China-Verhältnisse? Privatfirma filtert das deutsche Internet
Wer als Kunde der großen deutschen Internetanbieter bestimmte Seiten im Internet aufrufen möchte, könnte künftig verstärkt bei cuii.info landen.
Screenshot/Foto/Montage: teltarif.de, Screenshot-Quelle: cuii.info
Die Idee des Internets war, möglichst unbegrenzt und uneingeschränkt Informationen austauschen zu können. Nicht alles, was es im Internet gibt, ist für Jedermann geeignet, beispielsweise nicht für Jugendliche unter 18 Jahren, die aufgrund ihrer Entwicklung und Erfahrung noch nicht einschätzen können, was ihnen da geboten wird. Manches will man auch gar nicht sehen, weil es abstoßend, unmenschlich, Gewalt verherrlichend oder sonst wie verstörend sein kann.
Unliebsame Informationen unerwünscht?
Wer als Kunde der großen deutschen Internetanbieter bestimmte Seiten im Internet aufrufen möchte, könnte künftig verstärkt bei cuii.info landen.
Screenshot/Foto/Montage: teltarif.de, Screenshot-Quelle: cuii.info
Dann gibt es Informationen im Netz, die sich kritisch mit bestimmten Dingen in der Welt auseinandersetzen, welche den vor Ort Herrschenden nicht sonderlich gefallen. Beispiele gibt es genug, sei es die Internetsperren in Myanmar (früher Burma), die "goldene Firewall" in China, in Belarus (Weißrussland) und anderswo.
Sowas gibts nicht in Europa?
Nun werden viele denken, in Europa und gerade in Deutschland sind wir da fortschrittlicher. Leider nicht mehr. Schon bisher konnten schon "schlimme" Seiten gesperrt werden, allerdings erst nach langwierigen Abmahnverfahren und vor allem klar definierten gerichtlichen Entscheidungen.
Medienindustrie in Panik
Nun gibt es die Medienindustrie, die schon seit vielen Jahren mit Argusaugen darüber wacht, welche Musik, Bilder, Filme und so weiter im Internet sichtbar oder hörbar sind. Ganz besonders, wenn es Quellen gibt, wo man diese Inhalte tatsächlich oder vermeintlich "kostenlos" bekommt, obwohl die "Rechteinhaber" dafür liebend gerne Geld sehen möchten.
Musikdownloads damals umstritten, heute legal
Wir erinnern uns an die Musik-Downloadportale (z.B. Audiogalaxy oder Napster), die damals fast jede Musik kostenlos bereitstellten, was den Rechteinhabern schlaflose Nächte und bei Legionen von Anwälten für lukrative Aufträge sorgte.
Dann kamen Unternehmen wie Apple oder Spotify und entwickelten neue Geschäftsmodelle. Der Kunde kann für einen geringen Betrag sein Lieblingslied legal herunterladen und auf Handy, PC oder CD speichern oder zahlt eine geringe Pauschale und kann dafür nahezu jede Musik dieser Welt legal hören, wann immer er oder sie will. Kein User käme da noch auf die Idee, sich diese Musik in fragwürdiger Qualität irgendwo illegal herunterzuladen.
Filme und Serien bleiben weiter schwierig
Bei Filmen oder TV-Programmen will das bis heute nicht so recht klappen. Im Gegenteil: Wer alles, was interessant sein könnte, legal sehen möchte, müsste immer mehr einzelne Abonnements bei immer mehr Anbietern und Portalen abschließen, um alle interessanten Fußballspiele, Fernsehserien etc. noch sehen zu können.
Ergo bildeten sich Portalseiten im Netz, die solche Inhalte scheinbar gratis anbieten. Als Download ist das längst eindeutig strafbar, Streamen war lange eine unklare Grauzone.
Der Weg nach s.to ist versperrt
Eine Warnung im Browser wäre ok, dann könnte der Nutzer selbst entscheiden.
Screenshot: Henning Gajek / teltarif.de
Wer eine umstrittene Seite wie beispielsweise s.to aufrufen möchte, bekommt je nach Browser zuerst eine Fehlermeldung, dass die nachfolgende Seite unsicher sein könnte. Klickt man auf "trotzdem weiter / unsicher" landet man als Kunde eines der großen deutschen Internet-Zugangs-Provider auf einmal auf einer Seite, mit der man nicht gerechnet haben dürfte: https://notice.cuii.info/
CUII mag nicht alle Inhalte
Mit dieser Sperr-Seite von cuii.info hat niemand gerechnet.
Screenshot: Henning Gajek / teltarif.de
Diese sogenannte "Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII)" sieht sich als "unabhängige Stelle". Sie wurde von Internetzugangsanbietern und Rechteinhabern gegründet, um "nach objektiven Kriterien prüfen zu lassen", ob die Sperrung des Zugangs einer "strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite" rechtmäßig ist. Ein "Prüfausschuss" prüfe auf Antrag der Rechteinhaber und empfehle "bei Vorliegen der Voraussetzungen eine DNS-Sperre dieser strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite."
CUII betont, dass die Empfehlung des Prüfausschusses jeweils einstimmig und nur bei eindeutigen Urheberrechtsverletzungen erfolge. Nicht nur das: "Die Empfehlung wird der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA) übermittelt. Ergibt die Prüfung durch die Bundesnetzagentur, dass eine DNS-Sperre unter den Maßgaben der Netzneutralitätsverordnung (Verordnung (EU) 2015/2120) unbedenklich ist, teilt die CUII dies den Internetzugangsanbietern und den Antragstellern mit.
In diesen Fällen sperren die an der CUII beteiligten Internetzugangsanbieter die entsprechenden Domains der strukturell urheberrechtsverletzenden Webseite.
Wer ist die CUII?
In dieser Clearingstelle findet man nicht nur die größten deutschen Internetzugangsprovider wie Telekom, Vodafone, Telefónica oder 1&1, sondern auch Rechteinhaber wie den Börsenverein des Buchhandels, Sky, Motion Picture Association (MPA), Deutsche Fußball Liga (DFL), Bundesverband Musikindustrie, Verband der Filmverleiher oder den Spieleverband Game und STM eine Dachorganisation von akademisch professionellen (Wissenschafts-)Verlagen.
Kein Gericht entscheidet
Ein Gerichts-Entscheidung zu dieser Sperrung gibt es also nicht. Der renommierte Medien-Rechtsanwalt Christian Solmecke von der Kanzlei Wilde, Beuger, Solmecke hat dazu auf YouTube ein Video veröffentlicht, worin er recht deutlich zu dieser Clearingstelle Stellung nimmt.
Youtube-Video von Christian Solmecke
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wer Musiker, Schauspieler oder Autor ist, möchte, will und muss von seiner Arbeit leben können. Falls es alles "umsonst" im Netz gibt, funktioniert das nicht mehr. Wo aber das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, kommt kaum noch jemand auf die Idee, sich Dinge für umsonst zu besorgen, weil "umsonst" mit Nebenwirkungen wie schlechte Kopie-Qualität oder mit Viren oder nerviger Werbung verseuchten Internet-Seiten verbunden sein kann.
Bücher beispielsweise verkaufen sich immer besser, trotz aller digitalen Alternativen.
Aber: Wer partout nichts zahlen will, wird sich von dieser privaten Filterung bestimmt nicht abhalten lassen. Im Gegenteil. Sicher werden einige Nutzer "Jetzt erst recht" rufen und ganz gezielt nach solchen Inhalten suchen. Im Netz kursieren längst Ersatz-Domains oder detaillierte Anleitungen, wie man seinen DNS-Server auswechselt, um weiterhin diese Seiten erreichen zu können.
Wo bleibt die Neutralität?
Internetzugangsanbieter haben Inhalte neutral und diskriminierungsfrei anzubieten. Es steht ihnen nicht an, für eine Seite Partei zu ergreifen. Die Bundesnetzagentur ist als Berater in diesem Falle schlicht nicht zuständig, denn sie hat sich um diskriminierungsfreien Zugang und Wettbewerb im Markt zu kümmern, nicht aber um Inhalte.
Hinweis auf Sperren, wenn man die Seite über alternative DNS-Server ansteuert.
Screenshot: s.to / teltarif.de
Bevor früher oder später ein höchstrichterliches Urteil in Karlsruhe oder Luxemburg diesem Treiben Einhalt gebietet, sei den Akteuren dringend geraten, diesen Quatsch sofort zu beenden.
Wehret den Anfängen!
Denn: Heute werden irgendwelche Rechte-Problem-Download-Seiten gesperrt, morgen irgendwelche Schmuddelseiten. Übermorgen kommen politisch unbeliebte Parteien oder "querdenkende Corona-Esoteriker" oder was auch immer dazu. Wo fangen wir da an und wo hören wir da auf? Wenn Seiten gesperrt müssen (etwa bei (sexueller) Gewalt und gegen Kinder) müssen Gerichte das entscheiden. Fachkundige Internet-Politiker, wie der MdEP-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piraten) plädieren hier für "sofort löschen" - sofern man an die Hoster oder Server-Betreiber ran kommt.
Das Allerhöchste, was man sich vielleicht gerade noch vorstellen könnte, wäre ein Warnhinweis dieser Clearing-Stelle, dass die nachfolgenden Seiten "rechtlich umstritten" sein könnten, der Nutzer sollte sie danach aber weiter selbstständig aufrufen oder seine Surftour freiwillig abbrechen können.
Und mit vernünftiger Medienkompetenz (z.B. als Schulfach) wäre selbst das nicht mehr notwendig.
Darf ein privater Verein wie die Clearingstelle Urheberrecht im Internet (CUII) einfach im Internet nach eigenem Geschmack Seiten sperren? Wer wäre berechtigt und könnte gegen wen wo dagegen klagen? Wir haben einen Rechtsanwalt dazu befragt.