Digital-Konzerne: Parteiprogramme zur Bundestagswahl 2021
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Vier Parteien haben bis Ende April 2021 den Entwurf ihres Programms zur Bundestagswahl am 26. September veröffentlicht. Dieser zweite Artikel untersucht (nach dem ersten Teil zum Thema Medienpolitik) Aussagen der Wahlprogramm-Entwürfe zur Regulierung digitaler Plattformkonzerne.
Digitale Plattformkonzerne
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Die Linke
Die Linke will die wirtschaftliche und politische „Macht der Internetkonzerne und Plattformen“
(89; im Folgenden verweisen Ziffern in Klammern auf die Seite des jeweiligen Programmentwurfs zur Bundestagswahl 2021, auf der ein wörtliches Zitat zu finden ist. Da der SPD-Entwurf ohne Seitenzahlen arbeitet, wird bei ihm die Seitenzahl der auf der Website der Partei verfügbaren einschlägigen PDF-Datei genannt.), von denen sie explizit „Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft“ (89)
nennt, durch Zerschlagung der Unternehmen begrenzen. An deren Stelle sollen „commonsbasierte
öffentliche Alternativen“ (90), „Plattformgenossenschaften und öffentlich-rechtlich
betriebene Plattformen“ (90) sowie Dorfläden „mit Zugang zu Bestellplattformen der regionalen
Produzenten“ (80) gefördert werden. Was man mit diesen Schlagworten und Förderung
meint, wird nicht verdeutlicht. Ebenso irritiert, dass die Linke seit langem belegte und
schon in Einführungslehrbüchern erklärte Größen- und Verbundvorteile in der Plattformökonomie
sowie die sich aus ihnen ergebenden Tendenzen zur Marktkonzentration auf wenige
Anbieter oder gar zum „Kippen“ in Richtung eines Monopols ignoriert. Eine solche Programmatik
ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls anmaßend. Sie lässt die Verschwendung
von Steuergeldern für Dezentralisierungs- und Kooperationsideologien befürchten.
Die Partei strebt ein „Plattformstrukturgesetz“ (90) und für Wettbewerber „ein Zugriffsrecht
auf Daten von Plattformen .., die auf Datenmonopolen basieren“ (90), an. Die Linke hinkt
mit diesen Forderungen dem Status quo hinterher. Auf der EU-Ebene beinhaltet der Vorschlag
der Europäischen Kommission vom 15.12.2020 für einen „Digital Markets Act“
(DMA) Möglichkeiten für Kartellbehörden ökonomisch bedeutsame Plattformkonzerne aufzuspalten
(Art. 16 Abs. 1 DMA) und ihnen vorbeugend die Verpflichtung, Wettbewerbern
Datenzugang zu gewähren (Art. 6, Abs. 1, lit. i DMA), aufzuerlegen. Äquivalente Interventionsoptionen
wurden auf nationaler Ebene in Deutschland mit der am 19.1.2021 in Kraft getretenen
10. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) für das Bundeskartellamt
im Hinblick auf strukturelle Eingriffe (§ 32 Abs. 2 GWB) und Vorfeldverbote
beim Datenzugang für Wettbewerber großer Plattformbetreiber (§ 19, Abs. 2 Nr. 4, § 19a,
Abs. 4 und § 20 Abs. 1a GWB) geschaffen.
Bei der Menge der über große digitale Plattformen verbreiteten Inhalte liegt es nicht fern, dass deren Betreiber illegalen Uploads nicht von Hand, sondern nur unter Einsatz intelligenter Algorithmen weitgehend maschinell automatisiert im Netz entgegentreten können. Dennoch lehnt die Linke Upload-Filter zum Schutz von Urheber- und Persönlichkeitsrechten vor allem auf Plattformen zum Teilen von Inhalten ebenso ab wie die – derzeit in § 3 Abs. 2 Netzwerkdurchsetzungsgesetz verankerten Regelungen zur – Sperrung von Inhalten durch Betreiber sozialer Netzwerke ohne richterlichen Beschluss. Diese Sicht ist populär. Sie klärt aber nicht, wie die Partei Persönlichkeits- und Urheberrechtsschutz im Netz trotzdem angemessen vorantreiben will. Zwar fordert die Linke die strafrechtliche Verfolgung von „Hasskriminalität gegen queere Menschen, Communities oder ihre Unterstützer*innen“ (104). Darüber hinaus gehende differenzierte Überlegungen zum Umgang mit Hasskriminalität auf digitalen Plattformen sucht man in ihrem Programm vergeblich.
Netzneutralität soll „grundgesetzlich gesichert werden“ (91). Warum der bestehende Schutz der Netzneutralität in der Verordnung (EU) 2015/2120 nicht ausreichen könnte, erklärt die Partei nicht.
Insgesamt zeichnen sich die Ausführungen zu großen Betreibern digitaler Plattformen im Programm der Linken durch einen feindselig-aggressiven Ton und ein Ausblenden der wissenschaftlichen Fachdiskussion aus.
SPD
Die SPD verspricht für Betreiber großer digitaler Plattformen „gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten eine starke und präzise Regulierung“ (14) zu schaffen, die gesetzliche Interoperabilitätsverpflichtungen für Messenger-Dienste, soziale Netzwerke und digitale Plattformen sowie eine Integration von „ex-ante-Kontrollen“ (14) in das Kartellrecht beinhalten soll. Große Digitalkonzerne möchte die Partei „durch neue europäische Instrumente ... zähmen oder notfalls .. entflechten“ (14). Auch bei der SPD bleibt unverständlich, warum sie nicht zu einschlägigen aktuellen Gesetzesänderungen oder -initiativen zur Interoperabilität von Plattformen (§ 19a Abs. 2 Nr. 5 GWB, Art. 6 Abs. 1 lit. f DMA) und zur Begrenzung ihrer Marktmacht (vor allem § 19a und 20 GWB, Art. 5 und 6 DMA) Position bezieht, sondern sie außer Acht lässt.
Ebenso wie die Linken wünschen sich die Sozialdemokraten, dass „es .. Alternativen zu den großen Plattformen .. mit echten Chancen für lokale Anbieter“ gibt (14). Sie wollen deshalb „Plattformen für den regionalen Handel und regionale Dienstleistungen fördern“ (14). Ökonomische Mechanismen auf Online-Vermittlungsmärkten werden damit verkannt oder als durch politischen Willen überwindbar interpretiert (s.o.). Die Finanzierung der angekündigten Förderung bleibt im Dunkeln.
Hasskriminalität und anderen Straftaten im Internet will die SPD begegnen, indem sie Plattformbetreibern auferlegt, „Voraussetzungen für eine grundsätzliche Identifizierbarkeit“ (14) von Verdächtigen zu schaffen, „die nationalen Schutzvorschriften im Strafgesetzbuch und Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (15) weiterentwickelt und „verbindliche Regelungen auf europäischer Ebene (Digital Service Act)“ (15) sowie „europäische Frühwarnsysteme gegen Desinformationskampagnen“ (53) vorantreibt. Abwägungen zwischen dem Schutz der Persönlichkeit sowie der Rede- und Informationsfreiheit im Netz sind bei den Sozialdemokraten ebenso wenig zu finden wie Anhaltspunkte zur praktischen Umsetzung des erwähnten Frühwarnsystems.
Alles in allem formuliert die SPD ihre Vorstellungen zum Umgang mit digitalen Plattformkonzernen etwas weniger aggressiv und klar als die Linken. Inhaltlich liegen die beiden Parteien auf diesem digitalpolitischen Feld jedoch sehr nah beieinander.
Bündnis 90/Die Grünen
Auch die Grünen beabsichtigen, „Dienstleistungen von Plattformen... und .. [deren ] Marktmacht [zu] regulieren“ (38). Sie äußern sich dazu materiell allerdings eher nebulös. Eine Positionierung zum DMA, der in Art. 5 und 6 lange Listen einschlägiger Verhaltensauflagen enthält, sucht man im Programm vergeblich. Einerseits soll in Deutschland das Bundeskartellamt zukünftig bei „Internetgiganten ... Erwerbsvorgänge“ (40) prüfen. Andererseits befürwortet die Ökopartei ein eigenständiges europäisches Kartellamt, um eine „europäische Digitalaufsicht [zu] etablieren“ (40). Wie eine parallele Kompetenzerweiterung des Bundeskartellamtes und eines europäischen Kartellamtes harmonieren soll, bleibt im Dunkeln. Ebenso lässt die Partei offen, ob Entscheidungen zur geforderten Option der Aufspaltung von großen Digitalkonzernen „unabhängig von einem Missbrauch ..., wenn ihre Marktmacht zu groß wird“ (41), vom Bundeskartellamt oder der Kommission gefällt werden sollten. In jedem Fall planen die Grünen die Unterstützung von „Smart-City-Projekte[n zum] Aufbau unabhängiger digitaler Plattformen, mit denen der örtliche Einzelhandel attraktivere Angebote machen kann“ (73). Dies deutet auf den Einsatz von Steuergeldern für wirtschaftspolitisch ineffiziente Förderprogramme (s.o.) hin.
Bei der Bekämpfung von „Hasskriminalität im Netz“ (96) vertrauen die Grünen vor allem auf eine „zügige Umsetzung des europäischen Digital Services Act“ (96; DSA). Dieser EU-Verordnungsentwurf verlagert die Kontrolle und Rechtsdurchsetzung gegenüber großen Plattformen im Zusammenhang mit der Verbreitung illegaler Inhalte auf die Europäische Kommission, die dabei durch eine neu einzurichtende zentrale EU-Behörde unterstützt werden soll (vgl. insbesondere Art. 47 Abs. 2 lit. b, 48 Abs. 4 und Art. 58 Abs. 3 DSA). Das blendet das Programm aus, wenn es parallel für Deutschland im gleichen Absatz zusätzlich zu den bereits vorhandenen Landesmedienanstalten ohne Nutzen-Kosten-Erwägungen eine „gemeinsame Medienanstalt der Länder“ (96) fordert. Hier hatte man nicht den Mut, den hintergründig mitschwingenden Zweifel an der Wirtschaftlichkeit der heutigen Organisation mit 14 Anstalten, pointierter auszudrücken. Die Grünen akzeptieren „eine Verpflichtung zum Einsatz von Uploadfiltern“ (96) ebenfalls nicht. Nicht erörtert wird damit, wie die Partei Persönlichkeits- und Urheberrechtsschutz sowie Rede- und Informationsfreiheit austarieren will.
In der Summe hinterlässt das grüne Programm zu digitalen Plattformkonzernen einen ambivalenten Eindruck: Einerseits findet man Hinweise auf nuancierte Kenntnisse der einschlägigen Fachdebatten. Andererseits mangelt es an präzisen, in sich widerspruchsfreien wirtschaftspolitischen Vorschlägen zu dieser Anbietergruppe.
FDP
Die Liberalen fordern, dass Digitalkonzerne „einer speziellen Regulierung unterworfen werden“ (8), um zu verhindern, dass sie „den Wettbewerb verzerren“ (8). Staatseingriffe sollen nicht allein auf nationaler, sondern zudem auf EU-Ebene erfolgen. Deshalb unterstützt die Partei „die Pläne zur Schaffung eines Digital Markets Act“ (8), allerdings ohne zu skizzieren, wie man sich die Verzahnung der zwei Ebenen vorstellt.
„Den Einsatz von Uploadfiltern im Netz“ (48) lehnen die Liberalen „als immense Gefahr für Meinungs- und Kunstfreiheit ... ab“ (48). „Meinungsfreiheit in vollem Umfang“ (41) will die Partei zudem u.a. durch eine Abschaffung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes und einer damit verbundenen Beseitigung von Sperrungsentscheidungen privater Unternehmen, die man „durch Einrichtungen der Selbstregulierung als Beschwerdeinstanz“ (41) ersetzen möchte, gewährleisten. Was man sich unter solchen Einrichtungen vorstellen darf, bleibt verborgen. Opfern von Hassreden oder anderen Vergehen im Netz soll mit einem „Auskunftsanspruch gegen Plattformen und Internetprovider“ (41) geholfen werden.
Netzneutralität will die Partei schützen und „neue qualitätsgesicherte Dienste ermöglichen“ (26). Auch bei der FDP bleibt unklar, warum hier über die Verordnung (EU) 2015/2120 hinaus weitere staatliche Maßnahmen geboten sein könnten.
Insgesamt nimmt das Programm der FDP wirtschaftspolitisch verhältnismäßig genau konturierte Positionen gegenüber digitalen Plattformkonzernen ein.
Zwischenfazit
Die Programme der Linken und der SPD greifen aktuelle rechtliche Entwicklungen zum Umgang mit Betreibern großer Online-Plattformen nicht auf und vermitteln den aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht befremdlichen Eindruck, dass durch politische Maßnahmen die Wettbewerbsbedeutung lokaler Plattformen effizient gesteigert werden könne. Das Programm der Grünen ist in sich nicht widerspruchsfrei und inhaltlich sehr offen gehalten. Die Vorstellungen der FDP weichen oft deutlich von denen der anderen drei Parteien ab.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen. E-Mail: torsten.gerpott@uni-due.de.
In einem nachfolgenden Artikel geht Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott auf die Positionen der genannten Parteien zum Ausbau von Netzen für die elektronische Kommunikation ein.