Zukunft

Virtuelle Realität: Im Metaversum am Strand liegen

Digi­tale Muse­ums­touren, Holo­gramme beim Stadt­rund­gang: Neueste virtu­elle Technik ist längst im Reise­sektor ange­kommen - befeuert von Corona. Ist das nur ein Hype oder die Zukunft des Reisens?
Von dpa /

Vom Sofa aus auf den Mount Everest steigen, ein Museum in New York besu­chen oder durch ein Koral­len­riff im Ozean tauchen: Virtu­elle Erleb­nisse haben durch die Corona-Pandemie enormen Auftrieb bekommen.

Das ist auch der Reise- und Frei­zeit­indus­trie nicht verborgen geblieben. Sie nutzt die Tech­nologie nicht mehr nur zum Marke­ting, sondern als Event­pro­dukt. Wird der Hype bleiben? Und wenn ja, wo geht die Reise hin? Zwei Forscher blicken für uns in die Zukunft.

Madrid als virtu­elles Erlebnis

Eine VR-Brille in Aktion (Landesmuseum für Vorgeschichte) Eine VR-Brille in Aktion (Landesmuseum für Vorgeschichte)
Bild: picture alliance/dpa | Christian Modla
Beschäf­tigt man sich mit virtu­ellen Reisen, wird schnell klar, dass die Branche sich darin gerade erst versucht. Die Touris­mus­behörde von Madrid bietet etwa ein virtu­elles Erlebnis an, um die spani­sche Haupt­stadt schon vor der eigent­lichen Reise kennen­zulernen.

Auf der Website ist schnell ein 30-minü­tiger Termin gebucht. Dahinter steckt ein Video-Tele­fonat per Zoom. Eine Reise­füh­rerin surft mit mir durch die Straßen Madrids. An den Orten, zu denen ich Fragen habe, stoppen wir. Es öffnen sich 360-Grad-Bilder, zu denen sie uns näher heran­zoomen kann: Das gilt unter anderem für den König­lichen Palast oder das Vereins­museum von Real Madrid.

Der Service ist recht nütz­lich für den ersten Eindruck einer Stadt, mit virtu­eller Realität (VR) hat das Angebot aber nicht viel zu tun.

Eine neue Welt

Dazu braucht es eine "compu­ter­generierte, virtu­elle, drei­dimen­sio­nale Umge­bung, die man mit einer VR-Brille wahr­nimmt", erklärt Armin Brysch, der an der Hoch­schule Kempten zu diesem Thema forscht.

Das Abschirmen mittels VR-Brille oder auch Cave, ein mit Moni­toren voll ausge­stat­teter Raum, ist notwendig, um von der virtu­ellen Welt voll­ständig umgeben zu sein. "Wenn man durch die 360-Grad-Umge­bung keinen Refe­renz­punkt mehr in der realen Welt hat, merkt das Gehirn sehr schnell, dass es sich in der neuen Welt zurecht­finden muss", erklärt Brysch. Man fühlt sich, als ob man Teil der Reise ist.

"Je tiefer der Reisende in die ihm vorge­gebene Welt eintaucht, desto realis­tischer ist das künst­liche Erlebnis", so der Forscher. Experten wie er nennen das "Immersion". Dazu braucht es hoch­auf­lösende Bilder und eine span­nende Erzäh­lung.

Auf virtu­eller Zeit­reise

Auch wenn einige Touris­tiker Virtual Reality noch als Nische bezeichnen: Es bewegt sich etwas. So kann man mit dem Anbieter Time­ride virtu­elle Zeit­reisen machen und in das Leben von früheren Epochen eintau­chen - das Angebot gibt es in Köln, Berlin, Dresden, München und Frank­furt am Main.

Frei­zeit­parks nutzen eben­falls die Tech­nologie. Sie haben ganze Fanta­sie­welten erschaffen und ermög­lichen Reisen durchs Universum. Ein Vorreiter ist hier etwa der Europa-Park in Rust. Hier kann man Achter­bahn­fahrten mit VR-Brillen aufpeppen und mit dem Yullbe gibt es ein ganzes "VR-Erleb­nis­zen­trum", wie es der Europa-Park nennt.

"Auch viele große Kunst­museen nutzen VR-Appli­kationen", hat Armin Brysch beob­achtet. Er geht davon aus, dass die Ange­bote bleiben. "Wir haben zwar jetzt den Wunsch nach soziale Erleb­nissen, die Tech­nologie wird aber ihren Platz behalten."

In Essen gibt es die Mixed-Reality-Stadt­füh­rung namens Essen 1887. Dabei laufen Besu­cher GPS-gesteuert mit einer Spezi­albrille durch die Ruhr­gebiets­stadt - an bestimmten Punkten tauchen dann Holo­gramme auf: Menschen aus dem Jahr 1887, die mit einem reden. Kutschen, die über die Straßen fahren. Der Unter­schied zu Virtual Reality: Man ist in der Umge­bung unter­wegs und nimmt auch noch die reale Welt wahr.

Ein Fünftel erwartet Reisen im Meta­versum

Hat das Zukunft? Glaubt man einer aktu­ellen Umfrage von Bitkom Rese­arch, scheint es so. Demnach erwartet ein Fünftel (21 Prozent) der Befragten ab 16 Jahren, dass 2030 fremde Orte im Meta­versum oder mit Virtual-Reality-Brillen erkundet werden, statt klas­sisch dorthin zu reisen - unter den Jüngeren ist der Anteil höher. Doch auch bei den über 64-Jährigen sind noch 15 Prozent dieser Ansicht.

Das Meta­versum? Das sei ein virtu­eller Raum, der das heutige Internet erwei­tert und in dem man sich als Avatar, also durch ein digi­tales Modell von sich, bewegt und inter­agiert, erklärt Bitkom.

Nur eine Corona-Hype?

Klar, die Pandemie hat virtu­elle Reise­ange­bote befeuert. Als in Zeiten strenger Beschrän­kungen keine Reisen möglich waren, wollten viele dem Alltag zumin­dest digital an exoti­sche Orte entfliehen.

Spätes­tens durch die Corona-Zeit sei das Vertrauen in digi­tale Produkte gestiegen, meint Armin Brysch. Die Menschen haben gelernt, mit digi­talen Lösungen ihren Alltag gut zu bestreiten.

Kriti­scher sieht das Tristan Horx. Der junge Trend­for­scher am Zukunfts­institut glaubt, dass VR-Ange­bote, wie es sie während der Corona-Zeit gab, nicht mehr in dem Ausmaß genutzt werden. "Das war Hype-geschuldet und einem Mangel an Alter­nativen", sagt er.

Wir lebten in einer digi­talen Welt, seien aber analoge Menschen. Daher könne man nicht alles "ins Digi­tale verfrachten", so Horx. Vor allem nicht Dinge, die in realer Welt schon voll­kommen sind.

"Ein Muse­ums­besuch ist nicht nur das visu­elle Konsu­mieren von Kunst­werken, sondern eine Gesamt­erfah­rung", erläu­tert er. Die gehe im Digi­talen ein biss­chen flöten. Auch digi­tale Konzerte können aus seiner Sicht nicht das wieder­geben, was das Analoge ausmacht, zum Beispiel den Zufall.

Virtual Reality zur Urlaubs­pla­nung

Dennoch wendet sich Horx nicht ganz von Virtual Reality im Touris­mus­bereich ab. "Sie wird da bleiben, wo sie Sinn macht", sagt er. Und das sei die Reise­bera­tung. "Indem man sich vier Orte mit der VR-Brille anschaut und sich dann für einen entscheidet, kann das funk­tio­nieren." Das dürfte die Touris­tiker in Madrid freuen.

Armin Brysch sieht eine ganze Band­breite an Poten­zialen. Indem man sich 360-Grad-Erleb­nisse im Dschungel, in der Wüste, am Riff oder anderen touris­tischen Umge­bungen anschaut, könne das Sehn­süchte wecken, dorthin zu reisen.

"Steht das Reise­ziel schon fest, hilft so ein VR-Erlebnis, sich besser auf die Tour vorzu­bereiten", sagt er. Den Service könnten Reise­büros auch für den Verkauf von größeren Hotel­zim­mern oder erklä­rungs­bedürf­tigen Produkten nutzen.

Echtes Reisen bleibt - VR als Ersatz­erlebnis?

Bleibt die Frage, ob das virtu­elle Reisen das echte Reisen ersetzen kann. Brysch ist sicher: "Nur weil wir das Reise­ziel in 3D anschauen können, werden wir nicht darauf verzichten, dahin­zufahren."

Für manche Ziel­gruppen könne es aber Abwä­gungen geben, sagt der Forscher: Für Menschen, die aufgrund körper­licher Einschrän­kungen nicht überall hinreisen können. Oder für Menschen, denen eine Reise zu teuer, stressig oder gefähr­lich ist. Oder auch für Menschen, die zugunsten des Klima­schutzes auf bestimmte Reisen verzichten wollen. "Da kann VR ein Ersatz­erlebnis schaffen", sagt er.

Dabei kommt es aber auf die Dosis an. "Nach einer solchen Reise muss man sich erst einmal wieder an die reale Welt gewöhnen", sagt Tristan Horx. Nutzern muss klar sein, dass ihnen ein Stück weit das genommen wird, was Reisen ausmacht: ein gewisses Risiko. "So bleibt man in der Komfort­zone, was für Menschen nicht immer psycho­logisch gesund ist."

Für erwei­terte Erleb­nisse am Urlaubsort kann auch die softere Vari­ante einge­setzt werden, die "Augmented Reality" (AR). "Hier wird zur realen Welt ein compu­ter­generiertes Bild hinzu­gefügt", sagt Armin Brysch. Es gibt also eine physi­sche Distanz zwischen Nutzer und App, über die in Echt­zeit etwa frühere Bauwerke ange­zeigt werden, sobald man sich ihrem Ort nähert. Viele dürften AR von dem Erfolgs­spiel "Pokémon Go" kennen.

Was kommt als Nächstes?

Die höchste Form der Virtua­lität ist das Meta­versum. Erste Formen ersetzen bereits die Geschäfts­reise. "Da gibt es dann nicht mehr nur den Zoom-Call, sondern man trifft sich in virtu­ellen Räumen als Teil-Avatar", sagt Brysch.

Vor allem dort, wo Teams gemeinsam Dinge entwi­ckeln und gestalten müssen, kann das von Vorteil sein. Im Meta­versum geht es mehr noch um soziale Inter­aktion. "Sie können nahtlos verschie­dene Lebens­bereiche durch­laufen und mit anderen Menschen inter­agieren", sagt Brysch. In naher Zukunft werde man dort mit der Freundin am Strand liegen oder ein Riff besu­chen können.

In einer weiteren Meldung geht es um: Ericsson, Qual­comm und Thales wollen 5G ins Weltall bringen.

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