Netzausbau: Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2021
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Vier Parteien haben bis Ende April 2021 den Entwurf ihres Programms zur Bundestagswahl am 26. September veröffentlicht. Dieser dritte Artikel untersucht (nach dem ersten Teil zum Thema Medienpolitik sowie dem zweiten Teil zur Regulierung digitaler Plattformkonzerne) Aussagen der Wahlprogramm-Entwürfe zum Ausbau von Telekommunikationsnetzen.
Ausbau von Netzen für die elektronische Kommunikation
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Die Linke
Die Partei kündigt an „mit einem öffentlichen Investitionsprogramm die enormen Mängel
bei[m] Breitbandausbau [zu] beheben“ (11; im Folgenden verweisen Ziffern in Klammern auf die Seite des jeweiligen Programmentwurfs zur Bundestagswahl 2021, auf der ein wörtliches Zitat zu finden ist. Da der SPD-Entwurf ohne Seitenzahlen arbeitet, wird bei ihm die Seitenzahl der auf der Website der Partei verfügbaren einschlägigen PDF-Datei genannt.). Das Programm soll sich auf „10 Mrd. Euro jährlich
in ganz Deutschland“ (90) belaufen. Den „Vorrang privater Anbieter sowohl beim Ausbau
als auch beim Betrieb der regionalen Breitbandnetze“ (79) will die Linke abschaffen.
Breitband- und Mobilfunknetze sowie die Deutsche Telekom möchte man „in öffentliche
(oder genossenschaftliche) Hand und in gesellschaftliche Eigentumsformen“ (59) überführen.
Es soll nur noch „ein einheitliches Mobilfunknetz aus einer Hand“ (90) geben. Die Partei
fordert, sämtliche Netze „durch die Kommunen ... dauerhaft in öffentlicher Hand [zu] betreiben“ (90). Allein schon aus technischen Gründen würde eine Umsetzung dieser Forderung
zumindest für Mobilfunk- und überregionale leitungsgebundene Transportnetze zu ineffizienten
Lösungen führen. Außerdem verzichten die Linken auf einen konkreten Vorschlag,
wie die o.g. Enteignungen finanziert werden und ablaufen sollen.
Alles in allem plädiert die Linke beim Bau und Betrieb von Telekommunikationsnetzen unmissverständlich für eine staatsmonopolistisch-sozialistische Ordnungspolitik.
SPD
Die SPD verspricht „die Versorgung aller Haushalte und Unternehmen mit Bandbreite von
mindestens 1 GBit/s [zu] garantieren – durch konkrete, gesetzlich festgelegte Ausbau- und
Versorgungsverpflichtungen und entsprechende Zwischenziele“ (12-13). Wie diese Garantie
finanziell und praktisch umgesetzt werden könnte, wird weder durch den Hinweis, dass „hier ... auch die Netzbetreiber in der Verantwortung [stehen]“ (13) noch durch andere Überlegungen
erkennbar. In der Summe konvergiert die inhaltliche Substanz des Programms im Hinblick
auf den Telekommunikationssektor gegen Null.
Bündnis 90/Die Grünen
Die Grünen nennen aktuelle Fachthemen zum Netzausbau umfassender als die drei politischen
Konkurrenten. So werden die Gestaltung eines Breitband-Universaldienstes zur Absicherung
eines persönlichen Rechtsanspruchs auf einen hinreichend schnellen Internetzugang
zur privaten Nutzung in der Wohnung und unterwegs, die Liefertreue bei der Übertragungsgeschwindigkeit
von Internetanschlüssen, lokales Roaming von Mobilfunknetzbetreibern und
die Beibehaltung von Versteigerungen als vorrangiges Verfahren bei der Vergabe von Frequenzen
erwähnt (72-74). Die Vorstellungen bleiben zumeist sehr allgemein (z.B. Mindestqualität
der Breitbandversorgung, Abruf von Fördergeldern des Bundes zum Netzausbau).
Außerdem werden sie nicht mit der zum Zeitpunkt der Programmveröffentlichung (19.3.2021) bereits im Detail erkennbaren Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) verknüpft (z.B. Universaldienst in §§ 156-157 TKG 2021, Liefertreue in §§ 57-58 TKG 2021, Roaming in § 106 TKG 2021) und sind folglich nicht à jour. Finanzierungsfragen werden nicht angesprochen.
FDP
Die FDP fordert „eine flächendeckende und hochleistungsfähige Mobilfunkabdeckung durch
echten Wettbewerb auf dem Mobilfunkmarkt, ein Glasfasernetz und eine konsequente Hochrüstung
bestehender 4G Netze“ (25). Der Netzausbau soll „mit einem effizienten Auktionsdesign
und durch ein starkes und zeitnahes Controlling des Bundes“ (25) sowie „nachfrageorientiert
und kosteneffizient“ (25) „durch Gigabit-Gutscheine für Privathaushalte und kleine
und mittlere Unternehmen“ (25) erreicht werden. Starke Argumente gegen derartige Gutscheine
werden nicht gewürdigt. Im Mobilfunk greifen die Liberalen technische Trends auf, indem sie „Spezialdienste mit Network-Slicing für zeitkritische Anwendungen ... ermöglichen“
(26) und deren „diskriminierungsfreie Ausgestaltung ... wettbewerbsrechtlich“ (26)
absichern wollen. In einer Gesamtschau lassen sich aus dem Programm telekommunikationspolitische
Positionen (wettbewerbliche Marktordnung, auktionsbasierte Frequenzvergabe)
der FDP klarer als bei den Sozialdemokraten entnehmen.
Zwischenfazit
Beim Ausbau von Netzen zur elektronischen Kommunikation gehen die Programme der Linken und SPD über wenige Schlagworte nicht hinaus. Grüne und FDP erwähnen einschlägige Fachthemen umfassender, bleiben aber hinter dem Status aktueller Rechtsentwicklungen und der wissenschaftlichen Diskussion zurück.
Resümee und Ausblick
Die politische Bedeutung der analysierten vier Wahlprogramme hängt von dem Mandatsanteil der Parteien nach der nächsten Bundestagswahl, ihrer Beteiligung an der Bundesregierung sowie von den Ressorts und sonstigen Spitzenstellen ab, die Parteimitglieder in dieser Regierung übernehmen werden. Es kann deshalb vermutet werden, dass dem Programm der Linken geringste und dem der Grünen die größte Relevanz zukommen wird. Das Programm der Grünen zeichnet sich gegenüber den andern drei Absichtserklärungen durch eine relativ umfassende Benennung digital- und medienpolitischer Themen, aber durch die geringsten inhaltlichen Festlegungen aus. Auf diese Weise maximiert die Partei ihre Chancen, keine Wählergruppe zu verschrecken und in der Folge durch eine Regierungsbeteiligung ihre politischen Vorstellungen realisieren zu können. Zudem spricht die Unbestimmtheit auf dem hier untersuchten Politikfeld dafür, dass die Grünen – und auch wohl die Linke, SPD und FDP – es allen Lippenbekenntnissen zur enormen Wichtigkeit der gesellschaftlichen Digitalisierung zum Trotz nicht als kritisch für ihre Wahlaussichten einstufen. Die Linke, SPD und FDP orientieren sich jeweils in ihren Wahlprogrammen bei der Digital- und Medienpolitik stärker als die Grünen am Markenkern der Parteien. Allerdings werden auch in diesen drei Programmen Positionen nicht nachvollziehbar begründet. Bei wichtigen Aspekten sind die Vorstellungen veraltet, weil sie den Stand der Rechtssetzung und der Fachdebatten zu wenig beachten.
In Deutschland wird gegenwärtig, nicht zuletzt angesichts von Schwachstellen im Umgang mit der Corona-Pandemie, von vielen beklagt, dass das Land bei der Digitalisierung international keine Spitzenposition einnimmt. Die Programme von vier Parteien für die Bundestagswahl 2021 vermitteln nicht den Eindruck, dass dieser Rückstand durch fachkundige Wettbewerbs- und Verbraucherschutzpolitik rasch aufgeholt werden dürfte. Es bleibt zu hoffen, dass diese Einschätzung zu pessimistisch ist, weil die Effekte von Wahlprogrammen auf das praktische Handeln der Bundesregierung und der Bundestagsparteien auch in der 20. Legislaturperiode gering ausfallen werden könnten.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen. E-Mail: torsten.gerpott@uni-due.de.