Streaming & Co.: Netzbetreiber fürchten Netzüberlast
Normalerweise sind sie Konkurrenten. Aber manchmal gibt es Situationen, wo die Großen der Branchen an einem Strick ziehen. Vier Vorstandsvorsitzende von vier großen europäisch und weltweit tätigen Unternehmen haben einen Brief geschrieben:
- José María Álvarez-Pallete López, Chairman und CEO, Telefónica
- Tim Höttges, CEO, Deutsche Telekom
- Nick Read CEO, Vodafone [Link entfernt]
- Stéphane Richard, scheidender Chairman und CEO bei Orange, besser bekannt als France Telecom.
Rasante Zunahme digitaler Aktivitäten
Den vier europäischen Netzbetreibern Telefónica, Telekom, Orange und Vodafone bereiten Streamingdienste wie Netflix gewaltig Kopfzerbrechen.
Logos: Anbieter, Montage: teltarif.de
Den vier Unternehmen geht es um die rasante Zunahme digitaler Aktivitäten weltweit. Die Konnektivität sei "für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft und letztlich für unser tägliches Leben" einfach unerlässlich, stellen sie fest. Der Datenverkehr, der jährlich um bis zu 50 Prozent zunimmt, sei der entscheidende Faktor für die Größe und Kapazität unserer Netze. Bis dahin kann wohl Jedermann folgen.
Dann beteuern sie, massiv in die Aufrüstung ihrer Netzinfrastruktur und die Erhöhung der Kapazität investiert zu haben. Und dank dieser Investitionen konnten die Kommunikation und das Internet auch während der Covid-19-Krise in Europa trotz der Spitzenbelastung im Festnetz- und Mobilfunkbereich aufrechterhalten werden. Sie betonen weiter, dass kontinuierliche Investitionen von grundlegender Bedeutung seien, um den uneingeschränkten Zugang und die Teilnahme der Bürger an unserer digitalen Gesellschaft zu gewährleisten.
Untragbare Situation
Und kommen zum Punkt: "Die derzeitige Situation ist einfach nicht tragbar. Die Investitionslast muss in einem angemesseneren Verhältnis verteilt werden. Heute entfallen über 70 Prozent des gesamten Datenverkehrs in den Netzen auf Videostreaming, Spiele und soziale Medien, die von einigen wenigen Plattformen für digitale Inhalte stammen. Die digitalen Plattformen profitieren von stark skalierenden Geschäftsmodellen zu geringen Kosten, während die Netzbetreiber die erforderlichen Investitionen in die Konnektivität schultern. Gleichzeitig befinden sich unsere Endkundenmärkte in Bezug auf die Rentabilität in einem ständigen Niedergang."
Ungleiche Verhältnisse?
Gegenwärtig seien die Netzbetreiber nicht in der Lage, mit diesen riesigen Plattformen faire Bedingungen auszuhandeln, da diese über eine starke Marktposition verfügen, eine asymmetrische Verhandlungsmacht haben und keine gleichen regulatorischen Bedingungen vorfänden. Infolgedessen könnten die vier Unternehmen "keine tragfähige Rendite für die sehr umfangreichen Investitionen erzielen", was die weitere Entwicklung der Infrastruktur gefährde.
Höhere Qualität, steigende Datenmengen
Da die großen Plattformen für digitale Inhalte ständig auf eine höhere Qualität des Streamings drängen, werde der sprunghafte Anstieg des Datenverkehrs, den wir derzeit erleben, unaufhaltsam zunehmen, sagen sie voraus und malen schwarz: "Wenn wir diese unausgewogene Situation nicht in den Griff bekommen, wird Europa gegenüber anderen Weltregionen zurückfallen, was letztlich die Qualität des Erlebnisses für alle Verbraucher verschlechtert."
In anderen Teilen der Welt gebe es bereits Anzeichen für einen Wandel. In Südkorea werde ein nationales Gesetz erörtert, das die regulatorischen Voraussetzungen für einen gerechteren Beitrag zu den Netzkosten schaffen soll. Dies geschehe im Anschluss an einen Rechtsstreit, der durch die Serie "Squid Game" ausgelöst wurde. In den USA strebten die politischen Entscheidungsträger einen Universaldienst an, der auch durch digitale Plattformen finanziert werde.
Solche gemeinsamen Investitionen seien auch für die Förderung umweltfreundlicher Konnektivität und digitaler Technologien von entscheidender Bedeutung, die zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beitragen und Effizienzsteigerungen bewirken könne, wodurch die internationale Führungsrolle Europas im Bereich Umwelt und die Schaffung umweltfreundlicher Arbeitsplätze gestärkt würde.
Datenmengen optimieren?
Ohne einen "Preis" für die emittierten Datenmengen, werde der Anreiz für große Inhalteanbieter, ihren Datenverkehr zu optimieren, gering bleiben.
Gehör in Brüssel
Mit ihrer Klage hatten sich die vier Unternehmen an die Europäische Kommission gewandt. Dort fanden sie ein offenes Ohr und bedanken sich: "Wir begrüßen die jüngste Zusage der Europäischen Kommission, angemessene Rahmenbedingungen zu entwickeln, damit alle Marktteilnehmer, die vom digitalen Wandel profitieren, (...) einen fairen und angemessenen Beitrag zu den Kosten für öffentliche Güter, Dienstleistungen und Infrastrukturen leisten".
Die Briefeschreiber fordern die Gesetzgeber nun dringend auf, auf EU-Ebene Regeln einzuführen, um diesen Grundsatz zu verwirklichen. "Die Uhr tickt laut", insbesondere angesichts der enormen Investitionen, die noch erforderlich sind, um die Konnektivitätsziele für 2030 zu erreichen, die von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung über das Europäische Digitale Jahrzehnt festgelegt wurden. "Ohne eine gerechte Lösung werden wir dieses Ziel nicht erreichen."
Die Sache ist komplizierter als es scheint
Das Internet besteht aus autonomen Netzen, die an den Übergängen Daten austauschen. Eigentlich sollten diese Übergänge jeweils für den Verbindungs-(Peering-)Partner kostenlos bereitgestellt werden. Ist diese Verbindung überlastet, müssten beide Partner entsprechend nachrüsten, jeder auf seine Kosten. Soweit die Theorie. Während kleinere und neue Unternehmen hier noch gerne mitspielen, tun sich althergebrachte Unternehmen wie die Telekom und ihre europäischen Partner damit ziemlich "schwer".
In diesem Punkt wird speziell die Deutsche Telekom von Internet-Aktivisten seit Jahren immer wieder kritisiert, weil die Telekom an den üblichen Peering-Punkten kaum aktiv sei und sich schnellere Zugänge in ihr Netz von den Zulieferern extra bezahlen lassen wolle.
Verstörende Geschäftsmodelle
Schauen wir uns die Geschäftsmodelle an. Ein Streaming-Anbieter wie z.B. Netflix hat Server im Netz stehen, die bei großen Internet-Anbietern angeschlossen sind. Dafür zahlt Netflix diesem Anbieter Geld. Der Internet-Anbieter reicht die Inhalte an seine Partner weiter und nach den Peering-Regeln kostet das nichts extra. Und die Datenmengen steigen und steigen.
Ist ein Zuschauer nun beispielsweise im Netz der Telekom, so steigt der Verkehr am Übergabepunkt zur Telekom stark an, die Telekom bekommt dafür aber von den Vorlieferanten nichts. Sie könnte nun die Preise, die sie ihren eigenen End-Kunden abnimmt, entsprechend erhöhen, müsste dann aber damit rechnen, dass die Kunden sich auf die Suche nach günstigeren Anbietern machen. Wäre es gerecht, allen Kunden mehr abzunehmen, auch wenn die beispielsweise nie im Leben Netflix schauen? Oder sollte man wieder zum Datenmengen-Preis-Modell zurückkehren, statt der gewohnten praktischen Flatrate?
Teilweise haben die Inhalte-Anbieter ihre Netze direkt zu den Netzen der Endkunden verlängert und verwenden Content-Delivery-Netzwerke (CDN), die im Netz der Endkunden aktiv sind, um die gigantischen Datenmengen zwischen zu puffern.
Netzbetreiber als reine Datenpumpstation?
Es gibt aber viele Geschäftsmodelle im Internet, bei denen der Internet-Anbieter des Endkunden nur noch Datenmengen von fremden Anbieter durchpumpt, aber daran keine eigenen Einnahmen hat. Das sorgt für Frust. Die Endkunden verlangen immer bessere Qualität. Die Netzbetreiber sind aber gezwungen, ihre in die Jahre gekommenen Kupfernetze schnellstmöglichst durch Glasfasernetze zu ersetzen.
Die Kunden beharren darauf, möglichst wenig zu bezahlen. Ein Giga-Anschluss mit 1 GBit/s Download kann im Sonderangebot für 39 Euro im Monat angeboten werden, üblicher sind Preise von 80 bis 120 Euro im Monat. Verständlich, dass das für viele Kunden jenseits der Schmerzgrenze liegt.
Wenn nun aber die Telekom-Netzbetreiber durchsetzen könnten, das Anbieter wie Netflix eine Art "Netz-Maut" bezahlen müssen, ist zu erwarten, dass die Abonnement-Preise steigen dürften, was bei den Kunden sicher zu einer Abwanderung führen wird. Bleibt ein Netzbetreiber eisern und rüstet nicht auf, so muss er auch damit rechnen, dass ihm Kunden abhanden kommen, sofern auch nur ein alternativer, einigermassen zuverlässiger Anbieter auftaucht.
Neuer Graumarkt?
Greift die Politik ein und verordnet Einlieferungspreise für die Streaming-Anbieter, könnten diese auch "Nein" sagen und die Belieferung nach Europa einstellen. Dann entsteht ein Markt für "Grau-Anbieter", welche diese Inhalte auf "Umwegen" doch nach Europa liefern und damit Geld verdienen wollen, Rechtslage hin oder her.
Was bleibt?
Am Ende bleibt die Wahl zwischen Pest und Cholera:
- Es ändert sich nichts, die Netze laufen voll und Streaming-Inhalte ruckeln.
- Die Politik greift ein: Die Inhalte-Lieferanten legen den neuen Wegzoll auf ihre Abo-Preise um, die dann der Kunde zahlt - oder auch nicht.
- Die Netzbetreiber müssen massiv aufrüsten und legen das auf ihre Zugangspreise um. Die Kunden werden schauen, ob es günstigere Alternativen gibt.