Datenschutz

Karlsruhe entscheidet über Recht auf "freie Kommunikation"

Urteil zur Vorratsdatenspeicherung mit europaweiten Auswirkungen erwartet
Von ddp / Marie-Anne Winter

Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren den Datenschutz gestärkt und innenpolitische Überwachungsambitionen zurechtgestutzt. Als Meilensteine gelten die restriktiven Entscheidungen zur heimlichen Online-Durchsuchung und zur automatischen Kennzeichenerfassung. Immer deutlicher mahnte das Gericht, bei den Bürgern dürfe kein "Gefühl des Überwachtwerdens" entstehen. Am Dienstag (2. März, 10.00 Uhr) ist ein weiteres datenschutzrechtliches Grundsatzurteil zu erwarten. Dann verkündet der scheidende Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier den Spruch des Ersten Senats zur umstrittenenVorratsdatenspeicherung.

Die Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten der gesamten deutschen Bevölkerung wird unter anderem durch eine Massenbeschwerde von rund 35 000 Klägern angegriffen. Gegen das seit 2008 geltende Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung haben auch der frühere Bundestagsvizepräsident Burkhard Hirsch (FDP) und Grünen-Chefin Claudia Roth geklagt. Aus Sicht beider Politiker hat Deutschland mit diesem Gesetz "die Grenze zum Überwachungsstaat überschritten".

Durch die massenhafte Datenspeicherung auf Vorrat werde jeder Bürger zum Verdächtigen erklärt. Dies sei ein "eklatanter Dammbruch", sagte Roth. Und Hirsch monierte, es werde nun "jeder elektronische Atemzug gespeichert". Rechtsanwalt Meinhard Starostik, der die Massenbeschwerde vertritt, sieht eine "freie, unbefangene Kommunikation" nicht mehr gewährleistet. Aus den gespeicherten Daten ließen sich Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen.

Das Gesetz verpflichtet die Telekommunikationsfirmen, die Daten von Telefon-, E-Mail- und Internetverbindungen der Bundesbürger ohne konkreten Anlass jeweils sechs Monate lang zu speichern. Der Abruf der Daten durch die Sicherheitsbehörden ist unter bestimmten Umständen gestattet. Protokolliert wird, wer wann mit wem und von wo aus per Telefon, Handy, E-Mail, Fax oder SMS in Verbindung gestanden hat.

Chaos Computer Club sieht hohes Missbrauchsrisiko

Kommunikationsinhalte dürfen laut Gesetz zwar nicht erfasst werden. Doch der Chaos Computer Club (CCC) - die nach eigenen Angaben größte europäische Hackervereinigung - sieht dennoch große Gefahren in der Vorratsdatenspeicherung. Denn allein schon die Analyse der Verbindungs- und Standortdaten von Handys erlaube tiefe Einblicke in das Privatleben der Nutzer. Das Mobiltelefon werde "mehr und mehr zu einer Ortungswanze". Sollte die Vorratsdatenspeicherung Bestand haben, bedeute dies "praktisch ein Ende der Freiheit, unbeobachtet und ungestört zu leben".

Constanze Kurz - Mitautorin eines CCC-Gutachtens für das Verfassungsgericht - wies jetzt auf ddp-Anfrage darauf hin, dass die "Lokalisationsdaten" durch die technische Entwicklung "immer genauer" würden. "Das Verfassungsgericht sollte also auch daran denken, was in drei oder fünf Jahren möglich sein wird", sagte Kurz. Sie glaube auch nicht, dass die riesige gespeicherte Datenmenge bei den zahlreichen Telefon- und Internetprovidern in Deutschland auf Dauer sicher verwahrt sei. Es gebe ein "sehr großes Missbrauchsrisiko". Denn Verbindungsdaten seien auch für Mitarbeiter- und Konkurrentenbespitzelung sowie Wirtschaftsspionage lukrativ.

Die Bundesregierung hält die angegriffenen Regelungen für "angemessen". Die Vorratsdatenspeicherung diene "nicht der flächendeckenden Überwachung der Bevölkerung", sondern dem "legitimen Zweck", Straftaten effektiv zu verhindern und zu verfolgen, hieß es in der mündlichen Verhandlung. Auch das Bundeskriminalamt sieht die Vorratsdatenspeicherung als "unverzichtbar" an.

Erhebliche Einschüchterungseffekte

Das Verfassungsgericht hatte das Gesetz im Jahr 2008 bereits in zwei Eilentscheidungen stark beschnitten. Die massenhafte Datenspeicherung wurde zwar vorerst gebilligt, aber deren Nutzung durch Staatsanwaltschaft, Polizei und Geheimdienste nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erlaubt. Schon damals betonten die Richter, dass die "umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann für staatliche Zwecke" einen "erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken" könne. Durch einen Datenabruf könnten "weitreichende Erkenntnisse über das Kommunikationsverhalten und die sozialen Kontakte des Betroffenen" erlangt werden.

Ob das noch mit dem Telekommunikationsgeheimnis und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist, wird jetzt endgültig entschieden. Dabei muss das Gericht beachten, dass das deutsche Gesetz eine EU-Richtlinie umsetzt. Die Entscheidung aus Karlsruhe dürfte also auch in der Europäischen Union hohe Wellen schlagen. Die neue EU-Justizkommissarin Viviane Reding kündigte im "Spiegel" bereits an, die EU-Richtlinie noch in diesem Jahr grundlegend auf den Prüfstand stellen zu wollen.

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