TV-Generation wechselt zunehmend zu Netflix
Insbesondere in den Chefetagen der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender dürfte die aktuelle Studie von Ampere Analytics aufhorchen lassen. Bisher galten vor allem ältere Zuschauer traditionell als sichere Bank für ARD, ZDF & Co. Doch selbst die Zeiten scheinen nun vorbei, denn US-Streamer wirbeln nun auch in dieser Altersgruppe den Markt kräftig auf und ziehen den linearen Sendern in erheblichem Umfang Zuschauer ab. Die sogenannte "Core User Base" von Netflix hat sich laut der aktuellen Studie völlig verschoben. Lag sie ursprünglich in der Nutzergruppe 18 bis 24 Jahren, liegt sie mittlerweile bei 24 bis 44 Jahren. Selbst in der Altersgruppe über 45 Jahren ist der Streamer aus Los Gatos in den vergangenen zwei Jahren laut Ampere um ganze 22 Prozent gewachsen (zum Vergleich: In der jüngeren Altersgruppe lag das Wachstum nur bei fünf Prozent).
Pandemie als Wachstumsmotor
Netflix-CEO Reed Hastings (2 v. r.) kam im vergangenen Monat zur Neueröffnung des Berliner Büros.
Foto: Netflix
Vor allem die Corona-Pandemie hat Netflix in der höheren Altersgruppe nochmals einen deutlichen Wachstumsschub verpasst. Dazu Minal Modha, Principal Analyst bei Ampere Analytics: "Wir haben festgestellt, dass sich ein älteres Publikum während den Lockdowns zunehmend Netflix zuwendet." Mit dem Abklingen der Pandemie entscheiden sich darüber hinaus jüngere Zuschauer wieder stärker für Kinobesuche. Dass sich der Trend umkehrt und ältere Zuschauer wieder zum linearen Fernsehen zuwenden, erscheint unterdessen nicht einzutreffen.
Aufgrund der sich zunehmend kumulierenden Kosten durch Abos verschiedener Streaming-Dienste wachsen aber vor allem auch werbefinanzierte AVoD-Streamer wie Pluto TV. Der Trend ist also eindeutig und wird in den kommenden Jahren weitere erhebliche Konsequenzen auf die Einschaltquoten linearer TV-Angebote haben. Doch was sind die konkreten Gründe, warum vor allem Netflix in den höheren Altersgruppen plötzlich so gut abschneidet?
Älteres Publikum schätzt Qualität
Neben Kino-Blockbustern scheinen sich Netflix Originals, also hochwertige Serien-Eigenproduktionen, besonders positiv zu entwickeln. Tatsache ist, dass vor allem lineare Free-TV-Sender in Deutschland dieser Konkurrenz bislang wenig bis überhaupt nichts entgegensetzen können. Der Streamer aus Los Gatos investiert teils Summen in die Produktion einzelner Serienstaffeln, welche mehr als dem gesamten Jahresbudget vieler linearer TV-Sender oder sogar ganzer Sendergruppen entsprechen. Durch den starken Wettbewerb nehmen diese Produktionsinvestitionen sogar noch weiter rapide zu.
Dass die US-Streamer im Unterhaltungsbereich eine deutlich höhere Qualität abliefern, hat sich also mittlerweile nicht mehr nur bei Teenagern herumgesprochen. Für die Fernsehsender entwickelt sich diese Situation zunehmend zum Dilemma. Mit den Budgets von Netflix, Disney, HBO & Co. mitzumischen, ist vollkommen ausgeschlossen. Wenn allerdings gleichzeitig die inhaltlichen Ansprüche der älteren Zuschauergeneration in dieser Geschwindigkeit weiter zunehmen, brauchen die linearen TV-Sender zügig eine neue Strategie, andernfalls droht ein noch signifikanterer Verlust an Relevanz.
Bleibt nur die Nische
Bei Filmen und Serien dürfte der Zug für die linearen Free-TV-Sender bereits abgefahren sein. Eigene hochwertige Produktionen sind zumindest in großem Maßstab kaum möglich, selbst US-Lizenzware landet mittlerweile primär auf den eigenen Plattformen der US-Studios. Mit Spielshows, Telenovelas und Krimis lässt sich ein zunehmend an höhere Qualität gewohntes Publikum kaum noch vor den Bildschirm locken.
Wie leergefegt der Markt bei US-Lizenzware ist, kann man bei den öffentlich rechtlichen Sendern besonders gut beobachten. Zu den wenigen US-Serien, die es dort überhaupt noch ins Tagesprogramm schaffen, zählen bestenfalls noch "Monk" oder "Hart aber herzlich". Letztere Serie feierte übrigens ihre US-Premiere im Jahr 1979 und landete sagenhafte vier Jahre später erstmals überhaupt im ARD-Vorabendprogramm. Das wäre heute bei Pay-TV und Streaming-Diensten unvorstellbar. Beispielsweise erscheinen HBO-Produktionen auf Sky heute fast zeitgleich zum US-Start.
Netflix wächst nicht nur bei Zuschauern, sondern auch den Preisen. Doch sind diese wirklich angemessen?