Gastbeitrag

Gastbeitrag: Offene Zugangsnetze im Mobilfunk

Offene Funk­zugangs­netze (Open Radio Access Networks) werden von Poli­tikern und Publi­kums­medien häufig als Königsweg zur Erhö­hung der digi­talen Souve­ränität von Betrei­bern von Mobil­funk­netzen der vierten oder fünften Gene­ration insbe­son­dere gegen­über Ausrüs­tern chine­sischen Ursprungs propa­giert.
Von Torsten J. Gerpott

Offene Funk­zugangs­netze (Open Radio Access Networks) werden von Poli­tikern und Publi­kums­medien häufig als Königsweg zur Erhö­hung der digi­talen Souve­ränität von Betrei­bern von Mobil­funk­netzen der vierten oder fünften Gene­ration insbe­son­dere gegen­über Ausrüs­tern chine­sischen Ursprungs propa­giert. Dieser Artikel analy­siert, inwie­fern diese Sicht zutref­fend ist. Seit mehreren Jahren wird darüber gestritten, inwie­fern es poli­tisch vertretbar ist, wenn Netz­betreiber von Indus­trie­nationen Kompo­nenten für Mobil­funk­netze der vierten oder fünften Gene­ration (4/5G), die von chine­sischen Ausrüs­tern wie Huawei oder ZTE herge­stellt werden, nutzen. Aktuell hat die Diskus­sion infolge von Hinweisen litaui­scher Behörden auf mögliche Zensur­funk­tionen und Sicher­heits­lücken in Smart­phones von Huawei und Xiaomi wieder an Inten­sität zuge­nommen. Die letzte Bundes­regie­rung unter Kanz­lerin Merkel hat aufgrund der Debatte etliche Maßnahmen getroffen, von denen zwei heraus­ragen.

Erstens wurde im Mai 2021 das Gesetz über das Bundesamt für Sicher­heit in der Infor­mati­ons­technik (BSI) geän­dert. Das Regel­werk ermäch­tigt nun das Bundes­innen­minis­terium Netz­betrei­bern die Verwen­dung „kriti­scher (IT-) Kompo­nenten“ zu unter­sagen, „wenn der Einsatz die öffent­liche Ordnung oder Sicher­heit der Bundes­repu­blik Deutsch­land voraus­sicht­lich beein­träch­tigt“ (§ 9b). Zwei­tens wurden als Teil des Corona-Konjunk­tur­pakets zwei Mrd. Euro bereit­gestellt, mit denen Projekte zur Entwick­lung einer offenen Archi­tektur für 4/5G-Funk­zugangs­netze, im Bran­chen­jargon Open Radio Access Networks (O-RAN), geför­dert werden sollen. Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott

O-RAN-Konzept

Der O-RAN-Ansatz strebt die Modu­lari­sie­rung und primär soft­ware­gestützte bessere Steue­rung von 4/5G-Zugangs­netzen an, die Nutzer­end­geräte (Smart­phones, Tablets, Laptops) über Antennen mit Basis­sta­tionen als Eingangs­tore zum 4/5G-Kern­netz verknüpfen. Hierzu sollen herstel­ler­über­grei­fend tech­nische Spezi­fika­tionen für Schnitt­stellen zwischen den Modulen veröf­fent­licht werden, so dass sich Funk­kom­ponenten und Soft­ware verschie­dener Ausrüster mitein­ander kombi­nieren lassen. Davon erhoffen sich Betreiber von 4/5G-Netzen die Abhän­gig­keit von einzelnen Herstel­lern wie Huawei zu verrin­gern und den Wett­bewerb so zu inten­sivieren, dass die RAN-Preise fallen sowie Inno­vationen schneller entwi­ckelt werden. Sie versu­chen deshalb seit 2016 in verbands­ähn­lichen Projekt­gruppen (xRAN Forum, Cloud RAN Alli­ance), die seit 2018 als „O-RAN Alli­ance e.V.“ firmieren, den O-RAN-Ansatz möglichst gemeinsam mit Ausrüs­tern welt­weit voran­zubringen.

Poli­tische Entscheider und Publi­kums­medien vermit­teln häufig den Eindruck, dass der O-RAN-Ansatz der Königsweg sei, um über die Austausch­bar­keit von Ausrüs­tern insbe­son­dere chine­sischer Prove­nienz die digi­tale Souve­ränität oder gar Autarkie von heimi­schen 4/5G-Netz­betrei­bern deut­lich zu stei­gern. Tech­nische und empi­rische Fakten spre­chen jedoch dafür, dass sie einer Schi­märe aufsitzen.

Tech­nische Aspekte

In tech­nischer Hinsicht kann eine O-RAN-Archi­tektur zwar mehr Trans­parenz für die Schnitt­stellen verschie­dener 4/5G-Zugangs­netz­module (Antennen, Signal­umwand­lung, Signal­ver­arbei­tung) schaffen. Dadurch ändert sich der „Black-Box“-Charakter der Module selbst jedoch nicht. Hierzu wäre es erfor­der­lich, nur noch auf stan­dar­disierte „White-Box“-Hard­ware zurück­zugreifen und die modul­spe­zifi­schen Soft­ware­pakete zu veröf­fent­lichen.

Davon sind aber bis heute alle RAN-Ausrüster, im Gegen­satz zur Rhetorik der O-RANAlliance, „White Box Hard­ware“ und „Open Source Soft­ware“ entwi­ckeln zu wollen, weit entfernt. Neue Module müssen außerdem bei jedem 4/5G-Netz­betreiber in unter­schied­licher Weise aufein­ander und mit dem bislang einge­setzten RAN abge­stimmt werden. Diese Inte­gra­tion, für die insbe­son­dere bezüg­lich der modul­über­grei­fenden RAN-Absi­che­rung gegen Angriffe Externer komplexe und den Ener­gie­ver­brauch in die Höhe trei­bende Proze­duren erst geschaffen werden müssen, ist zeit­auf­wändig und mit erheb­lichen Kosten verbunden. Sie fallen bei proprie­tären RAN aus einer Hand nicht an. Die Zusatz­kosten werden aktuell beim japa­nischen Mobil­funk­netz­betreiber Rakuten deut­lich, bei dem sich die O-RAN-Ausbau­kosten gegen­über der ursprüng­lichen Planung von rund 5 Mrd. Euro wohl verdop­peln werden. Für die Modul­abstim­mung haben 4/5G-Netz­betreiber entweder selbst Kompe­tenzen aufzu­bauen oder damit einen Gene­ral­unter­nehmer zu beauf­tragen, so dass die bishe­rige Abhän­gig­keit von einem Ausrüster durch die von einem System­inte­grator ersetzt wird.

Empi­rische Aspekte

In empi­rischer Hinsicht gibt es keine Anhalts­punkte dafür, dass Konzepte, die „Offen­heit“ der Soft- und Hard­ware von Netzen propa­gieren, zu beach­tens­werten Markt­ein­tritten potenter Wett­bewerber auf Ausrüs­tungs­märkten geführt haben. Bereits seit den frühen 1990er-Jahren wird im Zusam­men­hang mit der Verbrei­tung von verstärkt durch Soft­ware und weniger durch Hard­ware in ihrer Funk­tio­nalität bestimmten „intel­ligenten“ (Fest-)Netzen an deren Modu­lari­sie­rung und offenen Anwen­dungs­schnitt­stellen gear­beitet. Dieser Archi­tek­tur­wandel hat aber nicht dazu beigetragen, die für Ausrüs­ter­märkte typi­schen engen Oligo­pole aufzu­bre­chen. Ebenso haben die O-RAN-Allianz und deren Vorgänger, die schon mehr als fünf Jahre aktiv sind, keine Effekte auf die Anbie­ter­struk­turen. Für O-RAN ist ein Aufbre­chen aus EU-Sicht zudem gar nicht zwin­gend erstre­bens­wert, da die beiden euro­päi­schen Spieler Ericsson und Nokia hier über eine sehr starke Markt­posi­tion verfügen.

Der O-RAN-Ansatz entspricht hingegen mehr den Inter­essen US-ameri­kani­scher IT-Hersteller und Betreiber digi­taler Platt­formen (Google, Apple, Face­book, Amazon, Micro­soft), weil sie auf dem RAN-Markt noch kaum präsent sind.

Mehr Geopo­litik als Technik

Alles in allem ist bei näherem Hinschauen das O-RAN-Konzept nicht als von tech­nischen Ideen getrie­bene (r)evolu­tio­näre Netz­archi­tektur, die von 4/5G-Betrei­bern und 4/5G-Ausrüs­tern welt­weit einver­nehm­lich gestaltet wird, einzu­stufen. Es entpuppt sich statt­dessen als geopo­liti­scher Ansatz zur Ausgren­zung chine­sischer Hersteller und Stär­kung US-ameri­kani­scher IT-Unter­nehmen. Für die Ausgren­zung mag es gute Gründe geben. Nur sollten Poli­tiker diese nicht mit dem viel­deu­tigen O-RAN-Schlag­wort verbrämen.

In Deutsch­land hat man kluger­weise mit der eingangs beschrie­benen Norm im BSI-Gesetz eine Hand­lungs­option geschaffen, die ein klares Anspre­chen poli­tisch begrün­deter Ausgren­zungs­erfor­der­nisse glei­cher­maßen für chine­sische, aber auch für US-ameri­kani­sche 4/5G-Ausrüster möglich macht. Deshalb sind die Subven­tionen des Bundes für O-RAN-Forschungs­pro­jekte zwar gut gemeint, aber wenig hilf­reich, um die digi­tale Selbst­stän­dig­keit Deutsch­lands bei 4/5G-Netzen merk­lich zu erhöhen.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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