Zähmung der großen Digitalplattformen durch Datenzugang?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Im Alltag können Verbraucher, Unternehmen und Behörden im Internet den großen Betreibern von Plattformen, die Anbieter und Nachfrager von Produkten und Diensten durch Informationsaustausch digital verknüpfen, kaum entgehen. Die Spieler mit dem größten Gewicht sind hier Google, Apple, Facebook und Amazon, für die sich das Akronym Gafa-Ökonomie eingebürgert hat. Google beherrscht mit seiner Suchmaschine den Markt für allgemeine Recherchen mit einem globalen Seitenaufrufanteil von fast 93 Prozent, mit YouTube das Geschäft mit von Nutzern erzeugten Videos und mit Android den Betriebssystemmarkt für Smartphones sowie Tablets, von denen aktuell etwa 85 Prozent mit dieser Software ausgeliefert werden.
Apple spielt mit seinem App Store eine herausragende Torwächterrolle beim Vertrieb von Anwendungssoftware für Smartphones sowie Tablets und baut konsequent seine Macht im Musik-Streaming- sowie Download-Markt aus. Facebook betreibt das weltweit größte soziale Netzwerk und erreicht mit seiner Medien-Sharing-App Instagram sowie dem Messenger-Dienst WhatsApp unzählige Menschen. Amazon ist im Begriff auf seinem Marktplatz als Eigenverkäufer und Verkaufsvermittler seinen Anteil am deutschen Online-Handel auf mehr als 50 Prozent [Link entfernt] zu steigern.
GWB-Digitalisierungsgesetz
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Die große ökonomische Macht der Gafa verbunden mit deren oft als unangemessen empfundenem Verhalten im Hinblick auf den Schutz von Nutzerdaten, politische Werbekampagnen, Urheberrechte, Netzneutralitätsauflagen, Hassreden, Vermittlungsprovisionen und Eigenangeboten relativ zu Konkurrenzofferten haben dazu geführt, dass die amerikanischen Digitalkonzerne von Regierungen, Parlamentariern, Verbraucherschützern und unterschiedlichsten zivilgesellschaftlichen Organisationen weltweit zunehmend kritisch beäugt werden. Die Gafa-Ökonomie sieht sich heute mit einer Vielzahl von Initiativen konfrontiert, die darauf zielen, von den vier Spielern möglicherweise verursachten volkswirtschaftlichen und politischen Schäden entgegenzuwirken.
Speziell in Deutschland hat die Bundesregierung „eine Wettbewerbspolitik für das digitale Zeitalter“ als einen wichtigen Hebel zur Begrenzung des Einflusses von Betreibern großer digitaler Plattformen ausgemacht. Deshalb hat das Wirtschaftsministerium am 9. September 2020 den von der Bundesregierung verabschiedeten Entwurf für ein „Digitalisierungsgesetz“ zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das als die Verfassung der sozialen Marktwirtschaft Deutschlands gilt, in den parlamentarischen Prozess eingebracht.
Neuer Anspruch auf Datenzugang
Ein zentrales Element des Entwurfs ist die Einführung eines Anspruchs von Unternehmen auf den Zugang zu Daten dominanter Plattformbetreiber durch Erweiterungen von §19 Absatz 2 Nr. 4 und §20 Absatz 1 GWB. Zukünftig soll die Liste der Verhaltensverbote für Unternehmen mit überlegener oder relativer Marktmacht und große „Vermittler auf mehrseitigen Märkten“ auch die Weigerung, anderen Unternehmen „gegen ein angemessenes Entgelt ... Zugang zu Daten ... zu gewähren“ (§19 Absatz 2 Nr. 4), umfassen.
Eine Ablehnung des Zugangs zu Daten großer Plattformbetreiber, auf die andere Unternehmen zwingend angewiesen sind und für die keine „ausreichende[n] und zumutbare[n] Ausweichmöglichkeiten“ zur Datenbeschaffung vorhanden sind, wird ausdrücklich als nicht erlaubte „unbillige Behinderung“ (§20 Absatz 1a) eingestuft, und zwar selbst dann, wenn der Datenzugang bislang in der Geschäftspraxis unüblich ist. Das Bundeskartellamt soll die Kompetenz erhalten, „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ zu untersagen, durch exklusive Nutzung von Daten, die sie auf beherrschten Märkten gesammelt haben, „Marktzutrittsschranken zu errichten“ (§19a Absatz 2 Nr. 3).
Hinter den neuen Vorschriften steht die Überlegung, dass Digitalgiganten durch die Sammlung und Auswertung von Daten der Besucher und Kunden ihrer Plattformen Angebote besser maßschneidern können als Wettbewerber, sofern die Nutzerdaten den anderen Unternehmen nicht ebenfalls zur Verfügung stehen. Durch Senkung der Hürden für Ansprüche auf Datenzugang erhofft man sich, die Konkurrenz präventiv so zu stärken, dass wirtschaftspolitisch ungewollte Behinderungen gar nicht erst eintreten. Prinzipiell ähnliche Zugangsverpflichtungen haben zwar in anderen Industrien wie der Telekommunikation oder der Stromversorgung zur Intensivierung des Wettbewerbs und zu Endkundenpreisdruck beigetragen. Ähnliche Effekte sind aber bei den großen digitalen Plattformen nicht zu erwarten, weil die Bundesregierung bei der Regulierung des Datenzugangs in der GWB-Novelle die mächtigen Unternehmen nur mit Samthandschuhen anfasst. Fünf Mängel sind besonders gravierend.
Zugang zu Algorithmen
Erstens klärt weder das Gesetz selbst noch die Gesetzesbegründung, wie weit der Begriff „Daten“ ausgelegt werden soll. Damit ein Zugang zu Daten der Plattformbetreiber die gewünschten Wirkungen haben kann, ist es essentiell, den Anspruch nicht auf Nutzungsprofile bestimmter Personen oder „Dinge“, die anderweitig nicht mit vertretbarem Aufwand beschaffbar sind, zu begrenzen. Derartige Daten begründen nämlich nicht die Vorteile von Plattformbetreibern. Es sind vielmehr die Algorithmen, mit denen sie ausgewertet werden, um Besucher z.B. durch individualisierte Werbung oder dynamische Preise gezielt zu beeinflussen. Das Gesetz sollte deshalb so geändert werden, dass ein präzise konturiertes Recht sich auf den Zugang zu derartigen Programmen erstreckt.
Verzicht auf überzogenen Datenschutz
Zweitens wird die Verpflichtung, Datenzugang zu verschaffen, durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ausgehebelt. Die Bundesregierung interpretiert in der Gesetzesbegründung ausdrücklich die neuen Datenzugangsvorschriften nicht als eine rechtliche Verpflichtung im Sinn von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe c DSGVO, der Plattformbetreiber unterliegen. Damit dürfen sie Wettbewerbern Datenzugang nur nach ausdrücklicher Einwilligung ihrer Nutzer gestatten. Der Zwang, von jedem Nutzer vor einer Datenweitergabe an Wettbewerber dessen Zustimmung einzuholen, errichtet eine große Hürde für den effizienten Zugang zu vollständigen verwertbaren Daten. Diese Barriere muss beiseite geschafft werden. Das ist möglich, indem festgestellt wird, dass große Plattformbetreiber aufgrund der durch das GWB begründeten rechtlichen Verpflichtung, Konkurrenten Datenzugang zu gewähren haben, wenn angenommen werden darf, dass andere Unternehmen sich bei der Verwendung der empfangenen Daten an die DSGVO halten. Die Betreiber dürfen dann auf individuelle Nutzereinwilligungen verzichten. Gleichzeitig ist so ein angemessener Datenschutz gewährleistet.
Leitplanken für die Entgeltbestimmung
Drittens drückt sich die Bundesregierung um die Beantwortung der vielschichtigen Frage, wie ein „angemessenes Entgelt“ für den Datenzugang bestimmt werden kann. Soll es anhand entgangener Gewinne der Plattformbetreiber kalkuliert werden? Soll es sich – analog zum Vorgehen bei Telekommunikationsnetzen von Betreibern mit beträchtlicher Marktmacht – an Wiederbeschaffungskosten der effizienten Zugangsbereitstellung orientieren? Die Bundesregierung sollte deshalb die Gerichtsfestigkeit zukünftiger Feststellungen des Bundeskartellamtes zur missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch überhöhte Entgelte für den Datenzugang stärken, indem sie zumindest in die Begründung der 10. GWB-Novelle Leitplanken zur Bestimmung der Angemessenheit von Datenzugangsentgelten aufnimmt. Zudem kann die Regierung zum Unsicherheitsabbau dadurch beitragen, dass sie in §20 Absatz 1a klarstellt, ob große Plattformbetreiber auch im Fall der wirtschaftlichen Abhängigkeit anderer Unternehmen vom Zugang zu deren Daten für die Bereitstellung ein angemessenes Entgelt fordern dürfen.
Konkretisierung von Verweigerungsvoraussetzungen
Viertens schwächt die Bundesregierung Ansprüche von Wettbewerbern auf Datenzugang durch einige Weichmacher, die in der Vorläufernorm nicht zu finden sind. So haben digitale Plattformen den Zugang nur zu gewähren, wenn er „objektiv notwendig ist, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein, und die Weigerung den wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten droht“. Selbst für den Fall, dass diese Bedingungen erfüllt sind, räumt man den großen Plattformbetreibern noch die Möglichkeit ein, den Zugang mit der Begründung zu verweigern, dass die Ablehnung „sachlich gerechtfertigt“ sei. Unbestimmte Rechtsbegriffe wie objektive Notwendigkeit und sachliche Rechtfertigung werden viele Wettbewerber davon abschrecken, Datenzugangsforderungen an die großen Plattformen zu stellen, die sie unterstützt durch das Bundeskartellamt erst in gerichtlichen Auseinandersetzungen mit höchst ungewissem Ausgang durchsetzen können. Solche vagen Formulierungen sollten deshalb bei der GWB-Reform nachgeschärft werden.
Schutz von Start-ups
Fünftens eröffnet die Änderung von §20 Absatz 1 GWB neu für die Gafa-Gruppe die Möglichkeit, von jungen Unternehmen Zugang zu anderweitig nicht beschaffbaren Daten zu verlangen und sie durch Einsatz dieser Daten sowie ihrer überlegenen Ressourcen zu verdrängen. Angesichts der wettbewerbsbedrohenden Effekte dieser Option sollte das GWB wieder so verfasst werden, dass es zumindest gegenüber Start-ups keine zusätzlichen Datenzugangsansprüche für große Plattformbetreiber schafft.
Fazit
Der aktuelle Entwurf für ein GWB-Digitalisierungsgesetz lässt daran zweifeln, dass es der Bundesregierung ernst damit ist, durch neue Datenzugangsrechte den Wettbewerbsdruck auf die Gafa-Gruppe merklich zu erhöhen. Die hier geforderten Veränderungen der Datenzugangsregulierung im GWB beinhalten zwar deutliche Einschränkungen von Eigentumsrechten großer Plattformbetreiber. Sie sind aber infolge der so erreichbaren gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Vorteile verhältnismäßig. Bundestag und Bundesrat sind deshalb gut beraten, den Regierungsvorschlag beim Datenzugang so zu ändern, dass auch das Kartellrecht einen wirksamen Beitrag zur Begrenzung der Marktmacht insbesondere der vier großen amerikanischer Plattformbetreiber zu leisten vermag.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.