Ungleich

Editorial: Fehlsteuerung beim Datenschutz

Kleine - mögli­cher­weise sogar nur vermeint­liche - Daten­schutz-Vergehen wie Face­book-Widgets oder Dash­cams werden mit großen Bußgel­dern bedroht, große Vergehen hingegen gar nicht erst ermit­telt.
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Dashcams werden mit großen Bußgeldern bedroht Dashcams werden mit großen Bußgeldern bedroht
Bild: dpa
Wir kennen schon den Kampf von Thilo Weichert (Landes­daten­schutz­behörde Schleswig-Holstein) gegen Face­book-Includes (z.B. Like- und Share-Button) und Face­book-Fanpages. Diesen führt er aller­dings zuneh­mend alleine, da die Gerichte ihm nicht folgen. Nun folgt sein baye­rischer Kollege Thomas Kranig mit einer Fehde gegen Dash­cams: Wer Bilder oder Videos einer hinter der Wind­schutz­scheibe fest instal­lierten Kamera uner­laubt weiter­gibt, dem drohen bis zu 300 000 Euro Bußgeld.

Dabei stützt sich das baye­rische Landesamt für Daten­schutz­auf­sicht auf ein Urteil des Verwal­tungs­gerichts Ansbach, in dem das Gericht den Einsatz von Dash­cams mit der Absicht, die Aufnahmen später an die Polizei weiter­zugeben oder auf YouTube hoch­zuladen, verboten, zugleich aber einen konkreten Unter­las­sungs­bescheid gegen einen Rechts­anwalt aus Mittel­franken aus formalen Gründen aufge­hoben hatte. Die Folge ist, dass dieser Prozess wohl nicht in die zur endgül­tigen Klärung nötige nächste und über­nächste Instanz gehen wird, denn der Rechts­anwalt wird wohl kaum Rechts­mittel gegen ein Urteil einlegen, das zu seinen Gunsten ausge­gangen ist, und die Behörde hat wiederum erklärt, wegen der grund­sätz­lichen Zustim­mung des Gerichts zu ihrer Rechts­auf­fas­sung eben­falls auf Rechts­mittel zu verzichten.

Die grund­legende Argu­men­tation - perma­nent laufende Dash­cams stellen nach deut­schem Daten­schutz­recht eine ille­gale Über­wachungs­maß­nahme dar, da sie auf öffent­lichen Raum gerichtet sind - könnte zwar auch von den höheren Gerichten bestä­tigt werden. Doch ließe sich das Problem mit einer vergleichs­weise einfa­chen tech­nischen Maßnahme lösen: Eine mit dem deut­schen Recht konforme Dashcam spei­chert ihre Aufzeich­nungen in einer 5-minü­tigen Endlos­schleife. Nur nach einem Unfall - erkennbar an den hohen Beschleu­nigungen und/oder typi­schen Geräu­schen - wird die Aufzeich­nung dauer­haft gesi­chert. Oder man bringt einen Knopf am Gerät an, der eine manu­elle Siche­rung auslöst. Oder das Gerät arbeitet in einer perma­nenten 5-Minuten-Endlos­schleife, und der Fahrer trennt es nach einem Unfall einfach vom Strom oder entnimmt die SD-Karte.

An anderer Stelle ist der Staat sowieso schon weiter: Diverse Kamerab­rücken filmen perma­nent den Verkehr auf Auto­bahnen, um nach Lastern zu fahnden, deren Fahrer nicht die Lkw-Maut bezahlt haben. Im Fall des "Auto­bahn-Snipers", der auf zahl­reiche fremde Lkw geschossen hatte, und dabei neben umfang­rei­cher Sach­beschä­digung auch eine Fahrerin lebens­gefähr­lich verletzt hatte, wurden von der Polizei umfang­reiche Bewe­gungs­daten aller Verkehrs­teil­nehmer gesam­melt. Dazu im Vergleich ist eine einzelne Dashcam eher der Tropfen auf den heißen Stein.

Daten­sam­mel­wahn der Großen

Dashcams werden mit großen Bußgeldern bedroht Dashcams werden mit großen Bußgeldern bedroht
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Vor allem aber gibt es größere Daten­schutz-Probleme als das, dass Dashcam-Besitzer bei riskanten Manö­vern anderer Verkehrs­teil­nehmer eine Video-Anzeige an die Polizei schi­cken oder das Mate­rial auf YouTube online stellen: Die Internet-Über­wachung durch die NSA, die zahl­losen Daten, die Google, Face­book & Co. sammeln, die schlechten Daten­schutz­stan­dards gängiger Betriebs­sys­teme oder der florie­rende Handel mit Exploits und Troja­nern. Warum darf Google zum Beispiel vom Nutzer verlangen, dass, wenn er Stand­ort­daten für eine App verwenden will, er gleich der Nutzung von Stand­ort­daten für alle Google-Apps und zusätz­lich auch der Über­tra­gung von Stand­ort­daten an Google selbst zustimmen muss? Letz­teres sogar auch für Zeit­räume, in denen keine Google-App läuft? Wie viel mehr Daten - und wie viel bessere auswert­bare Daten - werden dort im Vergleich zu privaten Dash­cams gesam­melt? Warum wird von Schufa und Karten­her­aus­gebern nicht mehr Trans­parenz bezüg­lich ihrer Algo­rithmen und Daten­sam­mel­methoden verlangt? Warum gibt es kein natio­nales Programm zur bundes­weiten Absi­che­rung privater und öffent­licher IT vor Daten­klau?

Am Ende bleibt ein Gefühl hängen: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen. Und zwar syste­matisch. Oder warum sonst wird der NSA-Unter­suchungs­aus­schuss so stark behin­dert. Oder haben die Großen etwa Angst davor, dass eine Dashcam sie mal bei der diskreten Über­gabe eines Geld­kof­fers einfängt?

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