Themenspezial: Verbraucher & Service klargestellt

Editorial: Gutes Urteil gegen Google

EU-Datenschutzgesetze gelten auch für amerikanische Konzerne. Und das "Recht auf Vergessen" wird kommen.
Von

EuGH: Google muss Links zu sensiblen Daten entfernen. EuGH: Google muss Links zu sensiblen Daten entfernen.
Bild: dpa
Relativ überraschend entschied der Europäische Gerichtshof, dass die Suchmaschine Google bei der Suche nach dem Namen eines bestimmten Spaniers eine alte amtliche Bekanntmachung, die auf der Website einer Zeitung weiterhin veröffentlicht ist, nicht mehr in den Ergebnissen aufführen darf. In der Bekanntmachung wurde eine Zwangsversteigerung gegen diesen Bürger dargestellt, sie liegt jedoch über ein Jahrzehnt zurück. Zuvor hatte der Generalanwalt noch ein Urteil zugunsten Googles empfohlen.

Vollkommen zu Recht hat der EuGH festgestellt, dass Google en masse personenbezogene Daten verarbeitet. Dass die jeweiligen Daten nicht von Google, sondern von Dritten ins Netz gestellt wurden, ändert nichts daran, dass Google diese weiterverarbeitet, indem sie die Inhalte sammeln und indizieren. Folglich gelten die europäischen Datenschutzgesetze auch für Google.

EuGH: Google muss Links zu sensiblen Daten entfernen. EuGH: Google muss Links zu sensiblen Daten entfernen.
Bild: dpa
Schon ohne das Urteil ist Google mit einer stetigen Flut von Löschanfragen konfrontiert. Die meisten davon betreffen Copyright-Verstöße. Hier reagiert Google meist binnen weniger Stunden, in der Regel damit, dass Seiten, die Links auf urheberrechtlich geschützte Dateien tragen, aus dem Index fliegen. Aufgefallen war die Praxis vor knapp zwei Jahren, als eine Löschanfrage von Microsoft einen Bericht von heise online über Windows 8 aus dem Index schmiss. Zwar entschuldigten sich Microsoft und Google. Wie viele andere Inhalte in den letzten Jahren wegen angeblicher Copyright-Verletzung "aus Versehen" aus dem Index flogen, weiß aber keiner.

Dass Google bei Copyright-Verletzungen schnell löscht, bei Persönlichkeitsverletzungen hingegen sich verklagen lässt, dürfte vor allem mit einem US-Gesetz zum Copyright ("Digital Millenium Copyright Act", kurz DMCA) zusammenhängen, der Google zur Reaktion zwingt. In Europa stellte sich Google zuletzt zumeist auf den Standpunkt, dass europäische Gesetze nicht anwendbar wären. Dies sehen die Gerichte inzwischen mehrheitlich anders - auch vor dem BGH holte sich Google bezüglich der Auto-Vervollständigen-Funktione jüngst eine Klatsche.

Sieg des Persönlichkeitsrechts oder Zensur?

Verständlich ist, dass in vielen Kommentaren und Forumsbeiträgen gefürchtet wird, dass das Urteil zu einer Zensurwelle im Google-Index führen wird. Erhalten wir also schon bald leere Ergebnislisten, wenn wir nach den Kinderporno-Vorwürfen gegen Ex-Medienpolitiker Jörg Tauss oder der Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß suchen? Wohl kaum. Bei Themenkomplexen, bei denen Google abertausende Dokumente löschen müsste, um diese restlos aus dem Index zu verbannen, wird der Suchmaschinenbetreiber sich gegen eine Löschung sperren und auf das offensichtlich überragende öffentliche Interesse verweisen. Geht es hingegen um einen Einzelartikel in einer Regionalzeitung, Blog oder Forum, wird Google künftig wahrscheinlich ohne große Prüfung diesen sperren, wenn ein angeblich oder tatsächlich Betroffener eine entsprechende Anfrage einreicht. Das ist aber mitnichten eine flächendeckende Zensur.

Insbesondere in Fällen, in denen ein unbekannter Dritter über ausländische Blogs (gegen die nationale gerichtliche Unterlassungsverfügungen so gut wie nicht durchzusetzen sind) gezielt Verleumdung betreibt, hat der EuGH nun die Rechte des Opfers gestärkt. Darüber hinaus hat der EuGH die Tür in Richtung auf das immer wieder geforderte, bisher aber nicht im Gesetz festgeschriebene "Recht auf Vergessen" ganz weit aufgestoßen: Auch eine sachlich richtige Information kann eine Persönlichkeitsverletzung darstellen, wenn sie dem Betroffenen via Suchmaschine für eine unverhältnismäßig lange Zeit nachhängt und bei Eingabe seines Namens prominent platziert erscheint.

Die schwierige Frage, bei deren Klärung das EuGH-Urteil wenig hilft, ist jedoch, welche Zeit jeweils verhältnismäßig ist. Dass 15 Jahre nach einer persönlichen Pleite diese nicht mehr unter den top-Suchergebnissen stehen sollte, erscheint verständlich. Doch, welche - möglicherweise längeren - Fristen gelten, wenn bei der Pleite nicht nur eine Bank einen Immobilienkredit teileweise abschreiben musste, sondern auch tausende Kunden eines Händlers geschädigt wurden? Und was gilt, wenn der Pleitier auch noch wegen Betrugs oder Insolvenzverschleppung verurteilt wurde? Und gelten noch längere Fristen für Politiker, top-Manager oder andere Personen, die im "öffentlichen Interesse" stehen?

Gesellschaftliches versus persönliches Interesse

Der Staat hat als ganzes ein Interesse daran, selbst schwere Straftäter zu rehabilitieren und in die Gesellschaft zurückzuführen. Der einzelne Bürger hat hingegen ein Interesse, über frühere Taten und damit möglicherweise weiter drohende Gefahren von solchen Personen zu erfahren, die er neu kennengelernt hat, egal, ob es sich um neue Freunde, Bekannte oder Geschäftspartner handelt. Aber genau dieses Einzelinteresse widerspricht dem gesellschaftlichen Interesse der Rehabilitation: Wenn einem Pleitier seine frühere Insolvenz auf immer nachhängt, wird er wirtschaftlich nie mehr Fuß fassen. Selbst dann nicht, wenn er die früheren Fehler nicht wiederholt.

Am Ende werden die Gesetzgeber auf nationaler wie EU-Ebene daher nicht umhin können, das "Recht auf Vergessen" genau zu kodifizieren. Das in der jüngst vom EU-Parlament verabschiedeten (aber noch nicht gültige) Datenschutzrichtlinie enthaltene "Recht auf Vergessen" würde beispielsweise zu weit gehen, da man google damit jederzeit zur sofortigen Löschung zwingen könnte. Doch nur ein angemessenes "Recht auf Vergessen" mit vernünftigen Erinnerungsfristen ist am Ende in Summe zum Vorteil der Gemeinschaft.

Weitere Editorials