Kluge Frequenzvergabe: Genug Schub für den Markt?
Frequenzen sind ein erfolgskritisches Produktionsmittel für Mobilfunknetzbetreiber. In der Praxis geht man davon aus, dass Frequenzen unterhalb von einem GHz, die als Flächenfrequenzen bezeichnet werden, zur wirtschaftlich effizienten Versorgung dünn besiedelter Gebiete deutlich besser geeignet sind als Frequenzen oberhalb dieses Schwellenwertes. Letztere sind umgekehrt eher zur Abdeckung von städtischen Regionen mit hohen Mindestband-breiten pro Nutzer heranzuziehen und werden als Kapazitätsfrequenzen charakterisiert. Für die zwei Anwendungsbereiche werden Frequenzen in Deutschland überwiegend in gepaarten 5 MHz-Blöcken zugeteilt. Gepaart bedeutet hier, dass zum Senden (Uplink) und Empfangen (Downlink) je ein 5 MHz-Block in unterschiedlichen Frequenzbereichen gebündelt vergeben wird.
Kluge Frequenzvergabe: Genug Schub für den Markt?
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In Deutschland wurden Frequenzen für öffentliche Mobilfunknetze in den 1990er Jahren viermal über Ausschreibungen, die wegen des großen Entscheidungsspielraums auch als „beauty contests“ charakterisiert werden, vergeben. Im Jahr 2000 wurde mit der legendären Versteigerung von Frequenzen für Mobilfunknetze der dritten Generation (3G) UMTS zu Auktionen als Vergabeverfahren gewechselt. UMTS steht eigentlich für Universal Mobile Telecommunications System. Nachdem die Auktion von UMTS-Frequenzen 50,8 Mrd. EUR Erlöse für die öffentliche Hand in Deutschland erbrachte, wurde das Kürzel ironisch auch mit Unerwartete Mehreinnahmen zur Tilgung von Staatsschulden gleichgesetzt. Es folgten drei weitere Frequenzversteigerungen in den Jahren 2010, 2015 und 2019, bei denen die deutschen Mobilfunknetzbetreiber für die bislang auf 15 oder 20 Jahre befristete Zuteilung begehrter knapper elektromagnetischer Funkwellenbänder insgesamt 16,1 Mrd. EUR an den Staat überwiesen.
Voraussichtlich 2024 steht wieder eine Vergabe von Funkspektrum für die mobile Breitbandkommunikation an. Es geht um Frequenzen in den drei Bereichen 800, 1.800 und 2.600 MHz, deren Zuteilungen an Telekom Deutschland (TD), Vodafone und Telefónica Germany (TG) Ende 2025 auslaufen. An den Frequenzen interessiert ist neben den drei etablierten Spielern, die seit 2010 bei jeder Auktion zum Zuge kamen, 1&1 als später Neueinsteiger, der 2019 erstmals Frequenznutzungsrechte zum Aufbau eines eigenen 5G-Netzes für 1,1 Mrd. EUR erwarb.
Platzhirsche und Später Folger: Divergierende Interessen
Die Interessenlagen der drei etablierten Anbieter und des Neueinsteigers bei der nächsten Frequenzvergabe für 5G-Netze sind sehr unterschiedlich. Erstere werben seit rund zehn Jahren für den Verzicht auf Versteigerungen zugunsten von Ausschreibungen, wenn nicht gar Verlängerungen von bestehenden Nutzungsrechten. Sie argumentieren, dass ihnen durch Auktionen Finanzmittel, die ansonsten in den Netzausbau investiert worden wären, entzogen würden. Zudem wäre es unmöglich bei einem Frequenzverlust das aktuelle Versorgungsniveau aufrecht zu erhalten. Das Lobbying der drei Etablierten führte dazu, dass bei der Novelle des Telekommunikationsgesetzes (TKG) Ende 2021 der bisherige Vorrang der Versteigerung als Vergabeverfahren für Frequenzen (§ 61 Abs. 2 TKG aF) aufgegeben wurde. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) ist nun gemäß § 100 Abs. 2 TKG nF gehalten, das Vergabeverfahren zu wählen, das insbesondere sowohl den Wettbewerb als auch die flächendeckende Mobilfunkversorgung fördert. 1&1 plädiert hingegen dafür, dass zumindest alle Frequenznachfrager bei der nächsten Vergabe gleiche Zuteilungschancen haben müssten oder man selbst sogar bevorzugt zu behandeln sei, um den Wettbewerb zu stärken, der Endnutzern letztlich über niedrigere Preise und qualitativ bessere Leistungen zugute kommen würde.
BNetzA-Positionspapier vom 22.9.2022
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Um den gordischen Knoten der parallelen Förderung von Wettbewerb und flächendeckendem Mobilfunknetzausbau zu lösen, hat die BNetzA am 22.9.2022 ein Positionspapier zur „Bereitstellung von Frequenzen in den Bereichen 800 MHz, 1.800 MHz und 2.600 MHz für den Ausbau digitaler Infrastrukturen“ zur Beratung veröffentlicht. Demnach strebt die Behörde bei besonders zur Versorgung dünn besiedelter Regionen mit 5G geeigneten Flächenfrequenzen unterhalb von einem GHz einen Tausch an. Den drei etablierten Betreibern stellt sie in Aussicht, ihre derzeitigen 800 MHz-Frequenzzuteilungen (30 MHz gepaartes Spektrum aufgeteilt in sechs Blöcke a 5 MHz) um acht Jahre bis Ende 2033 zu verlängern. Als Ausgleich für dieses Entgegenkommen will die BNetzA die Laufzeit der ursprünglich bis Ende 2033 zugeteilten 900 MHz-Frequenzen (35 MHz gepaartes Spektrum aufgeteilt in sieben Blöcke a 5 MHz) überwiegend ebenfalls um acht Jahre bzw. auf Ende 2025 verkürzen. Sie sollen dann gemeinsam mit den zur Versorgung städtischer Regionen mit hohen 5G-Bandbreiten geeigneten Kapazitätsfrequenzen in den Bereichen 1.800 und 2.600 MHz per Auktion vergeben werden. Dabei soll ein 900 MHz-Frequenzblock von TD zwar 2024 versteigert werden, aber für den erfolgreichen Bieter erst ab 2034 nutzbar sein. Grund hierfür ist, dass TD 2015 einen 5 MHz-Block mehr ersteigert hatte als Vodafone und TG und ohne diese Sonderbehandlung Ende 2025 mehr 900 MHz-Spektrum abzugeben hätte als ihre beiden Wettbewerber. Zur Laufzeit der Zuteilungen äußert sich das BNetzA-Papier nicht, sie dürfte in Anlehnung an das Vorgehen bei der letzten Auktion 2019 und aufgrund von § 92 Abs. 3 TKG nF 15 bis 20 Jahre betragen, also mindestens bis Ende 2035 und höchstens bis Ende 2045 reichen.
Die Idee des Frequenztausches ist grundsätzlich clever und innovativ. Einerseits nimmt die BNetzA sich damit aus der Schusslinie von Politikern, die auf einen Versteigerungsverzicht drängen. Von einem solchen Verzicht erhoffen sie sich, dass TD, Vodafone und TG stärker als in der Vergangenheit Ausbauauflagen für mobiles Breitband einhalten und dass die drei Unternehmen vor allem die Fläche, die nicht mit 5G-Mobilfunk abgedeckt wird („weiße Flecken“) oder nur durch mindestens einen, aber nicht alle Netzbetreiber versorgt wird („graue Flecken“), schneller als bisher verkleinern. Im Oktober 2022 belief sich der Anteil der weißen und grauen 5G-Flecken an der Fläche Deutschlands immerhin noch auf 21 Prozent. Andererseits berücksichtigt sie Empfehlungen wichtiger wissenschaftlicher Meinungsträger wie der Monopolkommission zugunsten von Auktionen als „am besten geeignete[n] Verfahren zur Vergabe knapper Frequenzen im Mobilfunkbereich“ [S. 51]. Die Realisierbarkeit der Idee hängt jedoch stark von der Kooperationsbereitschaft der Etablierten ab, da der Regulierer ihnen möglicherweise gemäß § 102 Abs. 1 Nr. 5 TKG nF zwar früher zugeteilte Frequenzen entziehen könnte, aber nur bei Zustimmung der Etablierten Rechtsunsicherheit durch langwierige Gerichtsverfahren vermieden werden kann.
Allerdings birgt der Frequenzaustausch in der von der BNetzA vorgesehenen Weise die Gefahr, dass der Newcomer von den Etablierten bei der Versteigerung der 900 MHz-Frequenzen verdrängt wird. Ein stärkerer Akzent zugunsten von mehr Wettbewerb lässt sich dadurch setzen, dass man von den sieben zu verteilenden 900 MHz-Frequenzblöcken a 5 MHz sechs Blöcke zur Nutzung ab 2026 versteigert und einen Block gepaartes Spektrum zur Nutzung ab dem gleichen Datum ausschreibt. Durch die Ausschreibung hält man sich die Möglichkeit offen, 1&1 einen Block gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 2 TKG nF zuzuordnen. Diese Option diskutiert der Regulierer in seinem Positionspapier nicht. Das ist eine Verbeugung vor den drei etablierten Spielern, die im weiteren Vergabeverfahren korrigiert werden sollte.
Eine radikale Abkehr von der bisherigen Politik der Vergabe von Frequenzen zur jeweils getrennten Nutzung durch konkurrierende Betreiber deutet die BNetzA an, indem sie es für „denkbar“ hält, dass bei 900 MHz-Frequenzen, die zunächst in den 1990er Jahren für GSM-/2G-Netze eingesetzt wurden, noch auf diese Technik angewiesene Anwendungen wie Sprachtelefonie oder ältere Maschinenfernsteuerungen „über ein gemeinsames oder von einem Netzbetreiber zur Verfügung gestelltes GSM-Netz bedient werden könnten“ (S. 18). Eine solche Strategieänderung ist sinnvoll, weil für den überschaubaren Restbestand von GSM-Diensten die Kapazität eines Multi-Betreiber-Kernnetzes genügt und diese reifen Dienste kaum noch Potenziale zur Erlangung von Wettbewerbsvorsprüngen bieten. Für die verbleibenden 900 MHz-Frequenzen sollte der Regulierer eine solche Konstruktion hingegen nicht zulassen, um so Infrastrukturwettbewerb bei 4G- und 5G-Netzen, für die ein Multi-Betreiber-Kernnetz aufgrund drohender Kapazitätsengpässe ohnehin problematisch ist, deutschlandweit zu fördern.
Bundesregierungen: Schwache Mobilfunkpolitik
Alles in allem bleibt die BNetzA mit ihren kreativen Überlegungen für die nächste Frequenzauktion 2024 ein Leuchtturm relativ zur Wirtschaftspolitik für den Mobilfunk der heu-tigen Bundesregierung und ihrer Vorgängerinnen seit dem ersten Merkel-Kabinett im Jahr 2005. Erst im Juli 2017 stellte das Bundesverkehrsministerium eine wolkige „5G-Strategie für Deutschland“ und im September 2019 eine ebenso vage Mobilfunkstrategie vor, die jeweils viele Absichten, aber keine konkreten Budgetaussagen und Verantwortungszuweisungen enthielten. Im Juli 2022 wurde die Mobilfunkstrategie dann in der Gigabitstrategie der Scholz-Regierung mit nur kleinen Erweiterungen fortgeschrieben. Für den Mobilfunk umfasst die Gigabitstrategie wieder zahlreiche Prüfaufträge und Absichtsbekundungen, möglichst bald Maßnahmen ergreifen zu wollen, aber kaum verbindlich finanziell präzise untermauerte Projekte.
Völlig überflüssig war die Anfang 2021 vollzogene Gründung einer Mobilfunkinfrastruktur-gesellschaft (MIG) zur Unterstützung der Beseitigung weißer und grauer Versorgungsflecken. Nach Eigenangaben der MIG hat sie bis Ende Dezember 2022 etwa 1.200 Erkundungsverfahren zur Lückenschließung durchgeführt. Das entspricht bei 40 Mitarbeitern für diese MIG-Teilaufgabe etwa 0,08 Verfahren pro Mitarbeiter und Arbeitstag. Diese niedrige Produktivität deutet auf die Verschwendung öffentlicher Finanzmittel hin (so auch schon ein Bericht des Bundesrechnungshofes). Effizienter wäre es, die MIG-Aufgaben dem eingespielten Apparat der BNetzA zu übertragen.
Dafür, dass der Entwicklungsstand des deutschen Mobilfunkmarktes keinen Anlass zum Jubeln gibt, gibt es viele empirische Belege. So lag Deutschland nach einer von der Europäischen Kommission initiierten Studie Ende 2020 bezüglich der Bevölkerungsabdeckung mit 5G-Netzen mit 17,8 Prozent zwar um 2,9 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt, aber um mehr als 60 Prozentpunkte hinter den EU-Führern Dänemark und Niederlande. Andere Untersuchungen zeigen, dass die 5G-Nutzungsintensität in Deutschland gegenüber der in anderen Industrienationen weit hinterher hinkt. Selbst wenn die TD-Behauptung, dass Deutschland beim 5G-Ausbau – ironischerweise, obwohl in der Vergangenheit hierzulande 5G-Frequenzen versteigert und nicht verschenkt wurden – mittlerweile europaweit vorn liegt, zutreffen würde, ist der Rollout-Status angesichts dessen, dass nach BNetzA-Statistiken Ende 2022 mehr als ein Fünftel der Fläche Deutschlands nicht mit 5G versorgt wurde, alles andere als berauschend.
Was Preise für breitbandige Internetzugänge über Mobilfunknetze angeht, zeigen im Auftrag der Europäischen Kommission und des BITKOM erstellte Untersuchungen, dass das Niveau in Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen für Wenignutzer unter- und für Vielnutzer deutlich überdurchschnittlich ausgeprägt ist. Insgesamt kann man dem deutschen Mobilfunkmarkt bestenfalls bescheinigen, dass sich sein Preisniveau international im Mittelfeld bewegt und deutlich höher als in den Best-Case-Ländern Italien und Spanien ist.
Natürlich sind diese Marktergebnisse in erster Linie auf die Anbieter von Mobilfunkdiensten zurückzuführen. Sie werden aber auch durch die Mobilfunkpolitik in Deutschland geprägt.
Gebotene Kursveränderungen
Deutliche Richtungskorrekturen der Bundesregierung bei der Wirtschaftspolitik für den Mobilfunk sind demnach notwendig. Vier Änderungen sollten mit Priorität umgesetzt werden. Erstens sind in das nächste Frequenzvergabeverfahren Negativauktionen für konkret benannte weiße Flecken zu integrieren, bei denen Frequenzen dem Bieter zugeteilt werden, der den niedrigsten Subventionsbedarf für den Lückenschluss anmeldet. Die Realitätsnähe solcher Anmeldungen sowie sonstiger Zusagen sollte dadurch positiv beeinflusst werden, dass bei nicht eingehaltenen Zusagen hohe Strafzahlungen zu leisten sind. Dies erfordert eine Änderung der derzeit gemäß § 202 Abs. 5 TKG nF zulässigen maximalen Zwangsgeldobergrenze von 10 Mio. EUR. Durch das erste Korrekturpaket werden Anreize für einen schnelleren Netzausbau gesetzt.
Zweitens sind die MIG-Aufgaben der BNetzA zu übertragen und die MIG ist aufzulösen. Von dieser Maßnahme sind neben Einsparungen Beschleunigungseffekte als Folge verringerter organisatorischer Komplexität zu erwarten.
Drittens sind heute vorhandene Kompetenzkonkurrenzen und -unklarheiten zwischen dem Bundeswirtschafs- und dem -digitalministerium bei der Mobilfunkpolitik dadurch abzustellen, dass dieses Feld in einem der beiden Ressorts zentralisiert wird. Damit wird ein Beitrag zur Vermeidung sachferner politischer Kompromisse und zu schnellerem Agieren geleistet.
Viertens sollte der Bund die Länder konsequenter als bislang dazu anhalten, staatliche Baugenehmigungsprozesse nach einem Standard zu digitalisieren und für Mobilfunknetze relevante Bauvorschriften zu entbürokratisieren.
Verbesserungen bei der politischen Flankierung der deutschlandweit nahezu lückenfreien Versorgung mit qualitativ hochwertigen, erschwinglichen Mobilfunkdiensten sind dringend erforderlich und möglich. Die Bundesregierung muss jetzt allerdings rascher als zuvor handeln.
Zur Person:
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.