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Editorial: Stecker raus!?

Internetsperren als fragliches Allheilmittel
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Das Internet ist ein Abbild der Gesellschaft: Neben einer großen Masse an vernünftigen Nutzern gibt es eben auch einige Unvernünftige. Die meisten der Unvernünftigen sind wiederum harmlose Spinner, einige wenige sind aber knallharte Psychopathen, die sich am Leid anderer erfreuen. Besonders eklig wird es, wenn zur Befriedigung der Sensationslust von Pädophilen kleine Kinder leiden müssen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es nicht nur in unserem Land einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Kinderpornographie nicht ins Netz gehört.

Doch nur, weil etwas nicht sein soll, heißt das noch lange nicht, dass es nicht ist. Und so finden sich im Netz Server mit Bildern und Videos, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen. Wird ein solcher Server von den Strafverfolgungsbehörden entdeckt, verlangen diese in der Regel vom Betreiber oder Provider die Abschaltung. Doch oft genug scheitern Polizei und Staatsanwaltschaft daran, dass die Betreiber in solche Länder ausweichen, wo sie vor Verfolgung sicher sind.

Die Frage ist: Wie kann man den Abruf der Inhalte dennoch verhindern, wenn man nicht einfach beim Server den Stecker ziehen kann? Als Lösung soll die elektronische Übersetzung eines seit Jahrhunderten bewährten Prinzips zum Einsatz kommen: An der Grenze abfangen. Internet-Sperren, bereits zwischen dem Familienministerium und einigen großen Providern vereinbart, sollen die Nutzer, falls sie eine verbotene Seite anklicken, auf eine STOP-Seite mit Ermahnungen umleiten.

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

In der Internet-Community sorgt das Gesetz für Aufregung. Schließlich sind landesweite Internet-Filter bisher vor allem in wenig demokratischen Ländern wie Iran, China oder Nordkorea im Einsatz. Mit denen möchte man eigentlich nicht auf einer Liste stehen.

Zudem: Sind die Kinderporno-Filter erst einmal installiert, wird das Begehrlichkeiten wecken. Politiker nannten bereits rechtsradikale Inhalte, ganz allgemein kriminelle Sites oder Webseiten mit Killerspielen, die sie lieber früher als später sperren wollten. Auch wenn derartige Sperrlisten-Ausbaupläne von den Parteien derzeit jeweils umgehend dementiert und als Einzelmeinungen bestimmter Politiker herausgestellt werden: Es ist zu befürchten, dass das Prinzip "Sperrliste" sich verselbständigt. Und so könnte der berechtigte Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung zum Einstieg in eine hässliche Internet-Zensur werden.

Aber selbst, wenn die Sperrliste auf Kinderpornographie begrenzt bleibt, stellt sich die Frage: Wer kontrolliert die Kontrolleure? Schließlich stellt der Aufruf der auf der Liste befindlichen Sites eine Straftat dar; eine gesellschaftliche Diskussion darüber, welche Site dort zu Recht steht und welche nicht, ist somit kaum möglich.

Auswirkungen derzeit gering

Aber gerade, weil die Stimmung derzeit so stark gegen die Sperrliste aufgeladen ist, sind deren Auswirkungen gering. Wahrscheinlich kann dem Betreiber einer seriösen Site nichts Besseres passieren, als dass er zu Unrecht auf den Index gerät. Er muss dann nur seine Inhalte auf einen neuen Server aufspielen und alte und neue URL in einschlägigen Foren und Blogs posten. Die Nachricht von der vollkommen unberechtigten Zensur macht dann mit Sicherheit binnen Stunden die Runde und erreicht Abermillionen Internetnutzer. Die zensierte, harmlose, aber vorher auch relativ unbekannte Site wird so stärker frequentiert als je zuvor, der Betreiber über Nacht berühmt.

Vor allem: Wachsam bleiben!

Vor diesem Hintergrund sollte man auch Rhetorik und Argumente der Sperrlistengegner hinterfragen. Auffällig ist es ja schon, wenn mit Jörg Tauss ausgerechnet ein Politiker als Erster gegen die Sperrverfügung klagt, gegen den auch Ermittlungen wegen des Besitzes von Kinderpornographie laufen.

Nach eigener Darstellung hatte Tauss zwar versucht, Kontakte zur Kinderporno-Szene aufzubauen, um "eigene Erkenntnisse für die politische und gesetzgeberische Arbeit zu diesem Thema zu gewinnen", um "neue Taten verhindern zu können" und um "näher an die unmittelbaren Täter heranzukommen und damit einen dieser ominösen 'Kinderpornoringe' aufdecken und anzeigen zu können". Doch warum vernichtete Tauss nicht das erhaltene Material, nachdem er erkannte, dass seine Recherchen diesbezüglich "unergiebig" waren? Die Piratenpartei täte jedenfalls gut daran, sich weniger zwielichtige Fürsprecher zu suchen als den Ex-SPDler Tauss.

Der Staat hat hier seit eh und je ein ganzes Arsenal, um gegen Bürger vorzugehen, die gegen Gesetze verstoßen. Das beginnt mit harmlosen Maßregelungen, wie einer mündlichen Ermahnung, und geht über mittelschwere Sanktionen, wie ein zeitlich befristetes Berufs- oder Fahrverbot, bis hin zu jahrelangem Freiheitsentzug.

Bei einem eiskalten Serienmörder ist es angemessen, dass man ihn jahrzehntelang wegsperrt. Genauso wenig spricht dagegen, den Zugang zu Sites zu erschweren, die die Vergewaltigung von Kindern darstellen. Aber Gefängnisse und Sperrlisten lassen sich auch dazu missbrauchen, einen politischen Gegner mundtot zu machen. Das darf nicht passieren, und deswegen müssen Bevölkerung und Medien wachsam bleiben!

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