Bundesverwaltungsgericht

Urteil: Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig

Die anlass­lose Vorrats­daten­spei­che­rung ist voll­ständig euro­parechts­widrig. Die Rege­lung darf nicht mehr ange­wendet werden. Geklagt hatten zwei Tele­kom­muni­kati­ons­unter­nehmen.
Von dpa /

Bundesverwaltungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung Bundesverwaltungsgericht zur Vorratsdatenspeicherung
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Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die anlass­lose Vorrats­daten­spei­che­rung als voll­ständig euro­parechts­widrig einge­stuft. Die Rege­lung dürfe nicht mehr ange­wendet werden, teilte das Gericht in Leipzig heute mit (Az.: BVerwG 6 C 6.22 und BVerwG 6 C 7.22). Damit zogen die Bundes­richter einen Schluss­strich unter jahre­lange Diskus­sionen und Unsi­cher­heiten. Der Entschei­dung lagen Klagen von zwei Tele­kom­muni­kati­ons­unter­nehmen gegen die Vorrats­daten­spei­che­rung zugrunde.

Die Rege­lung im Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz zur Spei­che­rung von Rufnum­mern, IP-Adressen oder der Dauer von Verbin­dungen genüge "schon deshalb nicht den unions­recht­lichen Anfor­derungen, weil keine objek­tiven Krite­rien bestimmt werden, die einen Zusam­men­hang zwischen den zu spei­chernden Daten und dem verfolgten Ziel herstellen", so das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Strikte Begren­zung auf den Zweck fehlt

Bei der Spei­che­rung von Verkehrs- und Stand­ort­daten fehle eine strikte Begren­zung auf den Zweck des Schutzes der natio­nalen Sicher­heit. IP-Adressen dürften zwar zur Bekämp­fung schwerer Krimi­nalität und zur Verhü­tung schwerer Bedro­hungen der öffent­lichen Sicher­heit gespei­chert werden, aller­dings sei das im Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz nicht so eindeutig bestimmt.

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Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht folgte mit seinen Urteilen den Vorgaben des EuGH. Der Euro­päi­sche Gerichtshof hatte sich nach einer Vorlage des obersten deut­schen Verwal­tungs­gerichts mit der Vorrats­daten­spei­che­rung befasst. Die Rege­lung war wegen recht­licher Unsi­cher­heiten bereits seit 2017 nicht mehr ange­wandt worden.

Nur bei ernster Bedro­hung für die natio­nale Sicher­heit

Nach dem Luxem­burger Urteil dürfen die Kommu­nika­tions­daten aller Bürge­rinnen und Bürger nicht ohne Anlass gespei­chert werden, eine gezielte und zeit­lich begrenzte Spei­che­rung der Daten ist nur bei einer ernsten Bedro­hung für die natio­nale Sicher­heit möglich. Zur Bekämp­fung schwerer Krimi­nalität kann laut EuGH auch eine Vorrats­spei­che­rung der IP-Adressen möglich sein.

Bundes­jus­tiz­minister Marco Busch­mann erklärte, mit der Entschei­dung des Bundes­ver­wal­tungs­gerichts sei nun endgültig klar, dass die Vorrats­daten­spei­che­rung in Deutsch­land "in vollem Umfang rechts­widrig und damit unan­wendbar" ist. "Die jetzigen Entschei­dungen sind für uns ein klarer Auftrag, die Vorrats­daten­spei­che­rung nun zügig aus dem Gesetz zu strei­chen - und die digi­talen Bürger­rechte in unserem Land weiter zu stärken", so der FDP-Poli­tiker. Er verwies auf den Koali­tions­ver­trag der Ampel-Regie­rung, wonach rele­vante Daten nur noch "rechts­sicher anlass­bezogen und durch rich­ter­lichen Beschluss" gespei­chert werden sollen.

Weitere Reak­tionen auf das Urteil

Dagegen betonte der hessi­sche Justiz­minister Roman Poseck (CDU), dass sowohl EuGH als auch Bundes­ver­wal­tungs­gericht "ausdrück­lich" Spiel­räume für die Spei­che­rung von IP-Adressen zur Bekämp­fung schwerster Krimi­nalität eröffnet hätten. "Für diese Bereiche ist eine bundes­gesetz­liche Rege­lung weiterhin möglich und drin­gend erfor­der­lich, damit Fälle des Terro­rismus und des Kindes­miss­brauchs erfolg­reich bekämpft werden können. Daten­schutz darf in diesen Fällen nicht zum Täter­schutz führen", teilte Poseck mit.

Auch Bayerns Justiz­minister Georg Eisen­reich verwies auf die begrenzten Spiel­räume für die Spei­che­rung von IP-Adressen. Diese müssten etwa zum Schutz von Kindern bei Hinweisen auf Miss­brauch zeitnah genutzt werden, so der CSU-Poli­tiker. "Auch bei der Verfol­gung von Terro­risten, Waffen­schie­bern und Drogen­händ­lern sind IP-Adressen in manchen Fällen die wich­tigste oder sogar die einzige Spur."

Bayerns Innen­minister Joachim Herr­mann (CSU) wurde deut­lich schärfer im Ton und warf dem Bundes­jus­tiz­minister "Arbeits­ver­wei­gerung zu Lasten der Opfer von Kindes­miss­brauch" vor. Der EuGH habe ausdrück­lich die Siche­rung von IP-Adressen zum Kampf gegen Kinder­por­nografie und sexu­ellen Miss­brauch erlaubt. Dennoch sei die Bundes­regie­rung ein Jahr lang untätig geblieben. Ein "völlig über­trie­bener Daten­schutz" habe für Busch­mann offenbar mehr Prio­rität als Kinder­schutz, sagte der CSU-Poli­tiker.

Verfassungs­beschwerden gegen die Vorrats­daten­spei­che­rung vor dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht ergeben also kaum Sinn - das Bundes­ver­fas­sungs­gericht wies daher im Früh­jahr drei Beschwerden ab.

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