StreamOn oder VodafonePass weg? Anwalt rät zur Kündigung
Vor einiger Zeit hatten die Deutschen Telekom und Vodafone ihren Mobilfunkkunden die Optionen "StreamOn" bzw. Vodafone Pass gekündigt. Unfreiwillig - auf explizite Weisung der Bundesnetzagentur. Zur Erinnerung: Bei diesen Optionen wurde der Internet-Datenverbrauch dann nicht berechnet, wenn vom Nutzer bestimmte Angebote für Musik- oder Videostreaming aufgerufen wurden, die vorher vom Vertragspartner explizit benannt worden waren („Zero Rating“). Die jeweiligen Inhalte-Anbieter mussten vorher mit dem jeweiligen Netzbetreiber ein "Abkommen" schließen und gewisse technische Voraussetzungen erfüllen. Gekostet habe diese bevorzugte Einspeisung aber nichts, wurde von den Netzbetreibern beteuert. Der Datenverkehr zu Inhalte-Anbietern, die das nicht verhandeln konnten oder wollten, wurde den Kunden aber weiter berechnet.
Telekom musste die Option Streamon, Vodafone den Pass kündigen. Ergibt sich daraus ein außerordentliches Kündigungsrecht?
Grafik: Vodafone/teltarif.de, Logo: Telekom, Foto/Montage: teltarif.de
Die Sache landete beim europäischen Gerichtshof und der urteilte klar: Das ist eine Diskriminierung und das darf nicht sein. Also untersagte die Bundesnetzagentur dieses Verfahren und verdonnerte die Netzbetreiber dazu, das Angebot einzustellen und auch bei Bestandskunden abzuschalten. Das taten die Netzbetreiber Zähne knirschend.
Kunden enttäuscht
Viele Kunden sind enttäuscht. Sie hatten die teureren Tarife oft nur wegen der StreamOn-Option oder des VodafonePass gebucht. Die Netzbetreiber argumentieren nun, dass sie dazu von der Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde gezwungen worden seien. Ein außerordentliches Kündigungsrecht für die Kunden gebe es nicht.
Telekom: Vorübergehend unlimited
Übergangsweise hat die Deutsche Telekom (fast) allen ihren Kunden ein kostenloses unbegrenztes Datenvolumen spendiert. Bisherige StreamOn-Kunden bekommen für weitere drei Monate nochmal unbegrenztes Volumen spendiert. Diese Zeit will die Telekom nutzen, um sich das Nutzungsverhalten der Kunden genauer anzuschauen und daraus eine Entscheidung über künftige Tarife abzuleiten.
Anwalt rät zur außerordentlichen Kündigung
Der Rechtsanwalt Dr. Matthias Böse schlägt nun vor, dass betroffene Telekom-StreamOn- und Vodafone-Pass-Mobilfunkkunden vorsorglich kündigen sollten. In seinem Blog schreibt er: "Es gibt einen guten Grund dafür, warum Mobilfunkkunden der Telekom mit einem Tarif samt StreamOn und Vodafone-Mobilfunkkunden mit einem Vodafone-Pass-Tarif kündigen sollten: Gegebenenfalls ist eine Beendigung fristlos möglich."
Zero-Rating als Verstoß gegen Netzneutralität
Böse verweist auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, wonach solche sogenannten Zero-Rating-Angebote gegen Vorgaben zur Netzneutralität aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 (siehe EuGH Urteil vom 02.09.2021, Rechtssache C-34/20) verstoßen. Die Bundesnetzagentur hatte in der Folge Verfügungen erlassen, wonach die Bewerbung der Tarife für Neukunden eingestellt werden muss und auch Bestandskunden diese Optionen nach Ablauf des 31. März 2023 nicht mehr zur Verfügung stehen dürfen.
Verschlechterung der Vertragsbedingungen
Tatsächlich haben nun, so führt der Anwalt weiter aus, sowohl die Vodafone GmbH als auch die Telekom Deutschland GmbH Schreiben an Verbraucher versendet, in denen auf genau diese Änderung hingewiesen wird. Was die Schreiben aber nach Kenntnis des Anwalts nicht enthalten, sei ein Hinweis auf das daraus resultierende Kündigungsrecht, was sich – auch schon bei geringfügigen Verschlechterungen – für Verbraucher aus § 57 Abs. 1 TKG ergebe.
Dieser Paragraph biete "eine erhebliche Erweiterung der Verbraucherrechte gegenüber der Rechtslage, die üblicherweise bei Dienstverträgen nach dem BGB gelten würde". Eine Kündigung sei damit außerordentlich und ohne Frist möglich. Die Mindestvertragslaufzeit sei also nicht einzuhalten. Dass die Unternehmen Millionen von Kunden dies nicht auf die Nase binden wollten, sei "unternehmerisch nachvollziehbar, möglicherweise aber unzulässig", führt der Anwalt aus.
Die Argumentation der Unternehmen: Kein Kündigungsrecht
Die Argumente der Unternehmen hält der Anwalt für "absehbar": Die Veränderung sei unmittelbar durch Unionsrecht oder innerstaatlich geltendes Recht vorgeschrieben, §57 Abs. 1 Nr. 3 TKG." Das hält Dr. Böse aber für "gleich mehrfach falsch". Denn: Einerseits sei eine Änderung nicht vorgeschrieben: "Nach der Entscheidung des EuGH waren diese Tarifoptionen von Anfang an rechtswidrig. Zudem ist auch zu beachten, dass §57 Abs.1 TKG nur ein Kündigungsrecht für Verschlechterungen vorsieht."
Zum zweiten könne das Verbot der Zero-Rating-Praxis zudem nicht nur zu Lasten des Verbrauchers ausgeglichen werden. Telekom und Vodafone könnten schlicht allen Datenverkehr gleich behandeln und nicht mehr nach Volumen begrenzen, bis die Verträge ordentlich gekündigt werden können. Auf diese kundenfreundliche Lösung sei man aber offenbar nicht gekommen (mit kleiner Einschränkung: Die Telekom sei "immerhin so gnädig und bietet dies – wenn auch nicht im Roaming – auf Anfrage für drei Monate an, was aber in rechtlicher Hinsicht nichts am Kündigungsrecht ändert").
Anwalt rät zur außerordentlichen Kündigung
Verbraucher mit einem der betroffenen Tarife sollten ihren Mobilfunkvertrag außerordentlich und fristlos kündigen (z.B. per E-Mail an impressum (at) telekom.de oder impressum (at) vodafone.com) und abwarten. Er hat auch gleich einen Textvorschlag:
Sehr geehrte Damen und Herren, unter Verweis auf §57 Abs. 1 TKG kündige ich meinen Mobilfunkvertrag mit der Rufnummer xx hiermit außerordentlich und fristlos. Mit freundlichen Grüßen Name (Vertragsinhaber)Alternativ kann über den verpflichtenden Kündigungsbutton auf der Homepage gekündigt werden, er ist seit vergangenem Jahr für alle Anbieter Pflicht.
Gerichtsverfahren denkbar
Dr. Böse erwartet, dass sich in den kommenden Wochen und Monaten erste Gerichte mit diesem Thema befassen werden. Wer erst dann kündige, verschenke vermutlich bares Geld, das gegebenenfalls später zurückverlangt werden könnte.
War der Streit vorhersehbar?
Schon frühzeitig war an den Zero-Rating-Angeboten Kritik geübt worden, dass die Netzneutralität nicht eingehalten werde. Die Netzbetreiber hatten seinerzeit argumentiert, dass Inhalteanbieter sich kostenlos anschließen lassen könnten.
Welche Alternativen gäbe es?
Für Tarifmodelle, wie z.B. in den USA oder der Schweiz, wo es schon in den Basistarifen eine Datenflatrate, aber mit deutlich reduziertem Tempo gibt und wo höhere Geschwindigkeiten dann gegen Aufpreis zubuchbar sind, konnten sich Telekom und Vodafone bislang noch nicht erwärmen. Nur o2 hat "Unlimited"-Tarife im Angebot, die je nach Höchstgeschwindigkeit unterschiedlich teuer sind.
Klar ist, dass der massive Netzausbau Geld kostet. Nun kommen noch politische Risiken dazu, die den Austausch bestimmter Hersteller-Hardware erforderlich machen. Bauteile, die eigentlich technisch bestens funktionieren und kostengünstig waren, müssen vorzeitig gewechselt werden, was erneut Geld kostet und kaum weitere Preissenkungen erlauben wird.
Einige Anbieter haben schon zu Preiserhöhungen gegriffen, die bei den Kunden nicht gut ankommen. Die versuchen durch Vertragskündigungen und Anbieterwechsel das auszugleichen, teilweise können auch Rabatte an der Hotline ausgehandelt werden.
Update: Netzbetreiber weisen Kündigungen zurück
Einige Leser haben mit der vorgeschlagenen Formulierung gekündigt. Sie erhielten beispielsweise folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr/Frau Kunde, ich melde mich wegen Ihrer Nachricht über das Kontaktformular. Die Zubuchoption StreamOn ist ein Zusatzvertrag, der von Ihnen zusätzlich zum zugrundeliegenden Mobilfunkvertrag beauftragt werden konnte und für Sie wie für die Telekom jederzeit kündbar ist. Der Mobilfunkvertrag bleibt von einer Kündigung der Zubuchoption StreamOn unberührt. Den separaten Mobilfunkvertrag können Sie nach den Regelungen, die für dessen Kündigung gelten, kündigen.Dieses Mal können wir Ihnen nicht so entgegenkommen, wie Sie sich das gewünscht haben. Wir hoffen jedoch, Sie in Zukunft wieder mit unserem Service und unseren Leistungen zu überzeugen.
Dr. Böse teilt dazu mit: „Dass Vodafone und die Telekom Kündigungen zurückweisen ist normal. Es wird sich später dann aber durch gerichtliche Entscheidungen zeigen, ob die einmal ausgesprochenen Kündigungen wirksam waren.“ Ende des Updates
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