entkopiert

Editorial: Copyright ja - aber richtig!

Verbraucher gehen in immer komplizierteren Regelungen unter
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Der Onlinehändler Amazon muss 150 000 Dollar Schadenersatz an einen Schüler bezahlen: In dessen Schule wurde gerade das Buch "1984" von George Orwell besprochen, und so lud er dieses auf sein E-Book-Lesegerät Kindle und erledigte auch die Hausaufgaben darauf, in Form von elektronischen Randnotizen. Doch dann stellte Amazon plötzlich fest, dass sie (bzw. der anbietende Händler) gar nicht die Rechte für den elektronischen Vertrieb von Orwell hatten. Und so löschten sie kurzerhand das Buch wieder von den Lesegeräten ihrer Kunden und erstatteten den Kaufpreis zurück. Doch damit machten sie die Randnotizen und somit die Hausaufgaben des Schülers unbrauchbar. Neben dem PR-Desaster, ausgerechnet Orwells Bücher per "Fernüberwachung" gelöscht zu haben, hat Amazon nun auch einen handfesten finanziellen Schaden.

Das Beispiel beweist, wie einfach es geworden ist, sich in den diversen Fallstricken des Copyright-Rechts zu verheddern. Amazon löschte Orwells E-Books ja nicht aus Böswilligkeit, sondern um ihre Kunden vor einer Straftat zu bewahren: Da die Originalquelle nicht ausreichend lizensiert war, handelte es sich bei den Downloads auf den Kindles formal um Raubkopien. Und das, obwohl die Kunden diese aus einer seriös erscheinenden Quelle bezogen und dafür bezahlt hatten!

Microsofts EULAs für Betriebssystem, Service-Packs, Browser und Office-Software füllen zusammen mindestens ein Taschenbuch, und regeln bis ins letzte Detail, was der User darf, oder genauer gesagt, was er alles nicht darf. Bei der kleinsten Verletzung der Regeln verliert der Nutzer formal das Recht zur weiteren Nutzung der Software. Somit nutzen wahrscheinlich hunderttausende Windows allein deswegen formal illegal, weil sie einen Screen-Shot im Web oder in einer Zeitschrift veröffentlicht haben und damit eine laut EULA unzulässige Weitergabe der mit dem System ausgelieferten Icons und/oder Bilder begangen haben.

Übersicht tut not!

Mit Sicherheit liegt Microsoft nicht daran, Nutzer zu kriminalisieren, die Bedien-Tipps für Windows mit Screenshots unterlegen. Die Regeln wurden wahrscheinlich dafür in die EULA aufgenommen, damit man nicht plötzlich den kompletten Windows-Icon-Satz in einem Linux-Clon wiederfindet. Doch die Regeln gelten nun mal allgemein, und gefährden damit auch den User, der eigentlich nur Gutes erreichen will.

Kein Wunder, dass immer wieder und zunehmend lauter die Abschaffung des Copyright-Rechts gefordert wird. Doch die faktische Abschaffung von Kopierbeschränkungen, wie von Teilen der Piratenpartei gefordert, kann nicht die Lösung sein. Schließlich leben in unserem Land zu viele Bürger direkt oder indirekt von geistigem Eigentum. Vom Copyright- oder Patentschutz ihrer Werke profitieren zum einen direkt die Werkeschaffenden wie Musiker, Schauspieler, Journalisten, Photographen, Programmierer, Ingenieure oder Architekten. Aber auch die Verkäuferin in der Boutique ist darauf angewiesen, dass die dort gehandelte Ware ihren Wert behält, und das klappt nun mal nicht, wenn nebenan billige Plagiate verkauft werden.

Somit bleibt der Reform-Ruf nach dem Gesetzgeber: Macht das Copyright-Recht einfach und überschaubar! Verbietet seitenlange Lizenzbedingungen und Vertragswerke, die Großhändler, Einzelhändler und die Kunden in unmögliche Situationen bringen. Schafft stattdessen klare Regel-Klassen (zum Beispiel "Freeware", "Creative Commons", "kommerzielle Nutzungslizenz"), von denen sich die Rechteinhaber eine auswählen und bei denen sie nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes ergänzende Detailregelungen treffen können.

Egal, welches Lizenzmodell der Urheber wählt: Der Endnutzer braucht klare Rechte, insbesondere zur dauerhaften legalen Nutzung eines legal erworbenen Werks. Auch und gerade dann, wenn der Nutzer ein digitales Werk später auf ein anderes Gerät übertragen oder gar weiterverkaufen will. Werke, die durch einen Vorgang beim Hersteller, zum Beispiel Abschaltung eines Lizenzservers, ihre Nutzbarkeit verlieren können, sind diesbezüglich von vornherein als mängelbehaftet anzusehen; der Verbraucher oder Verbraucherschutzorganisationen sollen das Recht erhalten, auf Beseitigung dieses Mangels zu klagen.

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