Netzneutralität?!

StreamOn als Vorstufe zu Unlimited Data?

Verstößt StreamOn gegen die Netzneutralität? Und wird es am Ende doch auf Unlimited Data hinauslaufen? Überlegungen zum neuen Telekom-Angebot.
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Wie netzneutral ist das neue Telekom-Angebot StreamOn? Wie netzneutral ist das neue Telekom-Angebot StreamOn?
Bild: Telekom
Die Ankündigung der Musik- und Videostreaming-Flatrate StreamOn hat im Netz erwartungsgemäß lebhafte Diskussionen ausgelöst. Die Kernfragen lauten: "Was genau wird geboten?" und vor allen Dingen: "Dürfen die das denn?"

Vor einiger Zeit hatte die Telekom schon ein exklusives Angebot mit dem Streaminganbieter Spotify vorgestellt. Die Idee war damals, dass die Musik über Spotify unbegrenzt weiterlief, während das Datenvolumen des Mobilfunkvertrages schon ausgereizt sein konnte. Das kollidierte am Ende mit den EU-Vorgaben zur Netzneutralität. Die Folge: Die Telekom bremste die Spotify-Übertragung aus, wenn das reguläre Datenvolumen abgelaufen war.

Was ist Netzneutralität?

Wie netzneutral ist das neue Telekom-Angebot StreamOn? Wie netzneutral ist das neue Telekom-Angebot StreamOn?
Bild: Telekom
Netzneutralität besagt, dass alle Angebote im Netz gleich behandelt werden sollen. Damit soll verhindert werden, dass die Angebote beispielsweise zahlungskräftigerer (größerer) Anbieter im Netz vor den kleineren Initiativen und Angeboten bevorzugt (also schneller) übertragen und damit am Ende die kleinen Anbieter verdrängt werden und somit die Vielfalt der Angebote und die Freiheit im Netz leiden könnte.

Die Netzbetreiber argumentierten bisher, dass Mega-Anbieter wie YouTube die Netze sehr stark belasten und deshalb einen massiven Ausbau erfordern. Daher sei es nicht mehr als gerecht, wenn diese Großen dafür mehr an die Netzbetreiber bezahlen müssten, als die Kleinen. Im Umkehrschluß können danach die Großen dann auch eine priorisierte Sonderbehandlung fordern - "wir zahlen ja dafür". Am Ende könnten kleine Anbieter so aus dem Netz und damit in die Bedeutungslosigkeit fallen.

D-64 plädiert für Netzneutralität

In Deutschland gibt es Organisationen wie D-64, die sich nach dem legendären Commodore C-64 Computer benannt hat. Sie sind vom Internet und seinen Möglichkeiten begeistert, das Internet sei keine Modeerscheinung, sondern heute fester Bestandteil der zivilen Gesellschaft. Es bilden sich neue Konflikte und Ängste, enstehe Widerstand gegen "kommerzielle und fehlgeleitete politische Interessen", etwa die Urheberrechtslobby oder die Filmindustrie oder die großen Unternehmen – wie Google, Apple oder Facebook und deren "teils gut dokumentierten Zensurmaßnahmen", wie D-64 findet.

Ist Zero Rating gut oder böse?

Bei Tarifoptionen wie StreamOn werden bestimmte Angebote von der Volumenberechnung ausgenommen, wobei der Anbieter (hier die Telekom) nach bestimmten Regeln eine Auswahl dieser Angebote vornimmt, im Jargon heißt das Zero Rating. Da bei Zero Rating bestimmte Dienste nicht vom monatlichen Datenvolumen im Mobilfunk abgezogen werden, können diese Dienste quasi unbegrenzt genutzt werden, solange noch reguläres Datenvolumen übrig ist.

"So verlockend der Einstieg klingen mag, er fördert Monopole, schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland und ebnet den Weg in ein Zwei-Klassen-Internet" findet Henning Tillmann, Vorstandsmitglied von D64. Zero Rating ist für D-64 stets mit bestimmten (großen Multimedia-)Unternehmen verknüpft.

Technische Probleme

Die Deutsche Telekom betont hingegen, dass alle Anbieter kostenfrei dabei sein können, sie müssten sich nur anmelden und ihre Signale in einem speziellen Format anliefern, wie aus den Informationen für Anbieter auf der Telekomseite hervorgeht. Das scheint einigen Anbietern noch (technische) Probleme zu bereiten, wie etwa Spotify, aber jeden Augenblick können neue Angebote dazu kommen, wie die Telekom betont. In ihren AGBs behält sich die Telekom vor, die Angebote nach "Relevanz" zu prüfen, dies sei aber - nach Auskunft eines unbeteiligten Rechtsanwaltes - eine Standardformulierung, um die Angebote vor Freischaltung rechtlich prüfen zu können.

Für D-64 ist eine komplett freie Entscheidung der Kundinnen und Kunden, welcher Anbieter für einen Dienst genutzt werden kann, durch solche Angebote nicht mehr möglich. So komme es zu einer Verzerrung des Marktes, in dem z. B. auch Start-Up-Ideen deutlich an Boden verlieren könnten, weil das Know-How fehle.

Bei Diensten wie StreamOn entscheidet der Netzbetreiber, welcher Dienst als Video- oder Audio-Dienst gilt. Übergänge, zum Beispiel zu sozialen Netzwerken, sind nach Ansicht von D-64 jedoch fließend und die schließt die Telekom in ihren Bedingungen aus, genauso wie Cover, die zu der jeweiligen Musik geladen werden können oder Werbung.

Noch viele Fragen

Wie das ganze technisch ablaufen wird, dürfte im Moment nur technischen Insidern klar sein, die angelieferten Audio oder Video-Signale sollen wohl eine Kennung erhalten, um richtig abgerechnet werden zu können. Ist das Lieblingsangebot (z.B. Apple Music) des Kunden im StreamOn Angebot, wird er es weiter gerne nutzen. Käme nun beispielsweise Spotify nicht dazu, könnte ein bisheriger Spotify-Fan stattdessen auf Apple umschwenken, weil er so "günstiger" an seine Musik dran kommt. Somit fände eine Markt-Verschiebung statt. Es könnte auch Anbieter geben, die vom Angebot der Telekom gar nichts wissen, sich folglich dort auch nicht anmelden, die Telekom-Kunden könnten solche Angebote aber aus Angst um das eigene Datenvolumen künftig meiden.

Beschwerde per Twitter bei der Netzagentur

D-64, der hessische Handelsverband, die CDU-Fraktion, die Grünen in Hessen und die hessische SPD hatten sich offenbar schon am Montag (3. April) per Twitter an die Bundesnetzagentur gewandt, die am Dienstag per Twitter um 12.25 Uhr antwortete, "Wir werden das StreamOn-Angebot der Telekom auf Grundlage der Regeln zur "Netzneutralität sorgfältig prüfen."

Ob die Bundesnetzagentur bis zum StreamOn Start am 19. April schon ein Prüfungsergebnis vorlegen kann und wird, darf bezweifelt werden. Vermutlich wird die Behörde erst einmal die praktische Umsetzung des Angebotes abwarten.

Telekom möchte Kunden in höherwertige Tarife lotsen

Für die Telekom, die sich im Vorfeld Ihres neuen Angebotes wohl mit der Bundesnetzagentur schon unterhalten hat, geht es nicht um die Förderung oder Priorisierung bestimmter Anbieter oder Angebote. Nein, "StreamOn soll ein Angebot an die eigenen Kunden sein, etwas mehr auszugeben, um dafür mehr Möglichkeiten zu haben", wie ein Telekom-Sprecher am Rande der Veranstaltung in Bonn betonte. Durch die Möglichkeit von kostenlosen Audio- oder Videostreams solle die überwiegend jugendlichen Kunden motiviert werden, in einen höherwertigen Tarif zu wechseln, den sie sonst vermutlich nie gebucht hätten.

Deswegen werden die Audio- und Videostreams auch sofort gebremst, wenn das originale Datenvolumen des Mobilfunkvertrages aufgebraucht ist, um der Netzneutralität zu genügen. Diese Bremse kann der Kunde durch das Nachbuchen von SpeedOn wieder rausnehmen, sofern er nicht gleich die DayFlat für 4,95 Euro pro Tag dazubucht.

StreamOn als Vorstufe zu Unlimited?

Möglicherweise endet die Diskussion am Ende noch als Sturm im Wasserglas. T-Mobile USA, die BingeOn im Telekom-Konzern seinerzeit "erfunden" haben, sind gerade dabei, die ZeroRating-Angebote wieder abzuschaffen. Dort gibt es seit kurzem Angebote für unbegrenzten Datenkonsum, egal, was übertragen wird. Bei T-Mobile USA kosten "zwei Leitungen (2 Lines)" inklusive unbegrenztem LTE-Datenkonsum aktuell 100 US-Dollar (ca. 93,80 Euro) im Monat. "Gut möglich, dass wir das in zwei drei vier Jahren auch in Deutschland sehen werden", so ein Experte am Rande der Telekom-Veranstaltung in Bonn.

Unlimited mit Premium XL

Unlimited Datentraffic bietet auch die Deutsche Telekom schon heute in ihrem Premium XL Tarif an. Hier können die Kunden, die diesen Tarif gebucht haben, in Deutschland, EU-Europa, Schweiz, USA, Kanada, der Türkei und weiteren Ländern unbegrenzt kreuz und quer telefonieren und surfen und erhalten alle 12 Monate ein neues Handy dazu. Der Tarifpreis von 199 Euro pro Monat dürfte allerdings im Moment noch weit über den Schmerzgrenzen der durchschnittlichen Kundschaft liegen. Doch im Netz findet man immer mehr Anwender, die diesen Schritt bereits gewagt und offenbar nicht bereut haben.

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