VATM und Dialog-Consult: Aufbruch-Stimmung im Markt
Regelmäßig stellen der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Dialog Consult ihre aktuelle TK-Marktstudie 2021 vor.
Der Tenor: Auf dem Telekommunikationsmarkt und beim Gigabit-Ausbau in Deutschland herrsche "eine absolute Aufbruchstimmung."
Soviel Geld wie seit 20 Jahren nicht
So nahmen die Unternehmen und dazugehörigen Investoren in diesem Jahr so viel Geld in die Hand, wie seit 20 Jahren nicht mehr, um Highspeed auszubauen, ergibt die Studie: Die Investitionen belaufen sich dieses Jahr über alle Anbieter auf 10,8 Milliarden Euro. Den deutlichen größeren Anteil würden dabei mit 6,2 Milliarden Euro die Wettbewerber tragen.
„Und das könnte sich in den nächsten Jahren noch verstärken“, sagte Studienautor und teltarif.de-Gastautor Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, der wissenschaftlicher Beirat der Unternehmensberatung DIALOG CONSULT und Inhaber des Lehrstuhls für TK-Wirtschaft an der Universität Duisburg-Essen ist, bei der Vorstellung.
Bis Jahresende Gigabit für 66 Prozent der Haushalte?
Der VATM und die Dialog-Consult haben die TK-Marktanalyse für 2021 vorgelegt.
Grafik: VATM / Dialog-Consult
Mit 31,4 Millionen verfügbaren Gigabit-Anschlüssen stünden Ende des Jahres für rund 66 Prozent der deutschen Haushalte gigabitfähige Netze zur Verfügung. Bei den verfügbaren gigabitfähigen Anschlüssen – "HFC"-TV-Kabel-(nach DOCSIS- Standard 3.1)- und FTTB/H-Anschlüssen (Glasfaser bis ins Haus oder die Wohnung) - gehe es 2021 deutlich voran.
Mehrheit von alternativen Anbietern?
Neun von zehn dieser Anschlüsse, die gebucht werden, stammten von den alternativen Anbietern, betonen die Autoren der Studie. Beim Neubau von Glasfaseranschlüssen bis ins Haus oder die Wohnung (FFTB/H) sei mit 2,1 Millionen ein neuer Höchststand innerhalb eines Jahres erreicht worden, die Zahl der „echten“ Glasfaseranschlüsse (also bis ins Haus oder die Wohnung) sei um fast 40 Prozent auf 7,5 Millionen gewachsen.
Mehr als ein Drittel davon wurde von den Kunden auch gebucht. „Die Telekom holt bei den Glasfaseranschlüssen zwar auf, vermarktet diese aber noch nicht so erfolgreich wie die Wettbewerber“, ermittelte Prof. Gerpott.
Kabel-TV auf DOCSIS 3.1 aufgerüstet
Die Aufrüstung der Kabel-TV-HFC-Netze und die Aufrüstung auf den aktuellen DOCSIS 3.1-Standard, der Gigabit-Geschwindigkeiten erlaubt, stehe in Deutschland vor dem Abschluss. Insgesamt sei die Zahl der verfügbaren Gigabitanschlüsse in Breitbandkabelnetzen 2021 nochmals um 1,2 Millionen auf fast 24 Millionen Anschlüsse gestiegen. Die Frage, ob Glasfaser oder HFC-Kabel besser sei, stelle sich nicht. Allerdings gibt es inzwischen einige Kunden, die über beide Technologien erreichbar sind.
Der Trend zu schnelleren Anschlüssen setze sich fort, wozu auch die Corona-Pandemie mit Homeoffice und -schooling beigetragen habe. Mehr als die Hälfte nutzten Bandbreiten von mehr als 50 MBit/s. Bereits 5,4 Millionen hätten "sehr schnelle" Anschlüsse (mit mehr als 250 MBit/s auf der Basis von Kabel-TV- oder Glasfasernetzen gebucht, davon zwei Millionen mit mindestens 1 GBit/s. Damit habe sich die Kundenzahl in diesem Segment innerhalb eines Jahres verdoppelt.
Datenvolumen nimmt weiter rasant zu
Der Datenhunger steigt: Im Festnetz wird in diesem Jahr erstmals die 100-Milliarden-Gigabyte-Grenze übersprungen (aktuell 102 Milliarden) also 34 Prozent mehr als im Vorjahr. Das durchschnittliche Datenvolumen pro Anschluss und Monat beträgt 230,7 Gigabyte (+30 Prozent).
Im Mobilfunk übertragen Nutzer 2021 insgesamt rund sechs Milliarden GB – eine Steigerung von 33 Prozent oder pro Monat durchschnittlich 3,3 GB pro mobilem Nutzer.
Dreiviertel der Ende 2021 aktiven "persönlichen" Mobilfunk-SIM-Karten erlaube es 4G oder 5G-Netze zu nutzen. „Die Anzahl der 5G-fähigen SIM-Karten hat sich innerhalb eines Jahres auf 10,8 Millionen mehr als verdreifacht, so Gerpott bei der Vorstellung des Zahlenwerks.
Es wird mehr gesprochen
Telefonie erfreute sich 2021 wachsender Beliebtheit. Täglich wurde rund 963 Millionen Minuten im Durchschnitt telefoniert. 2020 waren es noch 16 Prozent mehr als vorher gewesen, 2021 stieg es nur noch um vier Prozent.
2020 stieg erstmals seit 13 Jahren die Zahl der Festnetzminuten – und dieses Jahr wurde noch häufiger per Festnetz telefoniert: Durchschnittlich 296 Millionen Minuten pro Tag. (plus vier Prozent). Häufiger und länger greifen die Anwender zum Smartphone: 433 Millionen Minuten täglich, 234 Millionen Minuten über OTT-Anbieter wie Facebook, WhatsApp, Facetime, HangOut, Skype oder ähnliche Anwendungen.
Festnetzumsatz seit 2016 leicht erstmals steigend
Der Gesamtumsatz aller TK-Anbieter steigt 2021 um 1 Prozent auf 59,1 Milliarden Euro, im Mobilfunkmarkt wachsen die Erlöse auf 26,1 Milliarden Euro (+200 Millionen). 17,9 Milliarden (+100 Millionen) entfallen auf die Wettbewerber und 8,2 Milliarden Euro auf die Deutsche Telekom.
Im Festnetzmarkt werden die Unternehmen stabil 33 Milliarden Euro (+400 Millionen) umsetzen – 15,5 Milliarden Euro davon entfallen auf die Telekom (-200 Millionen Euro), die privaten Wettbewerber (ohne Kabelnetze) werden dieses Jahr 11,4 Milliarden Euro verbuchen (+500 Millionen).
Der Kabel-TV-Markt wächst auf 6,1 Milliarden Euro (+0,1 Prozent). Damit legten die Wettbewerber beim Umsatz sowohl im Teilmarkt Festnetze als auch im Teilmarkt Mobilfunknetze leicht zu.
Wichtiger Geschäftskundenmarkt
Der Geschäftskundenmarkt bleibt weiter hart umkämpft. Hier sind die Wettbewerber noch sehr stark auf die Vorleistungen der Telekom angewiesen, trotz oder wegen der zweiten Vectoring-Entscheidung der Bundesnetzagentur.
Während die Telekom rund 11,8 Milliarden Euro mit Geschäftskunden umsetzen werde, seien es bei den Wettbewerbern 9,2 Milliarden Euro (Anteil 44 Prozent).
VATM-Präsident: Realistische Ziele, richtige politische Maßnahmen
VATM-Präsident David Zimmer freut sich, dass die privaten Anbieter beim Gigabit-Ausbau aufholen konnten und an der Leistungsgrenze der verfügbaren Baukapazitäten arbeiten. Das sei dem Wettbewerb zu verdanken. Man baue schneller, als vermarktet werden könne. Dennoch bleibe der zügige weitere Ausbau von digitalen Netzen eine zentrale infrastrukturpolitische Herausforderung.
Zimmer findet, dass die neue Bundesregierung "hierfür umgehend die Weichen stellen“ müsse.
Privat vor Staat
Die auf 2025 ausgerichteten Ausbauziele seien aber nicht zu schaffen, es sei Handlungsperspektive bis 2030 notwendig. Ausbauplanungen und Förderkonzepte der alten Bundesregierung hätten die Marktdynamik nicht berücksichtigt. Notwendig sei ein „wirklich wettbewerbs- und innovationsfreundliches Umfeld".
Genügend Geld vorhanden
Für den Breitbandausbau, gerade auch für den ländlichen Raum, stünden mehr als 30 Milliarden Euro private Investitionsmittel allein der Wettbewerber zur Verfügung, 40 bis 45 Milliarden Euro seien insgesamt zugesagt – mehr als je zuvor. Damit, so rechneten die Experten vor, seien alle Hausanschlüsse in Deutschland in direkter Glasfaser-Technik ins Haus bis 2030 realisierbar, wenn man von durchschnittlichen Baukosten von etwa 1500 Euro pro Anschluss ausgehe.
Die aktuelle Förderung verzögere den Ausbau nur um zwei bis drei Jahre und dürfe einen möglichen eigenwirtschaftlichen Ausbau nicht verhindern.
Übergangslösung mit Funk oder Satellit
Selbst ein Recht auf schnelles Internet oder weitergehende Versorgungs- und Ausbauverpflichtungen könnten die Leistungsfähigkeit der alten Kupferdoppeladernetze nicht verbessern oder die Bau- und Fachkräftekapazitäten erhöhen. „Für die Zeit bis zum kompletten Glasfaserausbau brauchen wir eine unkomplizierte Übergangslösung, um die digitale Teilhabe aller Bürger zu ermöglichen. Das könne ausschließlich per Funk oder Satellit erfolgen“, findet Zimmer.
Der neue Digitalisierungszuschuss des Verkehrsministeriums (BMVI) sei "leider unbrauchbar", da nur etwa ein Prozent der Problemfälle abgedeckt werde und er "um Jahre zu spät" abrufbar sei.
Weit über 200.000 einzelne Gebäude verfügten bundesweit in an sich gut versorgten Gebieten aufgrund der Physik zu langer Kupferdoppeladerleitungen nicht über schnelles Internet. Hier müsste eine Funklösung her, bis terrestrisch ausgebaut werden könne.
Baukapazitäten ausgeschöpft - kaum Fachkräfte frei
Da Baukapazitäten und Fachkräfte auch in Zukunft nur begrenzt verfügbar sein dürften, will der VATM alle Möglichkeiten genutzt wissen, um schneller bauen zu können.
Ein heißes Thema sind die "modernen Verlegeverfahren": Hier könnte "Mindertiefe" und "Trenching" mehr Ausbau-Geschwindigkeit bringen, stößt aber bei Städten und Gemeinden auf Widerstand, weil spätere Tiefbaumaßnahmen für Gas, Wasser oder Kanal leicht zum Ausfall der schnell "oben drüber" verlegten Glasfaserleitungen führen könnten.
Schnellere Genehmigungen
Einigkeit herrscht darüber, dass bundesweit harmonisierte und digitalisierte Antrags- und Genehmigungsverfahren werden, weil es einfach viel zu lange dauert.
„Wir brauchen einen verbesserten Rahmen für innovative digitale Anwendungen, vor allem bei Verwaltung und Gesundheitswesen, die konkreten Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger mit sich bringen und die Nachfrage nach Gigabit-Anschlüssen stimulieren“, fordert der VATM-Präsident. Der Staat müsse zum Anbieter und zum Nachfrager solcher digitalen Dienste werden.
Digitalministerium mit Macht und Mitteln gefordert
Ein Digitalministerium, das im Ressortprinzip Mitspracherecht und entsprechende Mittel hat, hält der VATM für sinnvoll. Es solle eine mit ausreichend kompetentem Personal ausgestattete Digitalagentur sein, "die zugkräftig agiert, bestehende Projekte vernetzt, Synergien kreiert und die Konzepte, Strategien und Maßnahmen effizient in die Praxis überführt.“
Prof. Gerpott ist hier eher skeptisch, er findet, dass viele Aufgaben einer Digitalagentur oder der Mobilfunk-Ausbau-Gesellschaft MIG auch von der Bundesnetzagentur geleistet werden könnten.
Die komplette Marktstudie steht zum Download bereit.