Internet-Mindestgeschwindigkeit: Hilfe per Satellit?
Internet per geostationärem Satellit muss 72.000 km Entfernung überbrücken.
Foto: Picture Alliance/dpa
Heute fand eine öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses Digitales zum Thema Breitband-Grundversorgung statt. Es ging um die garantierte Mindestgeschwindigkeit bei der Versorgung mit Telekommunikationsdiensten (TKMV). Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der als Sachverständiger an der Anhörung teilnahm, forderte unter anderem höhere anfängliche Bandbreiten und ein Festhalten an der vorgeschlagenen Latenz. Es dürften auch keine "Ausnahmen durch die Hintertür" festgelegt werden. Die Verordnung soll nach Zustimmung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr, dem Bundestagsausschuss Digitales und dem Bundesrat am 1. Juni 2022 in Kraft treten.
Gurkmann: Flächendeckend ohne Hintertüren
Internet per geostationärem Satellit muss 72.000 km Entfernung überbrücken.
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Jutta Gurkmann, Vorständin beim vzbv findet: „Die Menschen in Deutschland müssen endlich flächendeckend Zugang zum Internet haben. Damit das gelingt, gibt es gesetzlich festgelegte Mindestvorgaben." Der Kabinettsentwurf eröffne aber die Möglichkeit, die festgelegten Mindestvorgaben des Telekommunikationsgesetzes für die Breitband-Grundversorgung noch weiter zu unterschreiten. Über eine Öffnungsklausel werde durch die Hintertür versucht, den Einsatz von geostationären Satelliten zu ermöglichen, die regelmäßig nicht die Latenz von 150 ms erreichen. Dass der Dienst nicht stets in minimal festgelegter Qualität verfügbar sein müsse, sei aus Sicht des vzbv nicht vereinbar mit dem Telekommunikationsgesetz."
Und weiter: Für Bürger, die auf eine angemessene Grundversorgung angewiesen sind, sei das ein herber Schlag. Es entstehe der Eindruck, dass das unausgesprochene Ziel wäre, möglichst keine Ausbauverpflichtung zu erlassen. Einziges Ziel sollte nach Meinung des vzbv aber sein, endlich nicht versorgten und unterversorgten Haushalten eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe über die Grundversorgung zu ermöglichen.
Der Dienst müsse stets in der festgeschriebenen Qualität verfügbar sein, die Öffnungsklausel sei aus Verbrauchersicht zu streichen. Punkt.
VATM will auch geostationäre Satelliten
Genau entgegengesetzt argumentierte der Interessenverband VATM, der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten, in dem viele wichtige Spieler der TK-Branche (außer der Deutschen Telekom und außer den in den Verbänden wie BREKO, Buglas etc. zusammengeschlossenen Unternehmen) zu finden sind.
VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner war ebenfalls Sachverständiger: „Mit den aktuell festgelegten Mindestanforderungen und der damit verbundenen zu stark eingeschränkten Nutzung von Satelliten-Internet rückt eine kurzfristige Sicherstellung der Internet-Grundversorgung für viele Bürgerinnen und Bürger in der Praxis in weite Ferne", kritisierte er. Gleichzeitig gefährde der De-facto-Ausschluss geostationärer Satelliten und damit eines Großteils der Satellitentechnologie völlig unnötig die Pläne Deutschlands für einen möglichst schnellen Glasfaserausbau, weil ohnehin knappe Baukapazitäten umpriorisiert werden müssten und statt Glasfaser übergangsweise alte Kupfernetze erweitert werden müssten.
Renaissance des Kupferausbaus?
Das würde zu einer Renaissance des Kupfernetzausbaus führen, tiefbautechnisch werde eine schnelle Hilfe für die Bürger verhindert. Bis zum Ausbau mit Glasfaser müssten geostationäre Satelliten und Mobilfunk als Übergangstechnologien zum Einsatz kommen können, und das in der Verordnung klarer geregelt sein. Die Branchenverbände fordern daher, zumindest für eine Übergangszeit etwas höhere Latenzwerte zuzulassen, die auch von geostationären Satelliten erreicht werden können. Alternativ könnte sich die Latenzanforderung ausschließlich auf den einzigen zeitkritischen Dienst – Telefonie – beschränken, sodass der Einsatz hybrider (= gemischter) Lösungen erleichtert würde.
Keinesfalls dürfte die Anwendbarkeit von Satelliteninternet nur auf „heute noch teure Meo- und Leo-Konstellationen“ (z.B. Starlink) beschränkt werden, wie es die Verordnung vorsehe. Nicht der Satellit, sondern der hier diskutierte Rechtsanspruch auf ein paar Megabit müsse die absolute Ausnahme in Deutschland sein.
Vorführung von Satelliten-Internet beim VATM (Video)
Um Politiker und Pressevertreter von der Leistungsfähigkeit eines Internet-Zugangs per Satellit zu überzeugen, lud der VATM heute in sein Hauptstadtbüro ein. teltarif.de war vor Ort und konnte die Präsentation mitverfolgen. Der Internetzugang wurde über Viasat vorgeführt.
Im Video sind nicht nur von teltarif.de durchgeführte Speedtests über das Satelliten-Internet zu sehen, sondern auch die Nutzung eines VPN über das Satelliten-Netzwerk.
Geostationäre Satelliten sind 36.000 km weit weg
Internet per geostationärem Satellit (Viasat / Inmarsat). Auf den ersten Blick ok, aber die 631 ms Ping brauchen ihre Zeit.
Screenshot: teltarif.de
Die geostätionären Satelliten-Dienste wie z.B. Konnect oder Viasat (via Inmarsat) haben eine technisch bedingte Latenz von 600 bis 1000 ms. Das Signal muss von der Bodenstation hoch zum Satelliten in 36.000 km Entfernung und wieder zurück, macht 72.000 km, die mit ca. 300.000 km/s (Lichtgeschwindigkeit) in theoretisch ungefähr 1/4 Sekunde (250 ms) überbrückt werden. Dazu kommen noch die Laufzeiten der der terrestrischen Systeme). Der Screenshot wurde mit einem Demo-System des BREKO-Verbandes in Berlin aufgenommen.
Das mag für E-mails oder das Betrachten von Webseiten, bzw. das Downloaden von Dateien sicher weniger das Problem ein, wohl aber für zeitkritische Dinge, wie interaktive Spiele, wo es auf schnelle Reaktionszeiten ankommt.
LEO oder MEO sind schneller
Neuere Satellitensysteme wie Starlink des Elektro-Auto-Pioniers Elon Musk arbeiten mit tieffliegenden LEO-Satelliten (LEO = Low Earth Orbit, MEO = Medium Earth Orbit), sind dadurch deutlich schneller, aber auch deutlich teurer: Etwa 500 Euro für das Startpaket und etwa 100 Euro im Monat an Gebühren. Starlink vermarktet seine Geräte und den Dienst selbst, der Fachhandel oder regionale Unternehmen schauen dabei oft in die Röhre.
Weltweit soll es nach Auskunft des VATM 3,2 Millionen GEO-Satelliten-Anschlüsse geben, in Europa seien es 260.000. In Nordamerika, wo 2,1 Millionen Satelliten-Anschlüsse genutzt werden, haben sich im Verlauf der COVID-Pandemie Videokonferenzen via GEO-Satelliten verdoppelt und die VPN-Nutzung verzehnfacht. Auch die Schweiz oder Frankreich setzen auf die schnelle Hilfe, die nun endlich auch für Deutschland kommen müsse, fordert der VATM.
Heute beim VATM gemessene Werte über das Viasat-Netzwerk
Screenshots: teltarif.de
VATM möchte langfristig Glasfaser für alle
Im Endeffekt möchte der VATM, dass alle Glasfaser bekommen, aber so schnell, wie sich die Bürger und Verbraucherverbände das vorstellen, klappt das mangels Baufirmen, Arbeitern oder Bauteilen offenbar nicht. Wenn, um mehr Tempo zu machen, wieder verstärkt auf Kupferleitungen gesetzt werden müsste, wäre der Hauptkonkurrent, die "Deutsche Telekom" verstärkt im Spiel. Das ist ein Szenario, was der privaten Konkurrenz natürlich schlaflose Nächte bereitet.
Geld ist genügend da
Das bisher fehlende Geld für den Ausbau ist nicht mehr das Problem. Zahllose Investoren möchten ihr Geld in Glasfaser-Netze investieren, doch der Markt für Tiefbau und Kabelverlegung ist ziemlich leergefegt. Neue Leute sind kaum zu bekommen und müssten erst einmal trainiert und geschult werden, was auch wieder viel Zeit kostet.
Und die Bürokratie?
Was vzbv und VATM heute gar nicht genannt haben, ist die örtliche Planungsbürokratie, die unter Umständen auch wertvolle Zeit kosten könnte. Weitere zeitraubende Streitpunkte: Die Verlegungsart der Fasern. Einfache "invasive" Verfahren wie Trenching, gingen schneller und kosten weniger, weil viel niedriger verlegt. Sie sind aber bei späteren Umbauarbeiten, bei der späteren Verlegung von Abwasser-, Gas- oder Elektro-Leitungen oder bei Reparaturen von Straßen- oder Gehwegdecken leichter "Opfer" von Baufehlern oder möglicherweise schlecht dokumentierten Leitungswegen.
Wenn dann die Glasfaser versehentlich "erwischt" wird, gibt es mehrfach Ärger. Beim Kunden, der schnell wieder online gehen will und bei den Unternehmen, die sich dann gegenseitig um die Kosten der Reparatur streiten werden.
Keine leichte Entscheidung.