UHF: Übereilte Festlegungen nicht notwendig
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Auf der Weltfunkkonferenz 2023 soll die Verwendung von ultrahohen Frequenzen (UHF) ab 2031 beraten werden. In Deutschland setzen sich Rundfunksender, Kulturveranstalter und Mobilfunknetzbetreiber aktuell dafür ein, dass die Frequenzen bereits auf dieser Konferenz vorrangig ihren Diensten/-Systemen gewidmet werden. Der vorliegende Beitrag plädiert dafür, diesem Drängen nicht nachzugeben und entwickelt einen Vorschlag für das weitere Vorgehen bei der langfristigen UHF-Zuordnung.
Derzeit arbeiten Experten für die Weltfunkkonferenz der internationalen Fernmeldeunion (ITU), die 2023 in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden soll, mit Hochdruck an einer deutschen Position zur Nutzung von ultrahohen Frequenzen (UHF) im Bereich 470 bis 694 MHz nach dem Jahr 2030. Diese Aktivitäten werden von einer breiteren Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen. Sie sind aber für die technische Zukunft des digitalen Rundfunkempfangs über Antenne, der heute in Deutschland mittels der DVB-T2-Fernseh- und DAB+-Radiostandards erfolgt, von eminenter Bedeutung.
Zwei Lager stehen sich gegenüber. Rundfunk- und Kulturveranstalter plädieren dafür, dass die Frequenzen weiter primär für die terrestrische Verbreitung von klassischen linearen TV- und Radiosendern sowie für im Kulturbereich eingesetzte drahtlose Programme Making and Special Events- (PMSE)-Systeme wie etwa Mikrofone verwendet werden. Hingegen fordern Mobilfunknetzbetreiber eine dritte digitale Dividende, mit der UHF im Anschluss an die Öffnung von 800 MHz-Frequenzen im Jahr 2010 und von 700 MHz-Frequenzen im Jahr 2015 für funkgestützte breitbandige elektronische Kommunikationsdienste (vulgo: mobile Internetanschlüsse) zumindest gleichrangig zum Rundfunk ebenfalls für solche Angebote genutzt werden dürfen.
Primärwidmung für Rundfunk und Kultur
Für die Verlängerung der Primärwidmung für den Rundfunk spricht, dass die Mobilfunkbranche es trotz der ersten zwei digitalen Dividenden bis zur Stunde nicht geschafft hat, Deutschland lückenlos wenigstens mit Mobilfunknetzen der vierten Generation (LTE) zu versorgen: Auf mehr als 10.000 km² ist hierzulande nicht einmal ein LTE-Netz verfügbar, von mehreren Netzen ganz zu schweigen. Der zuständige Bundesminister Andreas Scheuer nimmt das ohne Sanktionen gegen die Frequenzinhaber hin und will für die Schließung der Funklöcher sogar noch 1,1 Milliarden Euro Steuergelder ausgeben. Warum sollten Mobilfunknetzbetreiber dann durch zusätzliche Frequenzen belohnt werden? Im Übrigen ist es ihnen unbenommen, zusätzliche Kapazitäten durch eine Verkleinerung ihrer Funkzellen zu schaffen. Mittels Mehrbandantennen und neuer Antennentechnik („massive-MIMO Antennenarray“) kann außerdem die Übertragungskapazität eines Netzes vervierfacht werden.
Derzeit werden auch noch durch die Abschaltung von 3G-Netzen Frequenzen frei, die effizienter als bislang in LTE-/5G-Netzen einsetzbar sind. Schließlich können Rundfunk und Kultur für den Zusammenhalt der Gesellschaft als Ganze so wertvoll sein, dass ein Verzicht auf die in Artikel 4 des Beschlusses (EU) 2017/899 bis Ende 2030 verankerte Privilegierung des Rundfunks einer unverhältnismäßigen Gewichtung kommerzieller Interessen der Mobilfunknetzbetreiber entsprechen und die „digitale Abhängigkeit“ von ihnen zu groß würde.
Primärwidmung für Mobilfunk
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Gegen den Fortbestand des Status quo bei der Nutzung der Frequenzen im UHF-Band lässt sich hingegen anführen, dass die Menge der über Mobilfunknetze in Deutschland transportierten Daten von Anfang 2016 bis Ende 2020 um durchschnittlich 44 Prozent pro Jahr zugenommen hat [siehe Seite 65 des Berichts] und weiter so stark steigen wird, dass ohne hohe Investitionen der Betreiber in verbesserte Netztechnik, die zu höheren Endkundenpreisen beitragen, Kapazitätsengpässe nicht ausgeschlossen sind. Überdies wird der terrestrische Empfangsweg für Rundfunk in Deutschland kaum nachgefragt [Seite 6]: Nur etwa 4 bis 6 Prozent der TV-Haushalte empfangen heute Fernsehen über DVB-T2; die Entwicklung dieses Anteils in den letzten Jahren deutet darauf hin, dass er sich nicht vergrößern
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wird [Seite 26]. Im Gegenteil wächst der Konsum nichtlinearer Videostreaming-Angebote über das Internet. Der von ARD und ZDF im 22. Bericht der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten für den Zeitraum 2020 bis 2024 angemeldete mittlere jährliche Aufwand für die terrestrische TV-Verbreitung übersteigt pro DVB-T2-Haushalt den entsprechenden Betrag für einen SatellitenTV-Haushalt um den Faktor 10 bis 15. Die Verbreitung von Antennenfernsehen ist im Vergleich zu anderen Empfangswegen extrem teuer. Obendrein verfügt 10 Jahre nach dem Start von DAB+ aktuell weniger als ein Viertel der Privathaushalte über ein DAB+ Gerät, während mehr als 90 Prozent mit einem UKW-Radio ausgestattet sind. Pro Haushalt gibt es in Deutschland doppelt so viele UKW- wie DAB+ Geräte [Seite 6 und 8].
Eine DVB-T2-Nachfolgetechnik macht besseres Ultra-High-Definition-Fernsehen nur möglich, wenn es in einem neuen Kanalraster sehr breitbandige Signale mit geringer Leistung ausstrahlt. Eine solche radikale UHF-Umwidmung ist aber im Kreis der mehr als 150 an der Weltfunkkonferenz 2023 voraussichtlich teilnehmenden Staaten nicht konsensfähig. Damit ist der Übergang zu einer technisch besseren terrestrischen Rundfunkverbreitung über UHF nach 2030 verschlossen. Selbst, wenn die Umwidmung gelingen würde, können zwar die öffentlich-rechtlichen Sender vielleicht die für die Nachfolgetechnik erforderlichen hohen Investitionen aus der Rundfunkabgabe der Bürger stemmen. Private Sender werden aber bislang nicht vergleichbar alimentiert, so dass sie in die neue Rundfunktechnik wenn überhaupt nur einsteigen werden, sofern die bei ihnen dadurch verursachten Kosten über den Rundfunkbeitrag oder vom Staat finanziert werden. Schließlich könnte die terrestrische Rundfunkverbreitung durch unter der Bezeichnung „Further evolved Multimedia Broadcast Multicast Service“ zusammengefasste spezielle technische Lösungen in LTE-/5G-Netzen ersetzt werden.
Vorgehensvorschlag
Beide Lager haben demnach gewichtige Argumente für ihre Sicht, die allerdings durchweg auf hochgradig unsicheren Prognosen aufbauen. Deutschland sollte deshalb auf der nächsten Weltfunkkonferenz dieser Ungewissheit durch eine Position gerecht werden, die Handlungsflexibilität auf nationaler Ebene eröffnet. Konkret bedeutet dies zweierlei. Erstens sollten die Rundfunk- und Kultursektoren keine Garantie erhalten, dass bei der UHF-Widmung ihren Diensten ab 2031 erste Priorität vor anderen Nutzungen wie Internetanschlüsse über öffentliche Mobilfunknetze eingeräumt wird. Zweitens sollten sich die Teilnehmerstaaten der Weltfunkkonferenz 2023 dazu verpflichten, erst Ende 2026 verbindlich zu entscheiden, ob sie national bzw. in Europa EU-weit die Frequenzen von 470 bis 694 MHz ab 2031 gleichrangig Rundfunk-, PMSE- und Mobilfunkdiensten oder mit Priorität einer dieser Dienstekategorien zuweisen. Auf diese Weise wird Unsicherheit abgebaut, weil für die Beobachtung tatsächlicher Entwicklungen auf den relevanten Märkten die Jahre 2024 bis 2026 gewonnen werden. Gleichzeitig erhalten Rundfunk-, Kultur- und Mobilfunkanbieter genügend Zeit, um sich auf eine etwaige neue Zuordnungssituation jenseits des Jahres 2030 vorzubereiten. Zwar ist verständlich, dass Lobbyisten schon heute starken Druck ausüben, sich rasch bezüglich der langfristigen UHF-Verwendung in Deutschland festzulegen. Diesem Druck nachzugeben, wäre aber töricht.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.