Themenspezial: Verbraucher & Service Gastbeitrag

Was bringt das Recht auf schnelles Internet im TKG 2021?

Das neue TKG bietet einen Anspruch auf schnelles Internet. Welche Mindest­qua­litäts­anfor­derungen sollen erfüllt werden? Prof. Gerpott findet, dass die Debatte am Kern­pro­blem der Regu­lie­rung von Univer­sal­diensten vorbei geht.
Von Torsten J. Gerpott

Die am 1.12.2021 in Kraft getre­tene Novelle des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes schafft für private Haus­halte und Unter­nehmen einen direkten Anspruch auf Versor­gung mit schnellem Internet an ihrem Haupt­wohn­sitz oder ihren Geschäfts­orten. Derzeit wird darum gerungen, welche Mindest­qua­litäts­anfor­derungen von einem schnellen Inter­net­anschluss als Univer­sal­dienst erfüllt werden sollten. Diese Debatte geht aber am Kern­pro­blem der Regu­lie­rung von Univer­sal­diensten vorbei.

Poli­tiker und Wissen­schaftler sind sich selten einig darin, dass die Nutzung von schnellen Inter­net­zugängen durch private Haus­halte, Wirt­schaft und Staat eine unver­zicht­bare Voraus­set­zung für gesell­schaft­liche Teil­habe und posi­tive wirt­schaft­liche Entwick­lungen in Deutsch­land ist. Dennoch gibt es aktuell immer noch Regionen, in denen kein Tele­kom­muni­kati­ons­netz vorhanden ist, um Endnut­zern einen schnellen Inter­net­zugangs­dienst (SIZ) anbieten zu können. Die Wahr­schein­lich­keit der Verfüg­bar­keit eines SIZ-Ange­bots steigt mit der Bevöl­kerungs­dichte einer Region, da die Amor­tisa­tions­chancen für Inves­titionen in Breit­band­netze umso höher ausfallen, je mehr Menschen und Unter­nehmen sich pro qkm in einem Gebiet ange­sie­delt haben. Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott

Lücken in der Versor­gung mit einem schnellen Inter­net­zugangs­dienst

Wenn man Versor­gungs­lücken bezif­fern will, hängt das Ergebnis davon ab, welche Mindestaus­prä­gungen von Leis­tungs­merk­malen eines Netz­anschlusses man ansetzt, um einen SIZ abzu­grenzen. Aus dem Breit­band­atlas des Bundes­minis­teriums für Digi­tales und Verkehr lässt sich ableiten, dass Anfang 2022 in Deutsch­land etwa 0,4 Millionen private Haus­halte an ihrem Haupt­wohn­sitz nicht die Möglich­keit hatten, einen Inter­net­anschluss mit einer mini­malen Empfangs­daten­rate von 16 Mbit/s zu beziehen. Setzt man die Unter­grenze für die Down­load-Geschwin­dig­keit eines SIZ auf 30 Mbit/s hoch, dann belief die Versor­gungs­lücke Anfang 2022 auf rund 1,5 Millionen Privat­haus­halte. Nach einer im Dezember 2021 veröf­fent­lichten Studie des Fraun­hofer-Insti­tuts für Inte­grierte Schal­tungen reicht die aktuell verfüg­bare Kapa­zität von Satel­liten nicht aus, um diesen Haus­halten sowie Unter­nehmen und staat­lichen Insti­tutionen, die in unver­sorgten Regionen Stand­orte haben, rasch einen SIZ zur Verfü­gung zu stellen – selbst wenn man die Frage der Erschwing­lich­keit kosten­deckender Preise für diese Zugangs­technik ausblendet. Deshalb ist der weitere Ausbau von entspre­chend leis­tungs­fähigen leitungs- oder funk­basierten Netzen unum­gäng­lich, wenn Jeder­mann an seinem Wohn- oder Geschäftsort einen SIZ nutzen können soll.

Recht auf schnelles Internet im neuen Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz

Da der weitere Ausbau für private Anbieter zumeist unwirt­schaft­lich ist, lassen sich staat­liche Eingriffe zur Schlie­ßung etwa­iger Versor­gungs­lücken recht­fer­tigen, sofern man einen SIZ als Teil der Daseins­vor­sorge einstuft. Zum einen können staat­liche Förder­mittel an Unter­nehmen vergeben werden, die sich bereit erklären, in Regionen ohne ausrei­chende Verfüg­bar­keit von Breit­band­anschlüssen, zügig ein Netz zu errichten (Beitrag Sven Knapp, S. 199-207). Zum anderen sind weitere öffent­liche Maßnahmen zu erwägen, falls trotz öffent­licher Förder­pro­gramme eine Besei­tigung von Unter­ver­sor­gungen in bestimmten Regionen nicht zu erwarten ist.

Eine über öffent­liche Subven­tions­pro­gramme hinaus­gehende Inter­ven­tion findet man im neuen Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz (TKG nF), das am 1.12.2021 in Kraft getreten ist. § 156 Abs. 1 TKG nF schafft erst­mals mit dem Recht auf schnelles Internet (RASI) einen indi­vidu­ellen Anspruch von Endnut­zern auf Versor­gung mit einem SIZ an ihrem Haupt­wohn­sitz oder ihren Geschäfts­stand­orten. Wenn die Bundes­netz­agentur fest­stellt, dass Endnutzer in ihrem RASI verletzt sind, dann hat die Behörde als Ultima Ratio einem oder mehreren Unter­nehmen aufzu­erlegen, einen SIZ für die betrof­fenen Endnutzer anzu­bieten. Im Bran­chen­jargon bezeichnet man dieses Angebot als Univer­sal­dienst. Zwar bestand die Möglich­keit einer derar­tigen Verpflich­tung prin­zipiell bereits seit 1996 in den Vorläu­fer­ver­sionen des aktu­ellen Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes, aber nicht für einen anhand von Mindest­emp­fangs- und Sende­band­breiten sowie maxi­malen Daten­lauf­zeiten klar defi­nierten SIZ. Sofern ein Unter­nehmen, das ein SIZ-Angebot zu erbringen hat, nach­weist, dass es durch die Auflage unzu­mut­bare Kosten zu tragen hat, kann die Bundes­netz­agentur ihm einen Verlust­aus­gleich gewähren (§ 162 TKG nF). Finan­ziert wird der Ausgleich über Zahlungen aller nicht mit der Pflicht beschwerten Anbieter von SIZ und von inter­per­sonellen Kommu­nika­tions­diensten (§ 163 TKG nF).

Die Bundes­netz­agentur hat in einem am 22.12.2021 veröf­fent­lichten Papier deut­lich gemacht, dass sie als Leis­tungs­merk­mals­aus­prä­gungen zur Abgren­zung von SIZ eine Down­load-Geschwin­dig­keit von mindes­tens 10 Mbit/s, eine Upload-Daten­rate von mindes­tens 1,3 Mbit/s sowie eine Latenz von höchs­tens 150 Milli­sekunden ab dem 1.6.2022 vorzu­geben gedenkt (siehe S. 55-57 des Papiers). Man kann treff­lich darüber streiten, ob die drei Grenz­werte zur Defi­nition von Mindest­anfor­derungen an einen SIZ ausrei­chen, wenn es um das Funk­tio­nieren von hoch­auf­lösendem Video-Strea­ming oder Video­kon­ferenzen im Home Office geht. So forderte die CDU/CSU-Bundes­tags­frak­tion bereits vor mehr als 10 Jahren, dass ein SIZ als Univer­sal­dienst ab dem Jahr 2016 eine Empfangs­daten­rate von mindes­tens 50 Mbit/s aufweisen müsse. Der Verbrau­cher­zen­trale Bundes­ver­band plädierte 2019 für einen Grenz­wert von 30 Mbit/s.

Büro­kra­tischer Prozess zur Durch­set­zung des RASI

Die Debatten über die Ausprä­gungen der Leis­tungs­merk­male eines SIZ als Univer­sal­dienst und ihre Wech­sel­wir­kungen zu öffent­lichen Breit­band­för­der­pro­grammen gehen aber am eigent­lichen Problem, das mit dem RASI verbunden ist, vorbei. Das Kern­pro­blem besteht in dem Prozess, der gemäß neuem TKG zu durch­laufen ist, um eine Versor­gungs­lücke mit SIZ durch die Bundes­netz­agentur offi­ziell fest­zustellen und durch Bestim­mung mindes­tens eines Unter­neh­mens mit Ange­bots­ver­pflich­tung zu schließen. Für das Durch­laufen der Schritte dieses büro­kra­tischen Verfah­rens, das bis ins Detail in § 160 und § 161 TKG nF vorge­geben wird, muss man mindes­tens ein Jahr veran­schlagen. Wer also sein RASI über eine Beschwerde bei der Bundes­netz­agentur und eine von der Behörde ausge­spro­chene Univer­sal­dienst­ver­pflich­tung durch­setzen will, der sollte ein hohes Maß an Geduld mitbringen. Ange­sichts der Dynamik der Märkte für „band­brei­ten­hung­rige“ Kommu­nika­tions­dienste spricht viel dafür, dass zum Zeit­punkt der Anspruchs­durch­set­zung Endnutzer mit IZD versorgt werden dürften, deren Leis­tungs­werte schon nicht mehr das Niveau errei­chen, das bei der Mehr­heit der Endnutzer mit einem Breit­band­anschluss zu beob­achten ist. Alles in allem sind die neuen Vorschriften des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes zum RASI als Univer­sal­dienst in der Praxis unge­eignet, um die Versor­gung mit leis­tungs­starken Anschlüssen zu verbes­sern. Sie sind ein Beispiel für eine über­flüs­sige Alibi-Regu­lie­rung. An ihr halten Poli­tiker in Brüssel auf euro­päi­scher Ebene und in Berlin auf deut­scher Ebene fest, weil sie so plakativ behaupten können, sich für Endnut­zer­inter­essen erfolg­reich einge­setzt zu haben.

Wirk­samere Hebel zur Verbes­serung der Verfüg­bar­keit von Breit­band­anschlüssen

Versor­gungs­lücken bei schnellen Breit­band­anschlüssen in Deutsch­land werden nicht durch Fort­bestand veral­teter Regu­lie­rungs­kon­zepte geschlossen, die knappe Ressourcen der Bundes­netz­agentur und der IZD-Anbieter durch ein RASI als Univer­sal­dienst vergeuden. Statt­dessen sollte die neue Bundes­regie­rung unter Kanzler Scholz ihr Enga­gement auf drei Feldern verstärken. Erstens muss sie dafür sorgen, dass sehr schnell wesent­lich mehr Dienst­leis­tungen von Bund, Ländern und Kommunen Bürgern und Unter­nehmen sicher online zur Verfü­gung stehen. Das schafft einen Nach­fra­gesog bei schnellen IZD und in der Folge Anreize für privat­wirt­schaft­liche Netz­aus­bau­inves­titionen in unter­ver­sorgten länd­lichen Regionen.

Zwei­tens sollte sie die finan­zielle Ausbau­för­derung des Bundes zur Schlie­ßung von Breit­band­anschluss­lücken keines­falls erhöhen, da es an Finanz­mit­teln privater Inves­toren für den Bau von Giga­bit­netzen keines­wegs mangelt. Sie sollte viel­mehr das Förde­rungs­ver­fahren so verän­dern, dass die Subven­tionen zügiger als bisher abge­rufen werden können, ohne dass die Beschleu­nigung zur Verschwen­dung von Steu­ergel­dern führt. Das schafft mehr Ange­bots­druck bei schnellen IZD in sehr dünn besie­delten Gebieten.

Drit­tens hat sie die Bundes­länder dabei zu unter­stützen, die Ressour­cen­aus­stat­tung von Tief­bau­behörden und die „Ausbau­freund­lich­keit“ von Vorschriften für öffent­liche Tele­kom­muni­kati­ons­netze (z.B. zur Verle­getiefe von Leitungen) kurz­fristig deut­lich zu stei­gern. Das schafft bessere Rahmen­bedin­gungen, um durch Digi­tali­sie­rung und gesenkte büro­kra­tische Hürden die Geschwin­dig­keit von Geneh­migungs­pro­zessen für Netz­aus­bau­vor­haben als Basis für schnelle IZD zu erhöhen.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

Meldungen von und über Torsten J. Gerpott