Regierung verspricht flächendeckende Handy-Netze bis 2026
Bundesregierung will durch geförderte Funkmasten flächendeckende Handy-Netze bis 2026
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Deutschland ist die größte Volkswirtschaft in
Europa. Im europäischen Index für die digitale Wirtschaft und
Gesellschaft steht die Bundesrepublik aber nur auf Platz 13 - unter
27 EU-Mitgliedstaaten. Das soll sich mit der heute im
Bundeskabinett verabschiedeten Digitalstrategie nun endlich ändern.
Verkehrsminister Volker Wissing, der im Bundeskabinett auch die
Digitalthemen koordiniert, hat dabei allerdings ein Ziel formuliert,
das vielen Kritikern als nicht besonders ambitioniert erscheint.
Deutschland soll zumindest in die Top Ten in Europa aufsteigen. "Das muss der Anspruch unseres Landes sein", sagte Wissing. Dies sei bereits eine Herkulesaufgabe, für die so schnell wie möglich ein Aufholen notwendig sei. "Deswegen dürfen wir nicht träumen von Flugtaxis, mit denen wir alle durch die Gegend fliegen. Das ist alles eine schöne Vision. Aber Träumen ist das eine, Machen und Umsetzen ist das andere." Für ihr öffentliches Eintreten für Flugtaxis hatte Wissings Vorgängerin als Digitalexpertin der Bundesregierung, Dorothee Bär (CSU), 2019 in sozialen Medien Spott einstecken müssen.
"Leuchtturmprojekte" aus jedem Ressort
Um die einzelnen Schritte zur besseren Digitalisierung Deutschlands konkret herauszuarbeiten, hat Wissing aus jedem Ressort "Leuchtturmprojekte" einsammeln lassen, die noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden sollen. 52 Seiten sind so immerhin zusammengekommen. Eine der wichtigsten Aufgaben hat sich das koordinierende Digitalministerium selbst vorgenommen: Bis 2025 soll immerhin die Hälfte der Haushalte und Unternehmen in Deutschland mit Glasfaseranschlüssen versorgt werden. Außerdem verspricht das Papier bis 2026 "unterbrechungsfreie drahtlose Sprach- und Datendienste" für alle Nutzer - und zwar "flächendeckend".
Bundesregierung will durch geförderte Funkmasten flächendeckende Handy-Netze bis 2026
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Das zweitwichtigste Leuchtturm-Projekt wird von Bundesinnenministerin
Nancy Faeser (SPD) verantwortet. Ihr Ministerium soll dafür sorgen,
dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern sichere digitale
Identitäten zur Verfügung stellt, damit sie viele Verwaltungsvorgänge
online erledigen können - etwa die Anmeldung eines Kraftfahrzeuges.
Wie wichtig eine verlässliche digitale ID-Lösung ist, hatte sich zuletzt bei der elektronischen Patientenakte (ePA) gezeigt, die schon vor einem Jahr eingeführt wurde. Hacker des Chaos Computer Clubs hatten vor gut zwei Wochen demonstriert, wie die bei der ePA verwendete Identifizierungsmethode Videoident unter bestimmten Rahmenbedingungen gehackt werden kann. Die für die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland zuständige Gematik GmbH reagierte sofort und untersagte den Krankenkassen vorläufig die Nutzung von Videoident-Verfahren.
Perso und Führerschein digital bis 2025
Dabei gibt es seit Jahren mit dem elektronischen Personalausweis eine sichere Alternative. Doch diese wird kaum genutzt, auch weil die ehemalige schwarz-rote Bundesregierung daran gescheitert war, den "E-Perso" sicher in Smartphones zu integrieren. In der Digitalstrategie heißt es nun, man wolle sich 2025 daran messen lassen, ob "Personalausweis und der Führerschein auch als digitale Nachweise zur Nutzung mit mobilen Endgeräten verfügbar sind".
Vielleicht kann durch eine sichere ID-Lösung auch die elektronische Patientenakte aus dem Dornröschen-Schlaf aufgeweckt werden. Bislang benutzt kaum einer der über 70 Millionen Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) das System. "Wir wollen uns 2025 daran messen lassen, ob mindestens 80 Prozent der GKV-Versicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen und das E-Rezept als Standard in der Arzneimittelversorgung etabliert ist", heißt es in der Digitalstrategie. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich aber nicht darauf festnageln lassen, wie viele Versicherten die ePA tatsächlich auch nutzen werden, um bei Befunden, Arztbriefen und Laborergebnissen den Überblick zu behalten.
Open-Data-Konzept bei allen Ministerien
Zu den Leuchtturmprojekten gehört auch das Open-Data-Konzept, das von allen Ministerien verfolgt werden soll. Die Behörden sollen Verwaltungs- und Forschungsdaten zur Verfügung stellen, damit sie von Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und der Verwaltung selbst besser genutzt werden können. Davon könnten Unternehmen profitieren, die beispielsweise Daten des Deutschen Wetterdienstes kommerziell verwenden, um die Landwirtschaft zu fördern. Auch die Klimaforschung soll einen Anschub bekommen. Im kommenden Jahr soll ein Portal online gehen, auf dem Umweltinformationen aus rund 300 unterschiedlichen Quellen zur Verfügung stehen.
Eine wichtige Frage beantwortet das in Meseberg diskutierte Papier aber nicht, nämlich die Finanzierung: Zwar wird das im Koalitionsvertrag vorgesehene Digitalbudget zur Umsetzung zentraler Vorhaben erwähnt. Es soll von Finanz- und Digitalisierungsministerium in enger Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt erarbeitet werden. Doch welche Summe hier zur Verfügung stehen wird, blieb auch heute unklar. Daher muss befürchtet werden, dass mancher Digitalisierungs-Leuchtturm niemals leuchten wird, weil die notwendigen Finanzmittel in Zeiten knapper Kassen nicht vorhanden waren.
Erste Reaktionen auf die Strategie
Zur Verabschiedung der Digitalstrategie durch das Bundeskabinett erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg: "Diese Digitalstrategie setzt ganz konkrete Schwerpunkte bei besonders wichtigen Projekten mit Hebelwirkung. Sie kann der Digitalisierung Deutschlands einen kräftigen Schub verleihen - wenn alle mitziehen und die Umsetzung gelingt. Die nötige digitale Zeitenwende lässt sich mit dieser Digitalstrategie allerdings nicht einleiten."
Erstmals liege ein digitalpolitisches Grundsatzpapier vor, das nicht nur einzelne Maßnahmen auflistet, sondern Digitalpolitik ganzheitlich angeht, das Große und Ganze ins Visier nehme und sich "nicht im Kleinklein verliert". Die Bundesregierung setzte mit ihrer neuen Strategie an den richtigen Stellen an, um mit einfachen Maßnahmen wie elektronischen Identitäten für alle Menschen in Deutschland viel zu erreichen. Jetzt müsse die Digitalstrategie "mit Leben gefüllt werden".
Noch immer würden zu viele Zielstellungen "im Ungefähren" bleiben, Fortschritte seien damit nicht überprüfbar. Zu ungenau seien etwa eine flächendeckende Datenverfügbarkeit im Gesundheitswesen oder der Aufbau eines interoperablen Bildungs-Ökosystems, die "beliebige Interpretationsspielräume öffnen". Es sei versäumt worden, für diese prioritären Projekte "auch konkrete Meilensteine zu benennen". Das Ausdrucken und Abtippen von E-Mails und eingescannten PDF-Dateien "muss in deutschen Amtsstuben ein Ende haben. Und so ist es eine bittere Ironie, dass die Regierung erst im Juli Arbeitgeber dazu verdonnert hat, Arbeitsverträge in Papierform vorzuhalten, anstatt wie in anderen EU-Ländern eine digitale Alternative zu ermöglichen."
Auch Breko-Verband kritisch bei geplanter Umsetzung
Der Breko-Verband kommentiert die Pläne so: "Die Digitalstrategie der Bundesregierung spricht viele wichtige Aspekte der Digitalisierung an, darunter die Bedeutung digitaler Infrastrukturen und Technologien für die Erreichung der Ziele der Bundesregierung in den Bereichen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz. Die Wirkung der Strategie wird sich jedoch in Grenzen halten, da die darin genannten Probleme und Lösungsansätze weitestgehend bekannt sind - nur mangelt es bisher an der Umsetzung."
Besonders deutlich zeige sich das Umsetzungsdefizit im Glasfaserausbau: Die Telekommunikationsunternehmen würden gerne noch schneller ausbauen, könnten ihr Potenzial jedoch "aufgrund unzureichend digitalisierter Antrags- und Genehmigungsverfahren und akuten Fachkräftemangels" bisher nicht voll ausschöpfen. Die sehr ambitionierten Ziele einer Steigerung der Versorgung mit Glasfaseranschlüssen auf 50 Prozent aller Haushalte und Unternehmen bis Ende 2025 und einer flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 seien aber nur "unter optimalen Rahmenbedingungen" erreichbar. "Es bleibt fraglich, ob die in der Digitalstrategie vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich für eine umfassende Digitalisierung der Verwaltung sorgen können", so der Verband.
Digitaler Code statt rosa Rezept: Ab September können Patienten E-Rezepte in den Apotheken einlösen, etwa per Smartphone-App. Aber was ist mit Menschen ohne Smartphone?