 15. März veranstaltete Treffen des "Wirtschaftsdialogs zur Bekämpfung der Internetpiraterie" steht in der Gefahr, eine reine Lobby-Veranstaltung zugunsten der Medienindustrie zu werden. Medienverbände und Internet-Unternehmen sind in großer Zahl eingeladen, doch die Rechte der Internet-Nutzer vertritt bislang niemand. Und auch die Unabhängigkeit der beauftragten "Experten" wird angezweifelt.

Das Bundesminister für Wirtschaft und Technologie hat Ende 2008 den "Wirtschaftsdialog zur Bekämpfung der Internetpiraterie" ins Leben gerufen, in dessen Rahmen Rechteinhaber und Diensteanbieter Möglichkeiten der Zusammenarbeit zur Verbesserung des Urheberrechtsschutzes diskutieren sollen. Konkret geht es darum, ein "Two-Strikes" genanntes Modell umzusetzen, bei dem Anschlussinhaber verwarnt werden sollen, über deren Internet-Anschluss Urheberrechtsverletzungen begangen worden sind. Von der technischen Umsetzung dieses Modells wären insbesondere die Provider direkt betroffen.

Undurchsichtige Studienvergabe und "Experten" in der Kritik

Wirtschaftsdialog: Experte steht Positionen der Medienindustrie sehr nahe "Wirtschaftsdialog": Experte steht Positionen der Medienindustrie sehr nahe
Foto: Kölner Forschungsstelle für Medienrecht / Screenshot: teltarif.de
Auslöser der Kritik am Vorgehen der Bundesregierung ist eine Anfang März präsentierte Studie zu Urheberrechtsverletzungen im Internet, die als Basis des Gesprächs am 15. März dienen soll. Schon die Vergabe der Studie verlief undurchsichtig; das Bundeswirtschaftsministerium wollte bislang nicht veröffentlichen, wer sich für die Durchführung der Studie beworben hat und zu welchen Konditionen die Vergabe erfolgt ist.

Tatsächlich durchgeführt hat die Studie der Gutachter Prof. Dr. Rolf Schwartmann von der Fachhochschule Köln. In der Medienszene ist Schwartmann kein Unbekannter: In den letzten Jahren war er immer wieder durch seine inhaltlichen Positionen aufgefallen, die sehr einseitig die Rechte der Medienindustrie in den Vordergrund stellen. Diese Positionen hatte bereits vor einem Jahr die Piratenpartei kritisch unter die Lupe genommen (dort S. 7). "Sein Part ist [...] nur zu oft der des Anwaltes für Medien- und Rechteverwerter. Dies erschließt sich klar aus den Positionen, die er einnimmt", kritisieren die Piraten. "Extrempositionen juristischer Helfershelfer der Medienkonzerne" dürften sich "nicht durchsetzen".

Daraufhin stellte die Bundestagsfraktion "Die Linke" eine kleine Anfrage an die Bundesregierung, bei der es nicht nur um die Studie zur Internetpiraterie, sondern auch um das ACTA-Abkommen ging. Die Antworten auf diese Anfrage sind bezüglich des Wirtschaftsdialogs und der vorausgegangenen Studie eher ernüchternd: Prof. Rolf Schwartmann habe den Auftrag für die Studie deswegen bekommen, weil er das "wirtschaftlichste" Angebot gemacht habe. Es hätten sich weitere 13 Institute für die Durchführung des Auftrags beworben, doch weitere Details dürfe die Bundesregierung nicht mitteilen, da es sich dabei um eine "Verschlusssache" handele, die nur für den Dienstgebrauch bestimmt sei.

Inhalte der Studie: Nur in Auszügen verfügbar

Die nicht als Ganzes veröffentlichte Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Musik-, Film-, Software-, Buch-, sowie Zeitungs- und Zeitschriftenbranche von Internetpiraterie betroffen sei, wobei die genauen Auswirkungen auf die Umsätze allerdings nur schwer nachweisbar seien. Urheberrechtsverletzungen fänden im Internet insbesondere über Sharehosting- und Streaminghostingdienste sowie Peer-to-Peer Tauschbörsen statt. Alle untersuchten Warnhinweismodelle würden aus technischen Gründen ausschließlich auf die Bekämpfung von illegalen Downloads in Peer-to-Peer-Tauschbörsen abzielen. Über diese würden in Deutschland etwa 20 Prozent der Urheberrechtsverletzungen begangen.

Die Studie hat anscheinend ein so genanntes "vorgerichtliches Warnhinweismodell" untersucht, bei dem im Falle einer Urheberrechtsverletzung dem Anschlussinhaber vom Zugangsanbieter ein Warnhinweis geschickt wird und bei wiederholtem Verstoß dem Rechteinhaber Auskunft über den Anschlussinhaber erteilt werden kann. Das einzige EU-Land mit einem gesetzlich geregelten Warnhinweismodell ist bislang Frankreich. In Irland versendet der größte Provider aufgrund einer Vereinbarung mit vier großen irischen Musikproduktionsgesellschaften freiwillig Warnhinweise an mutmaßliche Urheberrechtsverletzer.

Schwartmann gießt gerne Öl ins Feuer

Bereits in einer Rede von 2009 [Link entfernt] meinte Schwartmann, es sei für eine Forschungseinrichtung wichtig, "unabhängig zu sein". Wissenschaft sei aber "in Zeiten knapper Hochschulkassen häufig nur mit Drittmitteln möglich und aus diesem Grund bisweilen auch nicht immer ganz frei." Seine Forschungsstelle sei allein aus Hochschulmitteln finanziert, beim Masterstudiengang "Medienrecht und Medienwirtschaft" würden aber zwanzig Lehrbeauftragten unter anderem von RTL, Unitymedia, der Deutschen Welle, der Rheinischen Post, dem Axel-Springer-Verlag, von Microsoft und dem WDR sowie der Staatskanzlei NRW unterrichten.

In jüngsten Äußerungen des Wissenschaftlers ist von dieser "Unabhängigkeit" Schwartmanns allerdings wenig zu spüren. In einem aktuellen Artikel für die Lobbybroschüre Musik im digitalen Wandel [Link entfernt] bezieht Schwartmann auf S. 27 sehr einseitig Stellung für die Rechte der Medienindustrie. "Wenn man Stühle herunterladen könnte, dann wäre auch IKEA gegen illegale Downloads", polemisiert Schwartmann. "Weil die Erhaltung der kulturellen Vielfalt und ihrer wirtschaftlichen Basis ein wichtiger und bedrohter Belang des Gemeinwohls ist, sind auch an der Rechtsverletzung nicht direkt beteiligte Private bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben in der Pflicht. [...] Da Provider Rechtsverletzungen Dritter technisch ermöglichen, weil sie das Bindeglied zwischen Verletzendem und Verletztem sind und nicht zuletzt, weil sie an illegalem Traffic verdienen, liegt ihre Mitverantwortung zum Schutz des Urheberrechts auf der Hand", resümiert der Wissenschaftler.

Eine derartige Zuweisung der Mitschuld bei Urheberrechtsverletzungen dürften die beim Wirtschaftsdialog anwesenden Internet-Provider wohl kaum als unabhängiges Expertentum empfinden. Allerdings werden sie bei dem Termin vielleicht die einzigen sein, die die Einführung von "Two-Strike-Warnhinweisen" kritisch hinterfragen können. Denn auf der von der Linksfraktion veröffentlichten Teilnehmerliste des Wirtschaftsdialogs finden sich zwar alle wichtigen Lobbyverbände der Medienindustrie, aber keine einzige Organisation, die die Nutzerrechte vertreten und eventuell andere Alternativen in die Diskussion einbringen könnte.

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