Modellfall

Stuttgarter Modell: Wie der Glasfaserausbau gelingen könnte

In einem aufwän­digen Verfahren wurde die Deut­sche Telekom von Politik und Gemeinden rund um Stutt­gart für den Glas­faser­ausbau "ausge­wählt". Das Land Baden-Würt­temberg hat noch mehr vor.
Aus Fellbach bei Stuttgart berichtet

Beim Ideen­wett­bewerb und der Ausschrei­bung erzielte die Deut­sche Telekom 164 von 170 Punkten, der nächste Mitbe­werber schaffte "nur" 117 Punkte. Die große Kunst sei es, hier ein börsen­notiertes Wirt­schafts­unter­nehmen mit der kommu­nalen Selbst­verwal­tung unter einen Hut zu bringen. Ein Unter­nehmen als Finanz­investor gegen die Kommunen als Auftrag­geber/nehmer und eine neue, so unge­wohnte, Koope­ration. Für das „Stutt­garter Modell“ bekommt Bahde viele Anfragen aus anderen Regionen.

Aktuell ist die Region zu 88 Prozent mit 50 MBit/s (DSL) versorgt. Bislang war die Region Stutt­gart auf dem vorletzten Platz. Es gab schwie­rige Verhand­lungen, was ein deut­lich hörbares Raunen im Publikum bestä­tigt. 100 Telekom Mitar­beiter hatten in den letzten 14 Monaten an dem Projekt gear­beitet. Das Minis­terium half als Spar­rings-Partner mit. Für das Stutt­garter Modell gibt es kein Vorbild, es soll aber Vorbild in Europa werden.

Ähnlich opti­mistisch sehen es die Wirt­schafts­förde­rung Region Stutt­gart GmbH und der Ober­bürger­meister von Stutt­gart, Fritz Kuhn. Wichtig sei es, unter­versorgte Gebiete ans schnelle Internet zu bringen sowie den Anschluss der Indus­trie, des Gewerbes und von Dienst­leis­tern zu ermög­lichen.

Wer zahlt was?

In und um Stutt­gart wird viel Geld vergraben. Die Deut­sche Telekom verpflichtet sich, bis zu 1,1 Milli­arden Euro in die Hand zu nehmen. Die Kommunen geben bis zu 500 Millionen Euro dazu. Die müssen nicht in bar bezahlt werden, sondern können auch durch "Sach­leis­tungen" kompen­siert werden. "Sach­leis­tungen" können Hilfe durch den örtli­chen Bauhof beim Ausschachten von Gräben, das Zurver­fügung­stellen von bereits exis­tierenden Leer­rohren, die Bereit­stel­lung von Stand­orten für Mobil­funk auf öffent­lichen Gebäuden und Hilfe durch den Büro­kraten­dschungel sein.

Kein auto­mati­scher Ausbau

So auto­matisch wird übri­gens nicht gebaut. In den betei­ligten Städten und Gemeinden muss sich vorab eine ausrei­chende Anzahl an Bürgern für einen Glas­faser­anschluss entscheiden. Vor dem Ausbau ermit­telt die Telekom daher durch die soge­nannte "Vorver­mark­tung" den Bedarf. Diese läuft bereits in Allmers­bach im Tal, Stutt­gart-Bad Cann­statt, Bempf­lingen, Ditzingen-Heimer­dingen, Deggingen-Reichen­bach im Täle und in Weil der Stadt. 25 000 Haus­halte könnten davon profi­tieren. Derzeit sind Vorver­mark­tungs­teams von Haustür zu Haustür "im Auftrag der Telekom" unter­wegs. Wenn ein Haus­besitzer "Nein" sagt, kommt die Glas­faser nur bis zu seiner Grund­stücks­grenze ("Homes Passed"). Will er später doch mal anschließen, kann das Vergnügen deut­lich teurer werden.

Wer nun hofft, dass alter­native Anbieter das irgend­wann "güns­tiger" schaffen, wird sicher enttäuscht werden: Sie sind oft teurer und stellen die glei­chen Bedin­gungen ("Ausbau nur, wenn x Prozent mitma­chen"), denn am Ende des Tages soll sich der Aufwand ja rechnen und mit den monat­lichen Gebühren werden die Inves­titionen langsam zurück­bezahlt.

Strobl will Glas­faser im Schwarz­wald

Thomas Strobl, stell­vertre­tender Minis­terprä­sident und Innen- und Digi­tali­sierungs­minister Baden-Würt­tembergs, hat viel mehr vor: Er will die Glas­faser nicht nur in den Raum Stutt­gart, sondern komplett in den Schwarz­wald bringen. Diese gigan­tische Aufgabe "können wir gemeinsam schaffen. Die Bauern vor Ort, die Ortschaften, Gemeinde oder Kreise schaffen das alleine nicht", stellt er nüch­tern fest. Eigent­lich sei er ja ein Fan der kommu­nalen Selbst­verwal­tung und des Föde­ralismus. Aber nur "dort, wo es sinn­voll ist, sonst sollte nicht jeder alleine vor sich hinwursch­teln." Strobl wünscht sich "gebün­delte Exper­tise und einen starken Partner" und da werde "heute ein Knopf dran gemacht."

Strobl, der für einen Poli­tiker erstaun­lich tief im Thema steckt, fragt sich rheto­risch gleich selbst: Er rede immer über die Verle­gung von Glas­faser, ob denn 5G nicht besser wäre? Und gibt gleich die Antwort: "5G braucht aber Glas­faser als Grund­lage", weil die Sende­stationen ange­steuert werden müssen.

Nicht alle sind über die Telekom glück­lich

Dem stell­vertre­tenden Minis­terprä­sidenten ist nicht entgangen, dass nicht alle über die Rolle der Deut­schen Telekom in diesem Groß­projekt "begeis­tert" sind und erklärt daher nochmal die Rechts­lage: Zunächst sollte der Markt uns versorgen, "es gibt bei der Tele­kommu­nika­tion keine kommu­nale Versor­gungs­pflicht. Der Staat darf erst bei einem Markt­versagen eingreifen. Alles andere wäre verfas­sungs­widrig." Strobl will nicht ausschließen, das mögli­cher­weise künftig die Vorschriften in diesem Bereich geän­dert werden. Ihm ist auch nicht entgangen, dass die Daten­grund­lagen im soge­nannten "Breit­band-Atlas" (eine Art Deutsch­land-Land­karte, wo und wie gut das Internet über­haupt schon ausge­baut ist) oft nicht stimmen (können). Die Telekom müsse sich der Konkur­renz stellen.

Das Stutt­garter Projekt "Stern" wie es intern bei der Telekom genannt werde, hatten Strobl und Telekom-Chef Höttges schon vor etwa zwei Jahren im Grund­satz verein­bart. Es sei ein Projekt von natio­naler Bedeu­tung, eine Gigabit-Region im Herzen von Deutsch­land. Daran müsse man gemeinsam zusammen arbeiten.

Nur einmal Buddeln

Gerne lässt sich der Minister die auf dem Vorplatz aufge­baute Geräte und Technik-Ausstel­lung bis ins Detail erklären. Wichtig ist, so erklärt es Dirk Wössner, dass die Kabel schnell und ohne große Tief­bauar­beiten verlegt werden können. Ist der Tiefbau einmal erfolgt, muss man für die Glas­faser "theo­retisch nie mehr aufgraben".

Wenn die Glas­faser erblindet

Ein passiver Glasfaser-Verteilerkasten, geöffnet. Eine Stromversorgung ist dabei nicht notwendig. Ein passiver Glasfaser-Verteilerkasten, geöffnet. Eine Stromversorgung ist dabei nicht notwendig.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Was wenig bekannt ist: Glas­fasern können nach 25-30 Jahren "blind" werden, je nach mecha­nischer Bean­spru­chung der Faser. Dann werden die Fasern einfach "ausge­blasen" und durch neue Fasern ersetzt. Ohne neue Grabung.

Jeder Haus­halt bekommt vier Glas­fasern ange­liefert, obwohl eigent­lich nur eine einzige Faser notwendig wäre. Die rest­lichen Fasern dienen als Ersatz oder Reserve. Im passiven opti­schen Vertei­lerkasten am Stra­ßenrand können bis zu 88 Glas­faser-Haus­halte aufge­legt werden. Mit passiven opti­schen Vertei­lern kann man eine Glas­faser auf bis zu 32 Teil­nehmer splitten, die dabei auftre­tende Signal­dämp­fung von 5 dB ist nicht weiter tragisch, da sich der anzu­schlie­ßende Kunde ja relativ nahe beim Anschluss­kasten befindet. Von jedem Haus­halt oder Indus­trie­betrieb gehen die Fasern zu solch einem Vertei­lerkasten.

Zukunfts­sicher

Heutige Laser­licht-Technik erlaubt Privat­kunden Geschwin­digkeiten von bis zu 1 GBit/s für Privat­kunden. Schon heute ist neuere Laser­technik in Sicht, die auf der glei­chen Faser 2-10 GBit/s erlauben wird, falls es in naher Zukunft gebraucht werden sollte. Mit dem Peter-Pflug können Glasfaser-Leerrohre auf langen Strecken zwischen den Orten "untergepflügt" werden. Mit dem Peter-Pflug können Glasfaser-Leerrohre auf langen Strecken zwischen den Orten "untergepflügt" werden.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de

High-Tech zum Kabel­verlegen

Zum Verlegen von Glas­faser-Fern­leitungen zwischen den Ortschaften, wird ein Kabel­pflug verwendet. Das Modell "Peter-Pflug" kann in der freien Natur etwa 800 m Leer­rohre pro Tag unter­pflügen, erklärt Andreas Kühl von der Firma Klenk & Sohn aus dem hessi­schen Modautal. Sie versorgen die Deut­sche Telekom mit fertig gepflügten Kabel­stre­cken, sind aber auch bei der Tief­baubörse des BREKO-Verbandes aktiv dabei. Stan­dard sei eine Tiefe von 60 cm, die stabilen Leer­rohre stellten einen Schutz gegen Nage­tiere dar, die sich neuer­dings auch für Glas­faser inter­essieren.

Der Saugbagger der Firma Leonhard Weiss funktioniert wie ein riesiger Staubsauer und "saugt" in Null-komma-Nichts Kabelgräben frei Der Saugbagger der Firma Leonhard Weiss funktioniert wie ein riesiger Staubsauer und "saugt" in Null-komma-Nichts Kabelgräben frei
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Das Bauun­ternehmen Leonard Weiss hat sich unter anderem auch auf Kabel­verle­gung spezia­lisiert. Der Saug­bagger funk­tioniert wie ein riesiger Staub­sauger, der einen kompletten Fräs­graben komplett aussaugen kann. Dann kommt das Leer­rohr hinein und anschlie­ßend wird der Graben sofort wieder verfüllt. Ein Saug­bagger ist zwölfmal schneller als das konven­tionelle "Hand­schachten", wo Arbeiter mit Schaufel und Hacke den Graben ausheben würden. Digitalminister Strobl ließ sich spezielle Verfahren wie Grabenfräsen oder Trenching bis ins Detail erklären. Digitalminister Strobl ließ sich spezielle Verfahren wie Grabenfräsen oder Trenching bis ins Detail erklären.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de

Tren­ching mit schlechtem Ruf

Tren­ching ist eine von den Tele­kommu­nika­tions­anbie­tern sehr geschätzte schnelle Tech­nologie zum schnellen Verlegen von Glas­faser durch Auffräsen von Gehwegen oder Straßen. Dabei kann viel falsch gemacht werden.

Der Bauwirt­schaft ist nicht verborgen geblieben, dass Tren­ching bei vielen Kommunen ziem­lich verrufen ist, weil sie Angst um ihre Trag- und Deck­schichten der Straßen haben und Ärger befürchten, wenn eine Straße mal geflickt oder wegen etwas anderem aufge­graben werden muss. Sind die Glas­fasern "zu hoch" einge­fräst, steigt das Risiko einer Beschä­digung bei späteren Stra­ßenre­para­turen oder anderen Bauar­beiten.

Um das lästige Aufgraben der Straßen und Wege zu vermeiden, können Glasfaserleerrohre auch durch Abwasserkanäle zum Kunden gezogen werden. Um das lästige Aufgraben der Straßen und Wege zu vermeiden, können Glasfaserleerrohre auch durch Abwasserkanäle zum Kunden gezogen werden.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
In Zusam­menar­beit mit Univer­sitäten wurde das Tren­ching Verfahren neu erforscht, das Unter­nehmen Leon­hard Weiss setzt auf das soge­nannte "H-Tren­ching". Eine andere Idee ist es, einen kleinen Roboter durch vorhan­dene Abwas­serlei­tungen "fahren" zu lassen und dabei ein Leer­rohr für Kabel durch­zuziehen. Diese Idee fand Minister Strobl inter­essant, wollte aber gleich wissen, ob auch Frisch­wasser-(Trink­wasser)-Leitungen damit bestückt werden sollen? Das würde er aus grund­sätz­lichen Über­legungen (Sicher­heit des Trink­wassers) zutiefst ablehnen. Das ist auch - so die Experten bei Leon­hard Weiss - nicht geplant.

Wollen Sie schießen oder bohren? Antwort auf Seite 4.

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