TV-Grundversorgung über Wohnungsbetriebskosten abrechnen?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Das Bundeswirtschaftsministerium steht kurz vor dem Abschluss der Ressortabstimmung zu dem Referentenentwurf für ein „Telekommunikationsmodernisierungsgesetz“, mit dem die
Regierung die EU-Richtlinie 2018/1972 über den europäischen Kodex für elektronische
Kommunikation in nationales Recht umsetzen will. Der Entwurf sieht in Artikel 14 eine Änderung
der Betriebskostenverordnung vor, die das sogenannte „Nebenkostenprivileg“ mit einer
großzügig bis Ende 2025 bemessenen Vorlaufzeit abschafft. Die Verordnung regelt, welche
Kostenarten Hauseigentümer Mietern als Nebenkosten laufend in Rechnung stellen dürfen.
Gemäß § 2 Nr. 15b dieser Vorschrift ist der Ansatz der „Kosten ... des Betriebs der mit einem
Breitbandnetz verbundenen privaten Verteilanlage“ zulässig, zu denen auch „die laufenden
monatlichen Grundgebühren für Breitbandanschlüsse“ gezählt werden.
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Dies bedeutet, dass die Wohnungswirtschaft die Kosten einer TV-Grundversorgung über
hausinterne und -externe Breitbandnetze im monatlichen Sammelinkasso als Betriebskosten
gemeinsam mit anderen Positionen an Mieter weitergeben kann. Mieter haben nicht die
Möglichkeit, diese Art des Fernsehempfangs und die damit verbundenen Kosten abzuwählen.
Für etwa 12,5 Millionen Mieter in Deutschland werden damit alternative Fernsehvarianten über ihren Internetanschluss, wie das IPTV-Angebot MagentaTV der Deutschen Telekom oder Streaming-Abonnements z.B. von Netflix, und über terrestrische Rundfunkverteilnetze (DVB-T) weniger attraktiv, weil sie die hierfür anfallenden Kosten zusätzlich zu denen übernehmen müssen, die ihnen für das Fernseh-Basispaket über Breitbandnetze auferlegt werden.
Die Monopolkommission hat deshalb bereits in ihrem Sektorgutachten Telekommunikation 2011 (S. 20) gefordert, § 2 Nr. 15b der Betriebskostenverordnung als wettbewerbsfeindliche „Marktzutrittshürde“ zu streichen.
TV-Versorgung von Mehrparteienhäusern: Profitables Geschäft
Für die Wohnungswirtschaft und Unternehmen, die hausexterne Breitbandnetze betreiben, hingegen ist das Nebenkostenprivileg überaus attraktiv. Viele größere Immobilienunternehmen haben Tochtergesellschaften für den Betrieb hausinterner Breitbandnetze gegründet, die auch die Heranführung von Fernsehsignalen übernehmen und hiermit erkleckliche Gewinne erwirtschaften – nicht zuletzt deshalb, weil sich Mieter nicht gegen (auch bei „Mehrnutzerverträgen“) relativ hohe Preise durch Wechsel zu einer anderen Art des TV-Bezugs wehren können. Für kleinere Vermieter sowie für Verwalter von Wohnungseigentümergemeinschaften ist es bequem, weil sie einen sich über häufig zehn oder mehr Jahre erstreckenden „Gestattungsvertrag“ mit einem Netzbetreiber (z.B. Vodafone, Deutsche Telekom) abschließen können, der Wohngebäude – gegen ein nicht unerhebliches Entgelt – nicht nur mit klassischem Fernsehen versorgt, sondern sich zusätzlich um die Wartung des hausinternen Breitbandnetzes kümmert. Außerdem erleichtert die Regelung es den Netzbetreibern private Haushalte für ihre schnellen Internetanschlüsse zu begeistern, weil sie diese gebündelt mit der Fernsehversorgung und deshalb mit Bequemlichkeitsvorteilen für Konsumenten anbieten können.
Es verwundert daher nicht, dass Interessenverbände von Breitbandnetzbetreibern und der Wohnungswirtschaft nun massiv Front gegen das vom der Bundesregierung angestrebte Ende des Nebenkostenprivilegs machen. Für dessen Fortbestand führen sie in ihren jüngsten Verlautbarungen drei Hauptargumente an.
Gigabitnetzausbau und Nebenkostenprivileg
Erstens verkündet der Branchenverband ANGA, dass mit dem Wegfall der mietrechtlichen Umlagefähigkeit „eine überragend wichtige Grundlage für die Anbindung der Wohnungen an moderne Glasfaser- und Gigabitnetze genommen“ würde. Der Präsident dieses Verbandes lässt sich mit der Aussage zitieren: „Umlagefähigkeit und Netzausbau sind gerade auf den kostenintensiven letzten Metern in die Wohnungen untrennbar miteinander verknüpft. Ohne Kalkulationssicherheit wird sich der Ausbau von ultraschnellen Netzen erheblich verzögern.“ Dieses Szenario wirkt angesichts dessen, dass in Deutschland derzeit erst 11 Prozent der Privathaushalte zumindest bis zum Gebäudekeller an Glasfasernetze angeschlossen sind und der gebetsmühlenartig unterstellten volkswirtschaftlichen Vorteile flächendeckend verfügbarer Gigabitnetze überaus bedrohlich. Tatsächlich verpflichtet aber § 77k Abs. 4 und 5 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) Bauherren bereits seit November 2016 dazu, bei neu errichteten oder umfangreich renovierten Gebäuden, hausinterne Breitbandnetze zu verlegen. Verzögerungsspielräume bestehen hier gar nicht. Bei den übrigen Bestandsimmobilien können deren Eigentümer gemäß § 559 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches grundsätzlich die jährliche Miete um 8 Prozent der für den nachträglichen Einbau hausinterner Breitbandnetze getätigten Investitionen erhöhen. Insoweit besteht – abgesehen vom Risiko zukünftiger Gesetzesänderungen speziell im politisch stark verminten Mietrecht – Kalkulationssicherheit.
Das Nebenkostenprivileg erhöht und beschleunigt auch Investitionen in den Ausbau von Glasfaser auf den letzten Kilometern nicht. Kabelunternehmen wie Vodafone haben diese Gelder bereits für die Umstellung ihrer Netze auf DOCSIS 3.1-Technik ausgegeben. Regional ausgerichtete Konkurrenten der Deutschen Telekom müssen die Glasfaserinvestitionen in jedem Fall tätigen, wenn sie gegen die VDSL-Angebote des Marktführers und Gigabit-Internetanschlüsse von Kabelunternehmen im Breitbandmarkt bestehen wollen. Ebenso hat die Deutsche Telekom angekündigt, in den nächsten Jahren in Glasfaserleitungen bis zum Gebäudekeller zu investieren, obwohl sie darauf drängt, das Nebenkostenprivileg abzuschaffen.
Da die Wohnungswirtschaft dazu tendiert, Gestattungsverträge nur noch mit kürzeren Laufzeiten abzuschließen und § 77k Abs. 3 TKG ein Mitbenutzungsrecht für gebäudeinterne Breitbandnetze einräumt, sollten alle Netzbetreiber ohnehin immer weniger davon ausgehen, mit der TV-Zwangsversorgung als Teil der Betriebskosten über viele Jahre verlässlich Einnahmen erzielen zu können. Die von den Industrielobbyisten behauptete enge Verzahnung zwischen der Umlagefähigkeit einer TV-Grundversorgung über die Betriebskosten auf Mieter sowie Mitglieder von Wohnungseigentümergemeinschaften und dem Ausbau von Gigabitnetzen entpuppt sich bei näherem Hinschauen als Schimäre.
Höhere Verbraucherpreise durch direkte Einzelabrechnung?
Zweitens führen die Verbände der Breitband- und Immobilienwirtschaft an, dass sämtliche Mieterhaushalte bei einer Umstellung von der nicht abwählbaren Fernsehversorgung per Sammelinkasso über die Betriebskosten auf Einzelverträge jährliche Mehrbelastungen von 100 bis 200 Euro zu tragen hätten. In der Tat liegen aktuell bei Einzelverträgen die monatlichen Preise für die Versorgung mit einem TV-Basispaket oft mindestens um den Faktor zwei über den Entgelten von Sammelinkassoverträgen, die sich pro Wohnung zumeist in dem Intervall zwischen 5 bis 15 Euro bewegen und in Extremfällen bei Liegenschaften mit sehr vielen Mietern mit weniger als 3 Euro angesetzt werden. Dieser Preisunterschied entspricht aber keineswegs in den Mehrkosten, die den TV-Paketbereitstellern durch die Mühen einer direkten Einzelabrechnung mit einem Haushalt entstehen. Wie das Beispiel von Internetanschlussanbietern, die ebenfalls jeden Kunden einzeln abrechnen müssen, zeigt, ermöglichen moderne IT-Systeme Einzelabrechnungen, deren Zusatzkosten gegenüber dem Sammelinkasso gegen Null gehen. Damit verfügen die Unternehmen auf der Kostenseite über genügend Spielraum, um auch nach der Beseitigung des Nebenkostenprivilegs Verbrauchern über direkte Einzelverträge eine Basis-TV-Versorgung zu Preisen anzubieten, die nicht von denen abweichen müssen, die heute bei Sammelinkasso verlangt werden. Die Endkundenpreise, die Netzbetreiber und die Wohnungswirtschaft im Rahmen der Betriebskostenabrechnung für Fernsehen ansetzen, werden in erster Linie durch den Wettbewerbsdruck auf den örtlichen Gestattungs- und Wohnungsmietmärkten und nicht durch Fakturierungs- oder andere Produktionskosten geprägt. Die avisierte Mehrbelastung der Mieter resultiert nicht aus einem Naturgesetz. Sie ist Folge einer nicht alternativlosen Strategie, die auf den Fortbestand hoher Gewinnmargen im Geschäft mit der TV-Basisversorgung von Mietern zielt.
Soziale Verwerfungen durch Wegfall der Umlagefähigkeit?
Drittens wird gewarnt, dass eine Abschaffung der Umlagefähigkeit in hohem Maße unsozial sei. Bei wohngeldberechtigten Mietern, wie insbesondere Empfängern von Arbeitslosengeld 2, übernimmt heute der Sozialhilfeträger die Kosten der TV-Grundversorgung als Teil der Wohnungs(neben-)kosten zusätzlich zum Regelsatz. Wenn die TV-Versorgung nicht mehr ein Element der Betriebskosten von Wohnungen wäre, würden sozial schwache Mieter sie aus dem Regelsatz begleichen müssen. Angesichts dieser Lage ist die am nächsten liegende Konsequenz, für Haushalte ohne Fernsehempfangsmöglichkeit über Satellit, Terrestrik oder Internet den Hartz-IV-Regelsatz angemessen um einen marktgerechten Preis für den Bezug eines TV-Basispakets zu erhöhen. Die Beibehaltung des wettbewerbsfeindlichen Nebenkostenprivilegs ist also auch mit Blick auf Empfänger von Sozialleistungen keineswegs zwingend.
Perspektiven
Einige effizient geführte Unternehmen der Immobilienwirtschaft verzichten schon heute darauf, Gewinne mit einer über die Betriebskosten abgerechneten TV-Zwangsversorgung zu erzielen. Sie arbeiten zur TV-Grundversorgung in ihren Gebäuden zwar mit einem Breitbandnetzbetreiber zusammen. Die Entscheidung, ob mit diesem Partner ein Vertrag abgeschlossen werden oder Fernsehen auf einem anderen Weg oder gar nicht in die Wohnung kommen soll, überlassen sie jedoch ihren Mietern (z.B. Gemeinnützige Aktiengesellschaft Ludwigshafen am Rhein [Link entfernt] ) oder stellen eine Grundversorgung ohne Aufpreis zur Verfügung (z.B. Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft).
Die fortdauernden Verweise von Lobbyisten auf vermeintliche Allgemeinwohlvorteile der Beglückung von Mietern mit einem TV-Basispaket über die Betriebskosten ihrer Wohnung erschrecken. Mit der gleichen illiberalen Logik könnten Bundesbürger beim nächsten Autokauf auch zur „Wahl“ eines elektrisch angetriebenen Modells oder zu fleischloser und fettarmer Ernährung an einem Tag pro Woche verpflichtet werden. Branchenvertreter würden an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie auf ihre schablonenhafte Argumentation verzichten und Vor- sowie Nachteile des Nebenkostenprivilegs nuancierter aufzeigen.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.