Gastbeitrag

Bundestagsbericht: Gesundheitswirkungen von 5G-Netzen

Prof. Torsten J. Gerpott analy­siert die Tech­nik­fol­gen­abschät­zung des Bundes­tages über „gesund­heit­liche Auswir­kungen elek­tro­magne­tischer Felder" bei 5G-Netzen kritisch.
Von Torsten J. Gerpott

Mitte Februar legte der Deut­sche Bundestag offi­ziell die Tech­nik­fol­gen­abschät­zung (TA) „Mögliche gesund­heit­liche Auswir­kungen verschie­dener Frequenz­bereiche elek­tro­magne­tischer Felder (HF-EMF)“ der Öffent­lich­keit vor. Der folgende Artikel analy­siert die Aussagen des Berichts zu solchen Feldern im Zusam­men­hang mit 5G-Netzen kritisch. Torsten J. Gerpott Torsten J. Gerpott
Foto: ZfTM e.V.
Die Diskus­sion um nega­tive gesund­heit­liche Wirkungen (z.B. Krebs-/Tumor­för­derung, neuro­dege­nera­tive Verän­derungen, Schlaf­stö­rungen) hoch­fre­quenter Mobil­funk­strah­lung wird in Deutsch­land spätes­tens seit dem Start der ersten beiden digi­talen Netze Anfang der 1990er Jahre intensiv und kontro­vers geführt. Am 14. Februar 2023 hat der Deut­sche Bundestag durch Veröf­fent­lichung der Vorab­fas­sung eines Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Tech­nik­fol­gen­abschät­zung zu poten­ziellen gesund­heit­lichen Effekten solcher Strah­lungen sie um einen weiteren Beitrag erwei­tert.

Inhalte der aktu­ellen Tech­nik­fol­gen­abschät­zung

Auf 311 Seiten bietet der aktu­elle Bericht zur Tech­nik­fol­gen­abschät­zung in

  • Kapitel 2 eine Syste­mati­sie­rung von Quellen elek­tro­magne­tischer Felder (EMF) und von Ausset­zungs­sze­narien (54 Seiten).
  • Kapitel 3 eine Bestands­auf­nahme von Grenz­werten und von Methoden der Risi­kosteue­rung für EMF (10 Seiten).
  • Kapitel 4 eine Aufar­bei­tung des empi­rischen Forschungs­standes zu gesund­heit­lichen EMF-Wirkungen (34 Seiten).
  • Kapitel 5 eine Analyse der empi­rischen Forschungs­lage zu HF-EMF-Effekten speziell auf Kinder und ältere Menschen (20 Seiten).
  • Kapitel 6 eine Forschungs­zusam­men­fas­sung und eine Land­karte zu wünschens­werter zusätz­licher Forschung (16 Seiten).
  • Kapitel 7 ein Verzeichnis der verar­bei­teten Lite­ratur (ca. 300 Quellen).
  • Kapitel 8 einen Anhang zur Doku­men­tation des genutzten wissen­schaft­lichen Appa­rats (134 Seiten, insbe­son­dere tabel­lari­sche Über­sicht ausge­wer­teter Studien).

Aussagen zu 5G

Es besteht hier nicht die Option, im Detail die viel­fäl­tigen Berichts­aus­sagen umfas­send kritisch zu würdigen. Statt­dessen soll nur knapp auf die Ergeb­nisse zu gesund­heit­lichen HF-EMF-Folgen von Mobil­funk­netzen der 5. Gene­ration (5G) einge­gangen werden (siehe dazu insbe­son­dere S. 9, 14-16, 20 und 150-156).

Quint­essenz des Berichts ist, dass hierzu keine gesi­cherten Aussagen möglich sind, vor allem weil aus der Praxis des 5G-Netz­betriebs (noch) keine hinrei­chend langen Daten­zeit­reihen zur Verfü­gung stehen. Als Konse­quenz aus dem einge­schränkten Wissens­stand wird die Notwen­dig­keit betont, „verant­wor­tungs­voll und vorsor­gend auf … Gesund­heits­befürch­tungen einzu­gehen“ (S. 153). Dies bedeutet u.a. „die nied­rigste vernünftig erreich­bare Belas­tung“ [mit HF-EMF] anzu­streben und „neue Wege des Dialoges ange­sichts des hohen Bedarfs an Austausch der unter­schied­lichen Akteure“ (S. 154) zu gehen. Allge­mei­nere und hand­lungs­fer­nere Aussagen sind kaum vorstellbar.

Bewer­tung

In der Summe ist stark zu bezwei­feln, dass der Deut­sche Bundestag mit der TA eine passable neutrale, umfas­sende und aktu­elle Infor­mati­ons­basis für die Befas­sung mit forschungs-, gesund­heits- und tech­nolo­gie­poli­tischen Aspekten der gesund­heit­lichen Folgen von HF-EMF bei 5G-Netzen erhält. Für diese Bewer­tung spre­chen drei Haupt­gründe:

  • Erstens wurden zentrale Teile des Berichts durch Mitar­beiter der Schwei­zeri­schen Forschungs­stif­tung Strom und Mobil­funk­kom­muni­kation (FSM) verfasst. Sie wird nahezu voll­ständig von Mobil­funk- und Strom­netz­betrei­bern in der Schweiz finan­ziert. Diese Verflech­tung ist keine gute Voraus­set­zung für eine von Indus­trie­inter­essen losge­löste, wissen­schaft­lich neutrale Aufar­bei­tung des Forschungs­standes.
  • Zwei­tens ist der Bericht nicht einmal ansatz­weise umfas­send, da er im Hinblick auf inhalt­liche Schluss­fol­gerungen für den Umgang mit 5G HF-EMF viel zu sehr auf dem Niveau von Gemein­plätzen verharrt (s.o.) und weder regu­lative noch budge­täre Impli­kationen hinrei­chend diffe­ren­ziert disku­tiert. Er stellt zudem im Einklang mit dem Bundesamt für Strah­len­schutz stark auf die Inter­national Commis­sion on Non-Ioni­zing Radiaton Protec­tion (ICNIRP)-Meinung zu gesund­heit­lichen HF-EMF-Aspekten u.a. bei 5G ab. Immerhin wird auf die Proble­matik der ICNIRP-Exper­ten­sicht hinge­wiesen (Seiten 11, 156); die rela­tivie­renden Hinweise bleiben aber ohne mate­rielle poli­tische Konse­quenzen.
  • Drit­tens ist die Infor­mati­ons­basis des Berichts keines­wegs aktuell. Die Gutachten, auf denen die TA beruht, wurden in den Jahren 2017 bis 2019 fertig gestellt (s. S. 157); in den letzten drei Jahren erschie­nene Studien sind deshalb fast gar nicht in den Bericht einge­flossen. Der Entwurf des Berichts wurde im November 2020 (!) den Bundes­tags­frak­tionen vorge­legt. Sie benö­tigten 20 Monate bis Juli 2022, um sich im rele­vanten Ausschuss auf dem kleinsten gemein­samen Nenner auf eine weich gespülte rela­tivie­rende Kompro­miss­fas­sung zu verstän­digen. Weitere sieben Monate verstri­chen bis zur Veröf­fent­lichung durch den Bundestag in einer offi­ziellen Druck­sache. "Hoch­geschwin­dig­keits­politik“ sieht anders aus.

Lehren

Die voran­gehenden Ausfüh­rungen sollten nicht einfach als belang­lose Mecke­reien abgetan werden. Aus ihnen lassen sich auch Lehren für die Zukunft ziehen. Zum einen sollte der Bundestag noch stärker Wert legen auf die wissen­schaft­liche Unbe­fan­gen­heit von Fach­gut­ach­tern. Außerdem sind die Prozesse bei TA-Berichten zu beschleu­nigen, damit gerade bei Themen im Bereich digi­taler Netze die Ergeb­nisse so recht­zeitig vorliegen, dass ihnen noch hohe Rele­vanz für die Politik zukommt.

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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