Wem nützt das neue Glasfaserbereitstellungsentgelt?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Am 1. Dezember 2021 tritt in Deutschland ein neues Regelwerk mit dem sperrigen Namen „Telekommunikationsmodernisierungsgesetz“ (TKModG) in Kraft. Es greift vor allem die EU-Richtlinie 2018/1972 „über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation“ vom 11. Dezember 2018 auf, deren Umsetzung in deutsches Recht eigentlich schon bis zum 21. Dezember 2020 geboten gewesen wäre.
Das neue Artikelgesetz ist nicht nur für juristische Feinschmecker aus der Telekommunikationsbranche von Bedeutung. Es hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Internetanschluss- und Rundfunknutzungsmöglichkeiten vieler privater Haushalte sowie auf Geschäftsperspektiven von Anbietern von Gigabit-Festnetzanschlüssen und Mietwohnungen. Hier sind zwei miteinander eng verwobene Bereiche herausragend, über die schon während der Entstehung des Gesetzes heftig unter erheblicher Beachtung in Fach- und Publikumsmedien gestritten wurde.
Ende des „Nebenkostenprivilegs“
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Erstens geht es um die Abschaffung des sogenannten „Nebenkostenprivilegs“. Seit 1984 erlaubte es §2 Nr. 15b Betriebskostenverordnung (BetrKV) der Immobilienwirtschaft „die laufenden monatlichen Grundgebühren für Breitbandanschlüsse“ mit einem Basispaket von Rundfunkprogrammen, das sie von Kabelnetzbetreibern wie Vodafone oder Telecolumbus einkauften oder zumeist über Tochtergesellschaften für technische Dienstleistungen selbst bereitstellten, als Element der Warmmiete über die Betriebskostenabrechnung an private Haushalte durchzureichen.
Wenn ein Haushalt einmal seinen Mietvertrag unterschrieben hatte, konnte er den „Service“ nicht mehr durch eigene Buchungsschritte verändern, geschweige denn kündigen. Diese Regulierung, die ursprünglich zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten des vor allem zum Zweck der Erweiterung der Verbreitung privater Rundfunkanbieter von der Deutschen Post betriebenen Kabelnetzes geschaffen wurde und von der aktuell knapp 13 Millionen Privathaushalte betroffen sind, wurde schon seit mehr als einem Jahrzehnt auch von prominenten Instanzen wie der Monopolkommission bemängelt. Nach Ansicht der Kritiker beschränkte sie die Freiheit von Mietern, ihren Übertragungsweg für Rundfunk sowie ihren Lieferanten von Fernseh- und Radiopaketen zu wählen, hatte ausbeuterische Monopolpreise zur Folge und benachteiligte Wettbewerber wie Telekom Deutschland oder Freenet, die andere Lösungen für den Rundfunkempfang oder den Internetanschluss vermarkten.
Gegner einer Streichung von §2 Nr. 15b BetrKV trugen vor, dass die Verordnung nur medienrechtlich zwingende Rundfunkpakete abdecken und im Vergleich zu Einzelbuchungen von Fernseh- und Hörfunkprogrammen einen niedrigeren Administrationsaufwand für Mieter verursachen würde.
Ursprünglich sah der TKModG-Regierungsentwurf vom 25. Januar 2021 vor, die alte Regelung gemäß §2 Nr. 15b BetrKV für bis zum Inkrafttreten des Gesetzes in Betrieb genommene hausinterne Telekommunikationsnetze noch für zwei Jahre beizubehalten. In der Endfassung des neuen Regelwerkes wurde die Übergangsfrist dann auf zwei Jahre und sieben Monate ausgedehnt, also der Stichtag für das Ende der alten Nebenkostennorm auf den 30. Juni 2024 verschoben. Nach diesem Zeitpunkt dürfen Mieter der Position Rundfunkversorgung über einen Breitbandanschluss in der Betriebskostenumlage jederzeit ohne Frist widersprechen (Opt-out-Recht).
Neues Glasfaserbereitstellungsentgelt
Der zweite Bereich betrifft die Einführung eines Glasfaserbereitstellungsentgelts in §72 Telekommunikationsgesetz. Dieses Entgelt dürfen Festnetzbetreiber mit Gebäudeeigentümern vereinbaren, wenn sie nach dem 1. Dezember 2021 bis zum Jahresende 2027 deren Immobilien erstmalig mit einem hausinternen Glasfasernetz ausstatten, damit den Bewohnern dort Gigabitanschlüsse angeboten werden können. Der Vermieter kann das Entgelt unter bestimmten Voraussetzungen auf seine Mieter im Rahmen der Betriebskostenabrechnung umlegen. Hierfür muss er die Mieter nicht um eine gesonderte Einwilligung bitten. Die Mieter haben nicht das Recht, gezielt der neuen Kostenposition zu widersprechen, es sei denn, dass sie ihren Mietvertrag in Gänze kündigen, um auszuziehen.
Das Entgelt ist auf höchstens fünf Euro pro Monat und Wohnung begrenzt. Es kann in der Regel bis zu fünf Jahre, in Ausnahmefällen bei hohen Ausbaukosten etwa aufgrund von Denkmals- oder Brandschutzschutzauflagen oder fehlender Leerrohre bis zu neun Jahre, also im Extremfall bis Ende 2036, von Mietern gefordert werden. In der Summe können so bis zu 300 bzw. 540 Euro pro Wohnung zusammenkommen. Das Bereitstellungsentgelt darf auch für hausinterne Glasfasernetze erhoben werden, die bereits zwischen Anfang Januar 2015 und Ende November 2021 errichtet wurden, wenn ein Gebäudeeigentümer einen Gestattungsvertrag eingegangen ist, der noch mindestens bis zum 1. Juli 2024 läuft.
Von der neuen Mieterabgabe erhofft man sich, dass sie die Verlegung von gebäudeexternen Glasfaserleitungen in Endverzweigerbereichen, im Branchenjargon Fiber-To-The-Building (FTTB), beschleunigen wird. Die FTTB-Versorgungsquote („homes passed“ in Prozent aller Privathaushalte) ist in Deutschland bislang niedrig: Verschiedene Studien sprechen dafür, dass Ende 2021 etwa 18 Prozent bis 20 Prozent der Haushalte sind an eine FTTB-Endleitung angeschlossen sind. Deutschland liegt damit um mehr als 25 Prozentpunkte unter dem Durchschnitt der EU-Mitgliedsstaaten.
Das schwache Angebot wird auch darauf zurückgeführt, dass in vielen Gebäuden kein Netz vorhanden ist, das Endnutzer in die Lage versetzt, das Leistungspotenzial von hausexternen Glasfaserleitungen voll auszuschöpfen. Das Glasfaserbereitstellungsentgelt wird als intelligenter Nachfolger des alten Nebenkostenprivilegs gefeiert. Diese Position überzeugt nicht, weil sie ohne empirische Nachweise unterstellt, dass die ab Juli 2024 eliminierten Breitbandanschlussgebühren ohne Abwahlrechte für Mieter hauptsächlich für den Ausbau gebäudeinterner Glasfasernetze eingesetzt worden sind oder noch werden.
Bewertung der neuen Regulierung
Wie sind die neuen Regelungen aus Sicht von Mietern und der Immobilien- sowie Telekommunikationswirtschaft zu bewerten?
Bezüglich des alten „Nebenkostenprivilegs“ ist festzustellen, dass die nicht gerade knapp bemessene Übergangszeit wahrscheinlich europarechtswidrig ist, da die Umsetzung des Kodex für die elektronische Kommunikation von Deutschland nicht eigenmächtig weiter um dann insgesamt mehr als dreieinhalb Jahre verzögert werden darf. Sie ist auch nicht mit dem Argument des Vertrauensschutzes für die Wohnungswirtschaft oder Kabelnetzbetreiber zu rechtfertigen, weil sich das Ende der Umlagefähigkeit der Rundfunkversorgung über Kabelanschlüsse seit langem abgezeichnet hat. Investoren konnten und mussten es berücksichtigen. Die lange Übergangsfrist ist nicht sachgerecht. Sie spiegelt eher den Erfolg der Lobbyarbeit der Wohnungs- und Telekommunikationswirtschaft im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess wider.
Das Glasfaserbereitstellungsentgelt ist mit bis zu 300 bzw. 540 Euro je Wohnung so üppig bemessen, dass die Investitionen für ein neues hausinternes Glasfasernetz bis in die Wohnungen zumeist damit voll gedeckt werden können. Mieter tragen somit die Kosten für diese Gebäudeausstattung allein, obwohl nicht nur sie davon profitieren. Die Ausstattung hat ebenso für Vermieter durch Wertsteigerung ihrer Gebäude und für Festnetzbetreiber durch Verbesserung ihrer Möglichkeiten zur Vermarktung von margenträchtigen Gigabitanschlüssen enorme Vorteile. Die Ausdehnung des Entgelts auf einen Altbestand von hausinternen Netzen mit der Begründung der Notwendigkeit eines Vertrauensschutzes ist aus dem gleichen Grund wie die Verzögerung des Endes des alten Nebenkostenprivilegs ein Fehlgriff des Gesetzgebers. Sie betrifft versunkene Investitionen der Vergangenheit und schafft keine Anreize für zukünftige Ausbauten, sondern zeigt ebenfalls, wie wirksam die Einflussnahme von Immobilienkonzernen und Netzbetreibern auf Bundestag und -rat bei der Formulierung des TKModG war.
Handlungsbedarf
Was ist angesichts dieser Lage zu tun, nachdem sich der Pulverdampf der Wahl am 26. September 2021 gelegt hat, um zu Regeln zu kommen, welche die Interessen der Beteiligten stärker austariert? Beim alten Nebenkostenprivileg drängen sich zwei Maßnahmen auf. Erstens sollte der Gesetzgeber jegliche Übergangsfristen bis zu dessen Abschaffung beseitigen. Zweitens sollte die Beendigung der bisherigen gebündelten Belieferung mit Breitbandanschluss und Rundfunksignalen so gestaltet werden, dass sie automatisch eintritt, sofern ein Mieter ihr nicht ausdrücklich widerspricht. Eine solche Opt-in-Konstruktion senkt Wechselhindernisse für Mieter. Sie macht es für die Wohnungswirtschaft und Kabelnetzbetreiber attraktiver, sich mit guten Angeboten um eine bewusste Zustimmung von Mietern zur Fortsetzung der Belieferung mit einem Paket aus Breitbandanschluss und Rundfunkdiensten zu bemühen.
Bei dem neuen Glasfaserbereitstellungsentgelt sind ebenfalls zwei Modifikationen angezeigt. Erstens sollten Mieter nicht ohne individuelle gesonderte Einwilligung zur Zahlung über die Betriebskostenabrechnung verpflichtet werden können, sofern es um bereits vor dem 1. Dezember 2021 betriebsbereite hausinterne Glasfasernetze geht. Zweitens sollten die Investitionen für solche Infrastrukturen in Miethäusern nicht ausschließlich Haushalten und Geschäftskunden aufgebürdet, sondern auch die Wohnungswirtschaft und Festnetzbetreiber daran beteiligt werden. Dies bedeutet, dass die Entgeltobergrenzen zumindest deutlich unter 300 bzw. 540 Euro pro Mieteinheit zu senken sind oder gar bei paritätischer Verteilung höchstens ein Drittel der nachgewiesenen wirtschaftlich vertretbaren Ausstattungsinvestitionen über die Betriebskosten auf Mieter umgelegt werden darf.
Demnach warten auf die neue Bundesregierung nicht bloß bei Generalthemen wie dem Klimaschutz, der Besteuerung von Vermögen und Einkommen sowie der Rentengestaltung in einer rasch alternden Gesellschaft, sondern auch bei der Regulierung der Rundfunkverbreitung und der ausgewogener Rahmenbedingungen für den Roll-out von Gigabitanschlüssen wichtige Aufgaben. Im Sinn der Verbesserung der Versorgung der Republik mit vielfältigen Rundfunkübertragungswegen und zukunftsfähigen Glasfaseranschlüssen wäre es gut, wenn sie die Bewältigung dieser Spezialaufgaben rasch angeht.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.