Editorial: Wenn Google streikt
Google gerät zunehmend ins Visier der Politik
Bild: picture alliance/Jeff Chiu/AP/dpa
Man kennt die Tage, an denen aus irgendeinem Grund Google langsam ist
oder gar vorübergehend gar nicht erreichbar, und an denen man sagt:
"Das Internet ist kaputt", obwohl eigentlich nur ein spezieller Dienst
nicht funktioniert. Aber mangels guter Alternativen ist es schwer, ohne
Google irgendwelche Informationen zu finden. Manche Nutzer schaffen
es ohne Google-Suchbox noch nicht einmal, ihre Lieblings-Website
aufzurufen oder sich beim Online-Banking einzuloggen.
Doch dieser Zustand "das Internet ist kaputt" könnte in Australien sogar zum Dauerzustand werden, wenn der Streit zwischen der Regierung und Google noch weiter eskaliert. Stein des Anstoßes ist das geplante australische Mediengesetz, das Google, Facebook und Co. zur Zahlung von Tantiemen verpflichten soll, wenn sie Medieninhalte nutzen. Zunächst soll Google mit den Medien direkt über die Höhe dieses Obolus verhandeln. Wenn diese Verhandlungen erfolglos verlaufen, entscheidet eine staatliche Kommission. Dass letztere Facebook und Google sicher nicht mit den Cent-Bruchteilen davonkommen lassen, die sie derzeit für die Anzeige von "Instant Articles" oder YouTube-Videos als "Werbevergütung" auszahlen, kann man sich denken.
Für Google geht es ums Ganze: Denn sollte das australische Beispiel Schule machen, werden natürlich sofort weitere Länder folgen. Die Zeiten, in denen mit einem Umsatz von 161 Milliarden US-Dollar ein Bruttogewinn von 90 Milliarden US-Dollar generiert werden kann (Geschäftszahlen 2019, Quelle: finanzen.net), also die laufenden betrieblichen Kosten weniger als die Hälfte der Einnahmen betragen, wären dann mit einem Schlag vorbei.
Immer weniger Klicks auf Google-Ergebnisse
Google gerät zunehmend ins Visier der Politik
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Durch immer weitere Verfeinerung der Algorithmen, vor allem aber durch
die Nutzung von KI, ist aus der "Suchmaschine" Google mittlerweile eine
"Antwortmaschine" geworden. Eine typische Suchanfrage eines medizinischen
Laien, der sich gerade den Blutdruck mit einem der frei verkäuflichen
Geräte selber gemessen und das Ergebnis nun einschätzen wollte, lautete
vor zehn Jahren beispielsweise: "Blutdruck Normalwerte". Google antwortete
dann mit zehn Links auf Seiten mit Tabellen für die Einordnung von
Blutdruck-Messergebnissen.
Seit wenigen Jahren präsentiert Google hingegen eine Tabelle als erstes Suchergebnis: Die Werte für "optimalen", "normalen" oder "hoch normalen" Blutdruck werden direkt in den Suchergebnissen ausgegeben. Zwar nennt Google prominent die Seite, der diese Tabelle entnommen wurde, aber der Klick ist in vielen Fällen (nämlich, wenn der eigene Blutdruck noch im "grünen Bereich" liegt) gar nicht mehr nötig, weil man das Ergebnis bereits hat.
Doch die Veränderungen sind noch tiefgreifender. Denn Google ist im Lauf der Jahre immer intelligenter geworden und "versteht" immer komplexere Fragen richtig. Und die Nutzer reagieren darauf und fragen ganz natürliche Fragen: "ist ein blutdruck von 125 zu 88 normal". Und Google antwortet mit einem Zitat von Herzstiftung.de: "Als normal beziehungsweise hochnormal gelten derzeit Blutdruckwerte bis 139/89 mmHg". Weil damit alles geklärt ist - man liegt glücklicherweise noch im normalen bzw. hochnormalen Bereich - bedarf es keines Klicks mehr. Und "herzstiftung.de" als Urheber des Zitats klingt auch vertrauensvoll genug, dass man nicht doch noch nach einer zweiten oder dritten Quelle sucht, um das Ergebnis zu bestätigen.
Verschiebung des Kräftegleichgewichts
Es geht mir mit diesem Beispiel nicht darum, die Nutzung der Inhalte des World Wide Webs durch Googles KI zu verteufeln. Im Gegenteil, die Analyse "menschlicher" Fragen und die Suche direkt passender Antworten erschließt das Wissen des World Wide Web für immer größere Nutzergruppen. Es ist zutiefst demokratisch, wenn Wissen - egal, ob empfohlene Blutdruckwerte oder die Bedeutung eines seltenen Wortes - für alle verfügbar wird.
Andererseits verschiebt sich durch die Technologie das Kräftegleichgewicht zwischen den Inhalte-Produzenten (Verleger, Blogger, YouTuber usw. usf.) auf der einen und den Inhalte-Aggregatoren (Google, Facebook etc.) auf der anderen Seite. Die Aggregatoren können dank immer besserer Algorithmen (und immer besserer Server, auf denen diese Algorithmen laufen) die Nutzer immer länger im eigenen Universum halten. Sie müssen immer weniger rauslinken.
Vor ca. 30 Jahren wurde der grundlegende Deal zwischen Inhalteanbietern und Suchmaschinen geschlossen: Im Gegenzug dafür, dass sie Nutzer zu den Inhalten leiten, dürfen Suchmaschinen das World Wide Web abgrasen und kopieren, sowie in ihren Suchergebnissen kurze Zitate aus den gefundenen Webseiten präsentieren. Wäre es damals darum gegangen, die Inhalte der Webseiten nicht nur in den Index einer Datenbank ("Suchmaschine"), sondern in die künstliche Intelligenz (KI) einer "Wissensmaschine" einzuspeichern, die Inhalteanbieter hätten wahrscheinlich widersprochen. Doch durch die langsame Entwicklung von der Such- zur Wissensmaschine ist genau das nun passiert.
Die Macht der Kartelle
Immer dann, wenn sich neue Technologien entwickeln, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen, die diese Technologien beherrschen, zu mächtig werden. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde Erdöl und die daraus hergestellten Destillate wie Heizöl und Benzin zu immer wichtigeren Produkten. Unter Rockefeller gelang es der "Standard Oil Company", den US-amerikanischen Ölmarkt und auch große Teile des Weltmarkts zu monopolisieren. 1911 wurde das Unternehmen durch ein Gerichtsurteil nach dem Sherman Act jedoch in 34 Einzelunternehmen zerschlagen und damit ein funktionierender Wettbewerb wiederhergestellt.
In den Nachkriegsjahren wurde Telekommunikation immer wichtiger und dadurch die Probleme des von der "Bell Company" (die später in AT&T umbenannt wurde) schon seit Jahrzehnten gehaltenen Monopols immer drückender. 1984 stimmte AT&T der freiwilligen Zerschlagung zu, um einem Urteil nach dem Sherman Act zuvorzukommen.
Über eine Zerschlagung von Google und Facebook nach den Antitrust-Gesetzen wird in den USA bereits seit einiger Zeit offen diskutiert. Die australische Vorgehensweise - die Konzerne bestehen zu lassen, sie aber zur Beteiligung der Inhalteproduzenten an ihren Einnahmen zu zwingen - ist eine mögliche Alternative. Mindestens einen der beiden Schritte wird man in den kommenden Jahren gehen müssen, wenn man es ernst damit meint, die Macht der Internetkonzerne zu beschränken. Und nein, die Staaten sollten sich auch durch Streikandrohungen der Konzerne nicht davon abhalten lassen, das Kräftegleichgewicht zwischen den relevanten Playern im Online-Markt wiederherzustellen.