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Editorial: Nachvollziehbares Urteil zur Nichtnachvollziehbarkeit

Richter kassieren Schockrechnung für angebliche Datennutzung
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Doch bei weitem nicht alle Anbieter haben die Alt-SIMs auf sinnvolle Datentarife umgestellt oder universelle Kostendeckel eingeführt. Einer dieser Anbieter kassierte nun dafür vor Gericht die Rechnung, indem das Landgericht Arnsberg die Klage gegen einen Kunden auf Zahlung von 1 000 Euro für Datennutzung und weiteren 600 Euro für vorzeitige Kündigung, Schadenersatz und Mahngebühren kurzerhand abwies (Aktenzeichen I-3 S 155/10). Lediglich 3,83 Euro für die auf der letzten Rechnung ausgewiesenen Telefonate sprach das Gericht dem Anbieter zu.

Das Urteil ist zu begrüßen. Insbesondere rügten die Richter zu Recht ausdrücklich die hohe Grenze von 1 000 Euro, ab der erst die Systeme des Anbieters eine weitere Datennutzung und somit auch weitere Kostenerhöhung verhinderten. Zum Vergleich: Beim Datenroaming setzte die EU-Kommission das Kostenlimit auf 59,50 Euro. Nicht, um die Anbieter zu gängeln, sondern, um Privatkunden zu schützen.

Wegen anderer Gründe dürfte das zitierte Urteil dennoch ein Einzelfall bleiben: So konnte der beklagte Kunde die Richter davon überzeugen, die Datenfunktionen seines Handys überhaupt nicht benutzt zu haben. Dem Einzelverbindungsnachweis des Anbieters schenkten die Richter hingegen keinen Glauben - sie erklärten diesen kurzerhand für "nicht nachvollziehbar". In der Tat ist es derzeit üblich, bei der Nutzung von Datendiensten im EVN nur Beginn, Dauer und übertragenes Volumen auszuweisen. Dadurch ist es in der Tat unmöglich, nachzuvollziehen, welche Datendienste (zum Beispiel Download von Handy-Apps, Surfen im Web, Video-Streaming etc.) ein Kunde benutzt hat.

Falsche Beratung

Mit falscher Beratung im Laden begründete hingegen das Landgericht Münster vor zwei Monaten die Abweisung einer vergleichbaren Klage eines Netzbetreibers gegen einen Kunden auf Zahlung einer hohen Datenrechnung (Aktenzeichen 06 S 93/10). Im Detail liegt der Fall in Münster aber anders: Es war dort klar, womit die hohe Datennutzung entstanden war, nämlich durch Installation und Karten-Downloads einer Navigationssoftware auf einem Handy. Handy, Navi-Software und SIM-Karte hatte der Kunde kurz zuvor in einem Mobilfunk-Laden des klagenden Netzbetreibers erworben. Statt gleich eine Daten-Flatrate abzuschließen, empfahl der Laden aber, erst mal die Standard-Volumenabrechnung zu wählen und nach der ersten Rechnung zu entscheiden, ob und ggfls. welches Volumenpaket oder Flatrate der Kunde bräuchte.

Eine Fehlberatung, denn die Navi-Software saugte gleich mal 150 MB für Software und Kartenmaterial. Mal 6 Euro pro MB standen 900 Euro auf dem Zähler: Eineinhalb Mal so viel, wie selbst die teuerste Datenflatrate über zwei Jahre gekostet hätte. Das Gericht machte den Netzbetreiber für den Beratungsfehler in seinem Shop verantwortlich und verweigerte die Einzelabrechnung.

Urteile kaum übertragbar

Indem sie ihre Urteil auf die Beweiswürdigung ("Kunde glaubhaft, Rechnung des Netzbetreibers nicht") oder vertragliche Nebenpflichten ("Empfehlung eines geeigneten Tarifs im Laden") stützen, drücken sich die Arnsberger wie die Münsteraner Landrichter jedoch vor einer Bewertung der schwierigen Rechtsfragen. Verstößt ein Anbieter gegen die guten Sitten, wenn er im "falschen" Datentarife für dieselbe Leistung hundert- oder gar tausendfach mehr verlangt als im "richtigen"? Oder alternativ: Bei welchem Rechnungsbetrag hätte der Anbieter die Datenverbindungen zumindest vorübergehend sperren müssen, so dass der Kunde maximal diesen Betrag hätte versurfen können, den er dann aber auch hätte bezahlen müssen?

Letztlich kann man nur hoffen, dass einer der zahlreichen Fälle von Schockrechnungen, ausgelöst durch überhöhte Standard-Datentarife, bis rauf zum BGH läuft und diese ein weises Grundsatzurteil fällt. Bis dahin wird es jede Menge Einzelfallentscheidungen geben, die je nach Beweiswürdigung und weiteren Umständen mal für, mal gegen den Kunden ausfallen.

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