Ackergaul

Telekom: Erster Diener der Republik bei Netzversorgung?

Dieser Beitrag befasst sich damit, inwie­fern die Deut­sche Telekom (DT) für die Bundes­repu­blik der "Acker­gaul der Digi­tali­sie­rung" ist und wie erfolg­reich deren heutiger Vorstands­vor­sit­zender das Unter­nehmen relativ zu seinen drei Vorgän­gern aus Börsen­sicht geführt hat.
Ein Gastbeitrag von Torsten J. Gerpott

Mit der ersten massiven Ausbrei­tung des Corona-Virus im zweiten und dritten Quartal 2020 fand der DT-Chef Timo­theus Höttges Gefallen daran, die Rolle seines Unter­neh­mens mit hohen Inves­titionen in bundes­weite elek­tro­nische Netze zur Tele­komu­nika­tion (TK) als "Acker­gaul der Digi­tali­sie­rung" zu charak­teri­sieren. Mitt­ler­weile ist die Pandemie in eine andere Phase getreten und Höttges betont bei seinen öffent­lichen Auftritten seine Funk­tion als Halter des wich­tigsten Pferdes der Repu­blik nicht mehr. Jedoch ist die Antwort auf die Frage, inwie­fern die Meta­pher vom flei­ßigen genüg­samen Nutz­tier zutrifft, das den Pflug durchs Feld zieht, unver­ändert von großer Bedeu­tung für die Netz­grund­lagen der Digi­tali­sie­rung in Deutsch­land. Telekom-Chef Tim Höttges Telekom-Chef Tim Höttges
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Gemein­wohl­ori­entie­rung als Teil des DT Erbgutes?

Um hierzu Antworten zu finden, ist es hilf­reich, sich die Ursprünge des Bonner Konzerns ins Gedächtnis zu rufen. Die DT als Akti­enge­sell­schaft entstand erst am 1.1.1995 aus dem Bundes­son­der­ver­mögen der Deut­schen Bundes­post. Als ehema­liges öffent­liches Unter­nehmen könnte somit Gemein­wohl­sinn in der DNA der DT veran­kert sein. Ande­rer­seits wurden mit der Börsen­ein­füh­rung am 18.11.1996 26 Prozent der Aktien des Unter­neh­mens an private Aktio­näre abge­geben. Heute liegt der Anteil der nicht mehr direkt oder indi­rekt in der Hand des Bundes befind­lichen DT-Aktien bei 70 Prozent. Von daher ist das Unter­nehmen seit vielen Jahren eine weit­gehend „normale“ Akti­enge­sell­schaft, die in erster Linie den Inter­essen ihrer Anteils­eigner, von denen 64 Prozent gar nicht aus Deutsch­land stammen, verpflichtet ist.

Diesen Fakten zum Trotz hebt die DT unver­drossen in ihrer Öffent­lich­keits- und Lobby­ing­arbeit ihre hohen Milli­arden-Euro-Inves­titionen in Fest- und Mobil­funk­netze der Repu­blik hervor. Es ist in der Tat richtig, dass mit großem Abstand kein Unter­nehmen in Deutsch­land mehr in TK-Netze inves­tiert als die DT: Allein 2021 inves­tierte das Unter­nehmen hier­zulande 4,1 Mrd. EUR (ohne Auszah­lungen für Funk­fre­quenzen) in Sach­anlagen. Diese abso­lute Kenn­zahl ist aller­dings in ihrer Aussa­gekraft beschränkt. Sie erfasst erstens nicht die Effi­zienz, mit der die Mittel einge­setzt werden. Zwei­tens berück­sich­tigt sie nicht, dass die Höhe der Netz­inves­titionen eine Funk­tion der Größe des vorhan­denen Geschäfts ist. Den zweiten Mangel der fehlenden Beach­tung des posi­tiven Einflusses der Geschäfts­größe auf die abso­luten Inves­titionen weist das Verhältnis von Netz­inves­titionen zu externen Umsätzen nicht auf. Es belief sich für die DT 2021 auf 17,5 Prozent. Exakt der gleiche Wert war auch für die Fest- und Mobil­funk­netz­wett­bewerber der DT zu verzeichnen. Bei der Teil­menge der Wett­bewerber, die nicht nur als Wieder­ver­käufer TK-Dienste vermarkten, sondern eigene Netze betreiben, lag die Inves­titi­ons­quote gar deut­lich über 20 Prozent. Inso­weit ist die DT keines­wegs der kräf­tigste Acker­gaul der Digi­tali­sie­rung im Land.

Die fehlende Spit­zen­posi­tion des Unter­neh­mens bei der Inves­titi­ons­quote in Deutsch­land sollte nicht über­raschen: Zum einen wird die Inves­titi­ons­fähig­keit des Konzerns durch seinen hohen Verschul­dungs­grad beein­träch­tigt. Bei der DT belief sich das Verhältnis von Netto-Finanz­ver­bind­lich­keiten zu Bilanz­summe am 31.12.2021 auf 46,3 Prozent. Andere TK-Konzerne (BT, Orange, Swisscom, Tele2, Telekom Austria, Voda­fone) wiesen zum Jahres­ende 2021 deut­lich nied­rigere Werte zwischen 22,5 Prozent und 36,2 Prozent auf. Zum anderen konkur­rieren konzern­intern Inves­titi­ons­anträge für Deutsch­land vor allem mit Wünschen für die Mobil­funk­sparte in den USA.

Später Ausbau von echten Glas­faser­netzen

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Dass die DT zu Recht bei ihren Netzen in Deutsch­land nicht im Sinn über­geord­neter staat­licher Breit­band­aus­bau­ziele altru­istisch agiert, lässt sich gut anhand der Entwick­lung ihrer Inter­net­anschluss­pro­dukte demons­trieren. Der Ex-Mono­polist inves­tierte hier trotz des sich schon zu Beginn des dritten Mill­enniums abzeich­nenden Nach­fra­geschubs bei hohen Down- und Upload-Geschwin­dig­keiten keines­wegs direkt in Glas­faser­anschlüsse bis zum Gebäu­dekeller (Fiber To The Buil­ding [FTTB]) oder in die Wohnung (Fiber To The Home [FTTH]). Statt­dessen setzte der Konzern in Deutsch­land ab 1998 auf die „Brücken­technik“ ADSL. Ab 2006 ging man dadurch die ersten Trip­pel­schritte in Rich­tung Glas­faser­anschluss­netze, dass die rund 0,33 Mio. Vertei­ler­knoten („Kabel­ver­zweiger“) in den Kupfer­kabel­orts­netzen der DT mit VDSL ausge­stattet und Glas­faser­teil­stre­cken verlegt wurden, um die Knoten mit über­geord­neten Netz­teilen zu verbinden. Ab 2012 bohrte das Unter­nehmen diese Technik mit Inves­titionen in Vecto­ring dann noch einmal auf, um Down­load-Raten von bis zu 250 MBit/s anbieten zu können, aber eben immer noch keine Giga­bit­band­breiten.

Erst ab 2021, also fast ein Vier­tel­jahr­hun­dert nach Beginn des Ausbaus von Inter­net­zugangs­diensten ohne Einwahl­technik durch die DT (wer erin­nert sich nicht an den „Ich-bin-drin- “AOL-Spot mit Boris Becker aus dem Jahr 1999), erhöhte der Konzern in Deutsch­land seine Schlag­zahl beim Ausbau von FTTH-Anschlüssen deut­lich. Er will hierfür pro Jahr nun bis 2030 ca. 3,75 Mrd. EUR inves­tieren, um jähr­lich mindes­tens 2 Mio. dieser Giga­bit­anschlüsse zu errichten. Tatsäch­lich waren es im ersten Halb­jahr 2022 höchs­tens eine halbe Million Anschlüsse. Die Wett­bewerber kamen im glei­chen Zeit­raum auf 0,9 Mio. Das DT-Enga­gement bei FTTH ist denn auch keines­falls unei­gen­nützig, sondern wird durch die abneh­mende Konkur­renz­fähig­keit seiner VDSL-Produkte und den Nach­fra­gezu­wachs bei Giga­bit­anschlüssen getrieben.

Wesent­lich klarer erfüllt die DT den Acker­gaul-Anspruch dagegen bei Mobil­funk­netzen der fünften Gene­ration in Deutsch­land mit einer Haus­halts­abde­ckung von 95 Prozent Mitte 2022. Voda­fone hinkt ca. 30 und Telefónica Germany etwa 55 Prozent­punkte hinterher. Aber auch hier gibt es für den Konzern noch viel Luft nach oben, da Mitte 2022 von allen drei Anbie­tern zusammen gerade mal ein Drittel der Fläche Deutsch­lands mit echten 5G-Netzen ohne Verknüp­fung mit 4G-Netzen über Dynamic Spec­trum Sharing versorgt wurde.

Als Zwischen­ergebnis ist fest­zuhalten: Die DT ist ein guter Acker­gaul der Digi­tali­sie­rung in Deutsch­land; sie ragt dabei aber insbe­son­dere beim Fest­netz nicht durch beson­deren Fleiß oder stär­kere Gemein­wohl­ori­entie­rung gegen­über Wett­bewer­bern mit eigenen Netzen in Deutsch­land oder Europa heraus.

Unfaire Benach­tei­ligung gegen­über OTT-Konzernen?

Mit Blick auf Netz­inves­titionen mahnte Höttges jüngst in trauter Eintracht mit den Vorstands­vor­sit­zenden anderer „klas­sischer“ TK-Konzerne in Europa, dass man wesent­lich mehr für den Infra­struk­tur­aufbau tun könne, wenn Betreiber digi­taler Platt­formen US-ameri­kani­scher Prove­nienz, deren Video­dienste Over-The-Top (OTT) enorme Verkehrs­mengen in Netzen erzeugen (Google/Alphabet, Face­book/Meta Plat­forms, Netflix, Apple, Amazon, Micro­soft), eine volu­men­abhän­gige Infra­struk­tur­abgabe an die Betreiber von Fest- und Mobil­funk­netzen zahlen müssten. Eine solche Abgabe würde auch nicht gegen das Netz­neu­tra­litäts­gebot von Art. 3 Abs. 2 der Verord­nung (EU) 2015/2120 verstoßen, da sie gar kein Gleich­behand­lungs­gebot für Tran­sit­ver­kehr zwischen OTT-Platt­formen und TK-Netz­betrei­bern vorsieht. Das trifft zu. Dennoch lassen sich dieser Idee, die ähnlich vor einem Jahr­zehnt schon einmal von dem Lobby­ver­band ETNO lanciert wurde, gewich­tige Argu­mente entge­gen­halten.

Erstens inves­tieren auch die OTT-Konzerne erheb­liche Mittel in Infra­struktur (Daten­zen­tren, Glas­faser­kabel zum Trans­port zwischen Daten­zen­tren, Daten­spei­che­rung in Endnut­zer­nähe). Zwei­tens helfen attrak­tive Video­dienste TK-Netz­betrei­bern bei der Endkun­den­gewin­nung für umsatz­stär­kere Giga­bit­anschlüsse. Drit­tens steigen die Netz­betrei­ber­kosten unter­pro­por­tional zur Verkehrs­menge, die Kosten werden viel stärker von der Zahl und Lage der Endkun­den­anschlüsse beein­flusst. Ein Lahmen des Acker­gauls auf die fehlende Betei­ligung von großen OTT-Anbie­tern an Netz­inves­titionen zu schieben, ist also wenig über­zeu­gend. Wenn die DT mehr Hafer für das Pflug­pferd in Deutsch­land benö­tigt, dann sollte sie ihre Energie nicht darauf vergeuden, zu versu­chen, die OTT-Konkur­renz durch Unter­stüt­zung büro­kra­tischer Regu­lie­rungs­maß­nahmen zu schwä­chen. Wirk­samer wäre es, das Startup-Geschäft des Konzerns in Deutsch­land so auszu­bauen, dass man selbst auch einmal mit dabei ist, wenn „The Next Big Digital Thing“ gefunden wird.

Beur­tei­lung der DT-Vorstands­vor­sit­zenden durch die Börse

Solchen klei­neren Schwä­chen zum Trotz hat Höttges alles in allem seit seinem Amts­antritt am 1.1.2014 als Bauer der Digi­tali­sie­rung Deutsch­lands einen sehr guten Job gemacht. Sein Wirken wird auch vom Kapi­tal­markt goutiert (siehe Tabelle). Pro Amts­jahr des aktu­ellen DT-Chefs stieg der Börsen­kurs des Unter­neh­mens um 5,18 Prozent, der DAX-40 dagegen nur um 3,46 Prozent, der euro­päi­sche Bran­chen­index STOXX Europe 600 Telco nahm sogar um 3,52 Prozent pro Amts­jahr ab (Stichtag: 1.9.2022). Auch im Vergleich zu seinen vier Vorgän­gern seit dem Börsen­gang im November 1996 ragt Höttges damit positiv heraus: Bei René Ober­mann nahm der DT-Kurs im Mittel um 1,07 Prozent pro Amts­jahr ab (Bench­mark DAX-40: Zunahme 5,84 Prozent pro Jahr). Bei Kai-Uwe Ricke stieg er um 4,03 Prozent pro Amts­jahr, aber der DAX-40 entwi­ckelte sich mit 18,98 Prozent pro Jahr im Verlauf der Ricke Amts­zeit mehr als viermal besser. Und bei Ron Sommer nahm der DT-Kurs vom 18.11.1996 bis zur Entlas­sung des „Sonnen­königs“ gar um 4,84 Prozent pro Jahr ab, während der DAX-40 in diesem Zeit­raum eine durch­schnitt­liche Wachs­tums­rate von 6,54 Prozent p.a. aufwies.

Tabelle: Börsen­beur­tei­lung der Deut­schen Telekom nach Vorstands­vor­sit­zenden

Vorstands­vor­sit­zender
(Amts­zeit mit
Börsen­notie­rung)
Kurs-/Index­ver­ände­rung pro Amts­jahr in Prozent
Deut­sche Telekom DAX-40 STOXX Europe
600 Telco
S&P 500 Commu­nica­tion Services
Ron Sommer
(18.11.1996–16.07.2002)
-4,84a) 6,54 4,41 -3,50
Kai-Uwe Ricke
(15.11.2002–12.11.2006)
4,03 18,98 7,40 8,09
René Ober­mann
(13.11.2006–31.12.2013)
-1,07 5,84 -0,47 0,78
Timo­theus Höttges
(01.01.2014–heute)b)
5,18 3,46 -3,52 2,18
Quelle: Univ.-Prof. Gerpott Analysen
a) Die Verän­derung wird mit dem Eröff­nungs­kurs von 14,57 EUR am 18.11.1996 berechnet. Der Schluss­kurs am 18.11.1996 betrug 16,97 EUR.
b) Die Verän­derungen während der Amts­zeit von Höttges werden mit dem 1.9.2022 als fiktivem Amts­zei­tende berechnet.

Resümee

Ange­sichts der unbe­strit­tenen Erfolge von Höttges als Acker­gaul­führer stünde ihm etwas weniger Hybris gut: Neben der DT gibt es weitere exzel­lente Acker­gäule für die Digi­tali­sie­rung der Repu­blik, die ebenso wie der Ex-Mono­polist Netz­anschlüsse und -dienste zur Stei­gerung des eigenen wirt­schaft­lichen Erfolgs ausbauen und vermarkten. Das ist positiv für Deutsch­land. Der Vorstands­vor­sit­zende der DT sollte dies deut­licher als bisher aner­kennen.

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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