Gigabit-Voucher: Gravierende Schwächen
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Im Koalitionsvertrag vom Februar 2018 geben CDU, CSU und SPD ehrgeizige Ziele bezüglich der Versorgung der Bundesrepublik mit Gigabit-Anschlüssen vor. Dessen ungeachtet sind Ende 2019 gerade einmal 10,6 Prozent der privaten Haushalte in Deutschland an leistungsstarke Netze angeschlossen, die Glasfaserkabel bis zum Gebäudekeller (= Fiber-To-The-Building; FTTB) oder bis zur Geräteanschlussdose in der Wohnung (= Fiber-To-The-Home; FTTH) einsetzen. Von 4,4 Millionen technisch anschließbaren Haushalten haben nur 33,8 Prozent auch einen FTTB/H-Anschlussvertrag mit einem Netzbetreiber unterzeichnet. Angesichts des seit Jahren niedrigen Verhältnisses zwischen der Zahl der tatsächlichen Kunden und der Zahl der technisch möglichen FTTB/H-Anschlüsse überrascht es nicht, dass man nach Wegen zur Erhöhung der „Take-Up-Rate“ bei derartigen Gigabit-Anschlüssen sucht. Vor diesem Hintergrund empfiehlt aktuell die Monopolkommission in ihrem am 3. Dezember 2019 veröffentlichten 11. Sektorgutachten Telekommunikation – wie schon zwei Jahre zuvor – auf Bundesebene eine nachfrageseitige Förderung von FTTB/H-Anschlüssen bei privaten Haushalten und kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) durch „Gutscheine sowohl für den Abschluss eines Vertrages als auch die Errichtung eines Glasfaserhausanschlusses“ (Seite 6 des Dokuments).
Was sind Gigabit-Voucher?
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
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Bei solchen „Gigabit-Vouchern“ geht es um niedrige, von der öffentlichen Hand finanzierte, einmalige Förderbeträge von zumeist nicht mehr als 500 Euro pro Empfänger. Hauseigentümer, private Endkunden oder KMU reichen die Zuschussberechtigung in Form eines Gutscheins bzw. Subventionsantrags an einen Netzbetreiber ihrer Wahl, der sie mit einem FTTB/H-Anschluss versorgt, weiter. Der Anbieter lässt sich bei der als „Anschluss-Voucher“ bezeichneten Variante nach der Verlegung von Glasfaser auf der Stichstrecke von der Grundstücksgrenze bis zum Haus oder bei dem Modell „Vertrags-Voucher“ nach Abschluss eines Vertrags mit einem Endkunden über die Bereitstellung eines glasfaserbasierten Internet-Anschlusses mit besonders hoher Bandbreite (in der Praxis: zumeist mit Empfangsgeschwindigkeiten von mehr als 250 MBit/s) die Subvention durch eine staatliche Organisation – in Betracht kommt dafür hierzulande etwa das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – auszahlen.
Durch die Gutscheine soll bei Netzbetreibern die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus von FTTB/H-Netzen verbessert werden, sodass sie auch in Gebieten investieren, die ansonsten nicht erschlossenen worden wären. Für Endnutzer soll mit Vouchern ein Anreiz geschaffen werden, FTTB/H- Angebote nachzufragen. Die Kosten von Voucher-Programmen zur Unterstützung der FTTB/ H-Anbindung von Privathaushalten in Regionen, in denen keine Gigabit-Infrastrukturen verfügbar sind, werden für Deutschland auf 1,5 bis 3,0 Mrd. Euro geschätzt, wenn man den Zuschuss auf 500 Euro pro Empfänger begrenzt.
Die Monopolkommission steht mit ihrem Plädoyer zugunsten von Gigabit-Vouchern keineswegs allein. Seit Anfang 2016 betonen Bundesministerien, Industrieverbände wie BDI, BREKO oder VATM, wissenschaftliche Gutachter und jüngst auch die Fraktion der FDP im Bundestag in einem plakativ mit „Smart Germany – Gigabit-Gutscheine für den Breitbandausbau“ überschriebenen Beschlussantrag eher undifferenziert Vorteile einer Subventionierung von FTTB/H-Anschlüssen durch Ausgabe von Gutscheinen. Auf der Ebene der Bundesländer hat die nordrhein-westfälische Regierung im Haushaltsgesetz 2019 eine Million Euro für ein Gutschein-Programm eingestellt, das einen Zuschuss von bis zu 500 Euro pro Anschluss/Vertrag vorsieht. Damit sollen bei mehreren tausend Endkunden Effekte der nachfrageseitigen Fördermaßnahme getestet werden.
Demnach scheinen Gigabit-Voucher ein überzeugendes Mittel zu sein, um den in internationalen Vergleichen konstatierten Rückstand insbesondere ländlicher Regionen Deutschlands beim Ausbau und der Nachfrage von FTTB/H-Anschlüssen zu verringern. Eine nähere Betrachtung lässt jedoch ernsthafte Zweifel aufkommen, ob der Augenschein nicht trügt. Mit solchen Gutscheinen sind nämlich vier schwerwiegende Problemfelder verbunden, denen in der öffentlichen Diskussion bislang zu wenig Rechnung getragen wird. Sie werden deshalb im Folgenden dargelegt.
Geringe und ineffiziente Nachfrageausweitung
Gigabit-Voucher sollen dazu beitragen, die Nachfrage nach FTTB/H-Anschlüssen erheblich zu steigern. Empirische Studien belegen jedoch, dass der Absatz von Breitband-Anschlüssen an Privathaushalte auf Preisveränderungen nur unterproportional reagiert. Die Verkaufschancen von Gigabit-Anschlüssen werden viel stärker von ihrer Notwendigkeit für ein reibungsloses Funktionieren privat oder gewerblich wichtiger Anwendungen beeinflusst. Da Gutschein-Konzepte einhellig empfehlen, mit dem Förderungsbetrag nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten eines FTTB/H-Anschlusses für Gebäudeeigentümer oder Endkunden abzudecken, ist zu erwarten, dass Voucher lediglich eine geringe Nachfrageausweitung bewirken werden. Wenn die Nachfrageeffekte bei niedrigen Gutscheinbeträgen schwach und damit Verbesserungen der Wirtschaftlichkeit des FTTB/H-Ausbaus marginal sind, dann motivieren sie Netzbetreiber kaum dazu, zusätzliche Gebiete mit Glasfaser zu erschließen. Um eine merkliche Nachfrageausweitung zu bewirken, müsste der Subventionsbetrag je Gutschein relativ zu den kundenseitigen Gesamtkosten eines FTTB/H-Anschlusses hoch sein. Eine solche Voucher-Gestaltung ist in der Praxis nicht nur aufgrund fiskalischer Engpässe unwahrscheinlich. Sie ist auch insoweit ineffizient, als dass mindestens der gleiche Anstieg mit geringerem Finanzmitteleinsatz durch Förderung von sehr „bandbreitenhungrigen“ Diensten, die aus Nutzersicht attraktiv sind, erreicht werden kann.
Problematische Verteilungseffekte
Gigabit-Voucher haben fragwürdige verteilungspolitische Konsequenzen. Sie begünstigen besonders private Haushalte auf dem Land, weil es in dünn besiedelten Regionen bislang an FTTB/H-Angeboten mangelt. In ländlichen Gebieten haben Ein- und Zweifamilienhäuser, die von Bürgern der Mittelschicht bewohnt werden, eine relativ größere Bedeutung als in Städten. Hier ist nicht ersichtlich, warum eine vergleichsweise wohlhabende Gruppe von der Gesamtheit aller Steuerzahler, die z.T. materiell schlechter gestellt sind als die Subventionsempfänger, mit Glasfaser-Gutscheinen unterstützt werden soll. Die geförderten Haushalte dürften im Durchschnitt finanziell so ausgestattet sein, dass sie einen FTTB/H-Vertrag ohne staatliche Hilfe finanzieren können. Ebenso ist nicht zu erkennen, warum profitable KMU oder KMU, für die ein besonders schneller Internet-Zugang kein wichtiger Treiber ihres Geschäftserfolgs ist, aus Steuermitteln Zuschüsse für die Nutzung von FTTB/H-Anschlüssen erhalten sollen.
Damit werden Steuergelder nicht zuletzt deshalb ineffizient verwendet, weil die Begünstigten auch ohne Förderung einen Gigabit-Anschluss nachgefragt hätten. Das Argument, dass solche „Mitnahmeeffekte“ bei Voucher-Programmen dadurch vermieden werden könnten, dass Endnutzer einen großen Teil der FTTB/H-Anschluss- oder Vertragskosten immer noch selbst tragen müssten, überzeugt nicht. Zwar haben Gutscheine wenig Einfluss auf das Endnutzerverhalten, wenn die Höhe der Subvention von Gigabit-Anschlüssen relativ zu deren Gesamtkosten niedrig ausfällt (s.o.). Bei einer positiven Entscheidung ist aber nicht nachvollziehbar, warum Endnutzer die finanziellen Vorteile eines Vouchers für einen FTTB/H- Anschluss, den sie ohnehin nachgefragt hätten, nicht „mitnehmen“ sollten.
Die beschriebenen, dem Leistungsfähigkeitsprinzip zuwider laufenden Umverteilungseffekte könnten durch die Begrenzung des Kreises der Subventionsberechtigten anhand von Kriterien wie Einkommens-/Vermögenshöhe bei Privathaushalten oder Profitabilität/Branche bei KMU verringert werden. Aber eine solche Programmfokussierung wird von den Voucher-Befürwortern erst gar nicht erwogen. Außerdem erhöht sie die Verwaltungskosten erheblich. Gutschein-Programme stecken damit in dem Dilemma, dass höhere Verteilungsgerechtigkeit stets durch höhere Administrationskosten erkauft werden muss.
Zweifelhafte externe Effekte
Zur Begründung der Vorteilhaftigkeit von Gigabit-Vouchern wird darauf verwiesen, dass Endnutzer bei ihren Überlegungen hinsichtlich des Bezugs von FTTB/H-Anschlüssen außer Acht lassen würden, dass sie mit einer positiven Entscheidung die Chancen für den Ausbau eines Ortsteils mit Glasfaser und damit für die digitale Teilhabe aller dort ansässigen Bürger/Unternehmen sowie die volkswirtschaftlichen Perspektiven Deutschlands im internationalen Standortwettbewerb verbessern. Deshalb sei es gesamtgesellschaftlich sinnvoll, Konsumenten und Unternehmen durch Gutscheine dazu anzureizen, FTTB/H-Anschlüsse nachzufragen. Inwiefern die unterstellten positiven „externen Effekte“ wirklich eintreten, ist allerdings höchst unsicher. So spricht die niedrige absolute Höhe der Voucher pro direkt Begünstigtem dafür, dass deren Verfügbarkeit allenfalls einen sehr geringen Einfluss auf FTTB/ H-Ausbauentscheidungen von Netzbetreibern hat. Weiter gibt es für die FTTB/H-Anschlüssen zugeschriebenen positiven gesamtwirtschaftlichen Wirkungen (zusätzliche Arbeitsplätze, Einkommenserhöhung) keine wissenschaftlich tragfähigen empirischen Belege. Die Kausalkette von der FTTB/H-Anschlussverfügbarkeit über deren Take-Up-Rate bis hin zum Wirtschaftswachstum und der Lebenszufriedenheit der Bewohner Deutschlands ist lang. Sie wird von zahlreichen weiteren Faktoren (z.B. Konjunktur, Fachkräfteverfügbarkeit, individuelle Gesundheit) beeinflusst. Der bloße Verweis auf potenzielle Wohlfahrtsgewinne durch FTTB/H-Netze reicht zur schlüssigen Rechtfertigung von Voucher-Programmen nicht aus. Darüber hinaus verschweigt die eben beschriebene Argumentationsfolie, dass Gutschein-Programme mit zahlreichen Wünschen anderer Interessengruppen nach staatlicher Unterstützung gesellschaftlich (vermeintlich) wertvoller privater oder gewerblicher Investitionen, wie etwa batterieelektrisch angetriebene Pkw oder Windkraftanlagen, konkurrieren. Um die Forderung nach Gigabit-Vouchern stichhaltig(er) vorzutragen, ist es unumgänglich, zu erörtern, inwiefern die Gutscheine stärkere positive Wohlfahrtseffekte haben als Staatshilfen in anderen Bereichen. Eine solche Diskussion führen die Unterstützer von Voucher-Programmen aber bisher nicht.
Unnötige Bürokratiekosten
Die durch Gigabit-Gutscheine angestrebte Verbesserung der Wirtschaftlichkeit des FTTB/H- Ausbaus lässt sich bei deutlich niedrigeren Kosten für die Verwaltung des Subventionsprogramms durch Integration von Nachfrageaspekten in etablierte angebotsseitige Fördermaßnahmen erreichen, bei denen Kommunen Finanzmittel vom Bund oder den Ländern erhalten, damit sie in zuvor nicht versorgten Gebieten Gigabit-Netze erbauen und sie entweder selbst oder über Partner vermarkten. Um Anschluss-Voucher einzubeziehen, sind bei der Kalkulation einer Wirtschaftlichkeitslücke bzw. des notwendigen Subventionsbedarfs einfach die Restkosten der Stichstrecken zu addieren, die vom Netzerbauer zu tragen sind, nachdem er Gebäudeeigentümern einen Teil der Ausbaukosten für diese Strecke in Rechnung gestellt hat. Um Wirtschaftlichkeitseffekte von Vertrags-Vouchern zu berücksichtigen, sind bei der Bestimmung der Subventionshöhe für ein Ausbaugebiet die Erlöse anzusetzen, die sich aus den derzeit am Markt zu beobachtenden niedrigen Take-Up-Raten ergeben.
Durch dieses Vorgehen fließen ausbauenden Kommunen oder den von ihnen beauftragten Netzbetreibern im Rahmen von angebotsseitigen Subventionsprogrammen des Bundes und der Länder für Breitband-Anschlüsse in unterversorgten Gebieten direkt ohne den Umweg über Gebäudeeigentümer oder Endnutzer zusätzliche Finanzmittel zu, die möglichen Einnahmen aus Anschluss- und Vertrags-Vouchern entsprechen. Die Mittelzuteilung und die Überwachung der Mittelverwendung können jedoch über die heute bereits genutzte Förderbürokratie (z.B. beim Bundesförderprogramm Breitband atene KOM GmbH) realisiert werden. Hingegen ist bei Vouchern mit erheblich höheren Bürokratiekosten zu rechnen, weil die Subventionsadministration durch zuvor nicht in die Breitband-Förderung maßgeblich involvierte staatliche Stellen, wie das BAFA oder die KfW, die hierfür über keine eingespielten Prozesse verfügen, erfolgen soll.
Resümee
Alles in allem gibt es starke Argumente dafür, auf Gigabit-Voucher zur Förderung von FTTB/H-Anschlüssen in Deutschland zu verzichten. Anstatt nach weiteren Subventionen zu rufen, haben es Netzbetreiber selbst in der Hand, Take-Up-Raten von Glasfaseranschlüssen dadurch zu steigern, dass sie von allzu ambitionierten Profitabilitätszielen Abstand nehmen und die hohen monatlichen Nutzungsentgelte für Gigabit-Anschlüsse senken, die sich im Privatkunden-Markt derzeit meist zwischen 90 und 120 Euro bewegen. Der Verzicht auf „Premium-Preise“ muss nicht zwingend zur Unwirtschaftlichkeit von FTTB/H-Investitionen führen, wenn Veränderungen staatlicher Bauvorschriften im Verbund mit der Digitalisierung von Baugenehmigungsprozessen dazu beitragen, Netzausbaukosten zu senken. Darüber hinaus können die Wirtschaft generell, die Medienbranche im Besonderen und die öffentliche Hand durch Informations-/Beratungskampagnen sowie attraktive Anwendungen, z.B. in Bereichen wie Gesundheits-, 8K-Video-Streaming- oder eGovernment-Diensten, Nutzeneinschätzungen von FTTB/H-Anschlüssen bei privaten Haushalten und KMU so beeinflussen, dass sie sich für entsprechende Angebote stärker als in der Vergangenheit begeistern. Schließlich sollte die Bundesregierung durch mehr Realitätssinn bei der Kommunikation von Zeithorizonten für eine Vollversorgung Deutschlands mit Gigabit-Anschlüssen überzogenen Erwartungen der Bürger entgegenwirken.
Bevor ein Marktversagen, das Gigabit-Voucher vertretbar werden lässt, unterstellt wird, liegen – entgegen dem in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland zu beobachtenden Trend zur Ausweitung von staatlichen industrie- und sozialpolitischen „Fürsorgemaßnahmen“ – zur nachfrageseitigen Förderung von FTTB/H-Anschlüssen Initiativen näher, die von einem größeren Vertrauen in die positiven Wohlfahrtseffekte sich weitgehend frei entfaltender Marktkräfte geprägt sind.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung, Schwerpunkt Telekommunikationswirtschaft an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.