1&1 fordert nationales Roaming für alle: Ist das realistisch?
Wie schon mehrfach berichtet, hat der Mobilfunkanbieter 1&1 große Probleme beim Ausbau seines eigenen Handynetzes. Nun hofft der Neueinsteiger aus Rheinland-Pfalz auf Schützenhilfe von einer Bundesbehörde. Die Konkurrenz reagiert verschnupft.
Wettbewerber kritisieren 1&1
Die Idee klingt bestechend: Alle können gegenseitig roamen. So stellt sich 1&1 das vor. Doch die Tücken liegen im Detail.
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Der Mobilfunkanbieter 1&1 muss für seine Forderung nach staatlich angeordnetem (5G-)Roaming scharfe Kritik von Wettbewerbern einstecken. "Das ist unverschämt und aus unserer Sicht völlig unhaltbar", sagte der Chef von Telefónica Deutschland (o2), Markus Haas, am Mittwoch in München.
Zuvor hatte 1&1 bei der Bundesnetzagentur offiziell beantragt, dass die Regulierungsbehörde das National Roaming anordnet und die Netze untereinander geöffnet werden. Dann würden künftig 1&1-Handykunden auch dort Empfang bekommen, wo die Firma noch keine eigenen Antennen hat.
Für die Firma, die als Netzbetreiber unter Druck ist, gäbe das deutlichen Rückenwind. Das käme der Wunschvorstellung, in allen deutschen Netzen je nach Verfügbarkeit telefonieren und surfen zu können, schon recht nahe. Allerdings sieht der GSMA/3GPP-Standard kein Handover bei Roaming-Kunden vor. Das bedeutet, ist das Netz noch schwach vorhanden, würde das Handy nicht automatisch zum vor Ort besseren Netz B wechseln, sofern der Kunde nicht eine zeitraubende Netzsuche anstößt.
Bereits 2019 Frequenzen ersteigert
1&1 hatte 2019 erstmals eigene Frequenzen ersteigert, um damit ein eigenes Netz zu bauen. Außerdem hatte sich 1&1 von o2-Telefónica Frequenzen bei 2600 MHz "ausgeliehen", um vor der lizenzrechtlichen Verfügbarkeit des ersteigerten Bandes n78 auch "on air" gehen zu können.
Das Netz von 1&1 wäre das vierte deutsche Handynetz nach den Netzen der Telekom ("D1"), von Vodafone ("D2") und o2-Telefónica.
Schleppender Aufbau
Beim Ausbau kommt 1&1 aber nur schleppend voran: Anstatt der vorgeschriebenen 1000 5G-Standorte nahm es bis Ende 2022 nur fünf in Betrieb. Inzwischen sind es 20.
Bisher wurde offiziell noch keine Antenne für die Handynutzung freigeschaltet, die offizielle Öffnung des Netzes für mobile Anwender wird für September angestrebt. Abseits der 1&1-Standorte sollen Kunden nach dem Handynetz-Start zwar Verbindungen von o2 bekommen, dies aber nur im langsameren 4G- und 2G-Funkstandard.
Nationales Roaming ist bewährt
Nach den Worten einer 1&1-Sprecherin ist nationales Roaming "ein bewährtes Verfahren, damit Kunden schon während der Zeit des Aufbaus eines neuen Netzes flächendeckend versorgt werden." Für 1&1 wäre es wichtig für wirksamen Wettbewerb und ein konsequenter Schritt, "um als vierter Netzbetreiber Chancengleichheit mit den etablierten Betreibern von Mobilfunknetzen zu erhalten".
Mit dem nun beantragten "National Roaming" will 1&1 Kunden künftig bundesweit 5G-Verbindungen über die drei Netze der anderen bieten. Sollte der Neueinsteiger dieses Roaming bekommen, hätte 1&1 schlagartig bessere Karten. Telefónica-Deutschlandchef Haas geht aber davon aus, dass die Bundesnetzagentur den 1&1-Antrag ablehnen wird.
Verärgert sagt er, dass man beim Netzbau nun mal investieren müsse "und nicht immer jammern und den Regulierer um Hilfe bitten". Zu Verhandlungen über 5G-Roaming, das nicht staatlich angeordnet ist, sei man bereit - und zwar zu "fairen Preisen".
Kritik an 1&1 kommt auch von der Deutschen Telekom, ein Firmensprecher nennt den Ruf nach einem so umfassenden Roaming "absurd". Und ein Vodafone-Sprecher sagt: "Wir haben den Antrag mit großer Verwunderung zur Kenntnis genommen."
Neue Regelung im TKG
Mit dem Antrag nutzt 1&1 einen noch recht neuen Passus im Telekommunikationsgesetz. Demzufolge darf die Netzagentur "geeignete Maßnahmen" ergreifen und nationales oder regionales Roaming durchsetzen, "wenn die Umstände dies rechtfertigen". Ein Behördensprecher sagt, der Sachverhalt werde geprüft. Nun sitzt die Behörde an einer Marktanalyse, danach kommt die Entscheidung.
Ein Novum ist nationales Roaming in Deutschland nicht: Von 1999 bis 2007 ließ die Telekom den Neueinsteiger Viag Interkom beziehungsweise dessen Nachfolgefirma o2 auf ihr Netz. Damals war das aber nicht staatlich angeordnet, sondern zwischen den Firmen frei ausverhandelt.
Markus Haas: o2 hat 6000 Standorte gebaut
Bei dem Hinweis auf dieses Roaming-Kapitel runzelt o2-Manager Markus Haas die Stirn. In vier Jahren habe man damals 6000 Mobilfunk-Standorte gebaut und eine Bevölkerungsabdeckung von 75 Prozent im Funkstandard 2G hinbekommen. Bei 1&1 sei das anders, die Firma habe nach vier Jahren noch keinen einzigen Standort für die Handynutzung aktiviert, sagt Haas kopfschüttelnd. "Wir haben damals einfach 6000 Standorte gebaut, wir haben nicht lange rumlamentiert."
1&1: Zum Netzausbau entschlossen
Die 1&1-Sprecherin betont die Entschlossenheit zum Netzausbau und verweist darauf, dass für jedes transportierte Gigabyte Netzmiete gezahlt werde. Man habe schon viel Geld investiert und 20.000 Antennen gekauft, die man auf Lager habe. "Es hat für uns daher keinen Sinn, unnötig lange teure Roaming-Kapazitäten zu nutzen", so die Firmensprecherin. "Außerdem bleiben wir weiterhin an die Ausbauauflagen der Bundesnetzagentur gebunden." Verzögerungen im Netzausbau kämen die Firma damit "doppelt teuer zu stehen".
Gerpott: Verzweifelter Versuch
Der regelmäßige teltarif.de-Gastautor Torsten Gerpott von der Universität Duisburg-Essen hält den Antrag von 1&1 für "einen verzweifelten Versuch, doch noch irgendwie in den Markt zu kommen". Sollte der Antrag genehmigt werden, würde sich an der misslichen Lage der Firma, die noch immer ein Netzbetreiber ohne Netz sei, nichts ändern. "Irgendwann müssen sie zu Potte kommen, sie können nicht ewig nur auf National Roaming setzen", sagt der Telekommunikationsprofessor. Die Aussichten für 1&1 seien düster.
Jeder soll mit jedem dürfen?
Der Antrag von 1&1 bezieht sich auf die ganze Branche - alle deutschen Netzbetreiber sollen sich gegenseitig Roaming gewähren.
Wenn also beispielsweise ein Vodafone-Kunde in einem Dorf kein Netz hätte, würde er mit der Telekom oder mit o2 verbunden - je nachdem, was vor Ort verfügbar wäre. Jeder Netzbetreiber hätte also einen gewissen Extra-Nutzen. Klar ist aber auch, dass 1&1 den allergrößten Vorteil hätte und dass die etablierten Anbieter so ein Roaming eigentlich gar nicht bräuchten.
Verbraucherschützer skeptisch
Und was sagen Verbraucherschützer zu dem Vorschlag? Felix Flosbach von der Verbraucherzentrale NRW ist skeptisch. "Es ist eine schöne Vorstellung, dass ein Verbraucher immer überall das beste Netz hat."
Allerdings gebe es auch Kehrseiten: "Wer baut dann überhaupt noch aus und schließt die Lücken, wenn auch die Kunden des Konkurrenten verbunden werden?" Alles in allem sei das Roaming über alle Netze "im jetzigen Mobilfunkmarkt realitätsfern", sagt Flosbach.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Ein generelles nationales Roaming (jeder kann bei jedem einbuchen) ist eine nette Vorstellung. Sinn würde das nur machen, wenn dabei auch die Nachbarschaftsbeziehungen zu allen Stationen in der Umgebung von allen Netzen eingepflegt würden, damit ein unterbrechungsfreies Handover zwischen den Netzen möglich wäre. Das wäre sicher technisch machbar, dürfte aber einige Jahre dauern, bis das stabil liefe.
Und: Den monatlichen Differenzbetrag zwischen günstigstem Anbieter und dem teuersten Anbieter müssten die Kunden des günstigeren Anbieters für eine separat zu buchende "nationale Roaming-Option" bezahlen, damit es am Ende auch fair bleibt und die Kunden verstehen, was ein guter Netzausbau wirklich kostet. Denn: Viele Kunden würden dann wohl auf diese Option verzichten, da ein günstiger Preis das einzige Hauptkriterium für sie ist, und wenn das eigene Netz nicht überall geht, "dann ist das halt so".
Aber all diese Aktionen verdecken die Sicht auf das Kernproblem des Mobilfunks: Weiße Flecken, gar nicht oder nur schlecht versorgte Gebiete, für die wieder kein Geld da sein wird. Warum? Weil alle Spieler sich im teuren Tiefpreis-Wettbewerb um alte und neue Kunden verzetteln und bekämpfen werden. Dann bleibt für den Netzausbau wieder nichts übrig.
Vielleicht könnte die Bundesnetzagentur für Diensteanbieter bessere Zugriffs-Regeln festsetzen, und dann könnte man in Montabaur in Ruhe die hochfliegenden "eigenes Netz"-Pläne zu Grabe tragen und wäre als "Service-Provider" oder MVNO am Ende sogar glücklicher.
Vielleicht sollte 1&1 sich mit Vodafone zusammenschließen und dann gemeinsam das bestehende Vodafone-Netz mit moderner Technik aus dem ursprünglich geplanten 1&1-Netz ausbauen? Dann hätten mehr Kunden etwas davon und es wäre keine schlechte Idee.
Die Zahlen der 1&1-Muttergesellschaft United Internet AG wurden gestern vorgelegt.