Kritik

Digital-Gipfel der Bundesregierung: Völlig falscher Fokus? (Update)

Vertreter der digi­talen Zivil­gesell­schaft haben die inhalt­liche Ausrich­tung und perso­nelle Zusam­men­set­zung des Digital-Gipfels der Bundes­regie­rung kriti­siert. Wird die Wirt­schaft zu stark hofiert?
Von dpa /

Minister Habeck auf dem Digital-Gipfel Minister Habeck auf dem Digital-Gipfel
Bild: picture alliance/dpa
Vertreter der digi­talen Zivil­gesell­schaft haben die inhalt­liche Ausrich­tung und perso­nelle Zusam­men­set­zung des Digital-Gipfels der Bundes­regie­rung bemän­gelt. Chris­tian Humborg, Vorstand von Wiki­media Deutsch­land, sagte, für den Gipfel gelte, was sich allge­mein in der Digi­tal­politik der vergan­genen Jahre beob­achten lasse: "Viel zu oft stehen wirt­schaft­liche Inter­essen im Vorder­grund." Der Verein Wiki­media Deutsch­land unter­stützt ehren­amt­liche Autorinnen und Autoren des digi­talen Wissens­pro­jektes Wiki­pedia.

Neben Wiki­media Deutsch­land seien nur wenige zivil­gesell­schaft­liche Orga­nisa­tionen einge­laden worden, kriti­sierte Humborg. "Und beim Programm sind es noch düsterer aus." Digital- und Daten­politik dürfe nicht nur einigen wenigen nützen. Minister Habeck auf dem Digital-Gipfel Minister Habeck auf dem Digital-Gipfel
Bild: picture alliance/dpa

Vertreter aus der Wirt­schaft promi­nent vertreten

Markus Becke­dahl, Gründer der Online-Platt­form Netzpolitik.org, sagte, der Ampel-Koali­tions­ver­trag habe Hoff­nung gemacht, dass die Digi­tali­sie­rung endlich gesell­schaft­lich gestaltet werde. "In der Realität ist davon noch zu wenig sehen - der Digi­tal­gipfel zeigt das anschau­lich. Viele Vertreter aus der Wirt­schaft sitzen promi­nent auf den Bühnen des Gipfels. Eine enga­gierte digi­tale Zivil­gesell­schaft mit ihren Perspek­tiven darf am Katzen­tisch im Publikum zuschauen." Der Gipfel sei nicht zeit­gemäß, sagte Becke­dahl.

Auch der Chaos Computer Club beklagte sich: "Von CDU-Regie­rungen sind wir es bereits gewohnt, keine Einla­dung zum Digital-Gipfel zu erhalten - unter der Ampel hat sich entgegen unserer Hoff­nung daran nichts geän­dert", sagte Club-Spre­cher Linus Neumann. Im Programm des Gipfels falle auf, dass IT-Sicher­heit nur einmal in der Berufs­bezeich­nung eines Teil­neh­mers vorkomme. Im Programm selbst finde es keine Berück­sich­tigung.

Das zwei­tägige Treffen der Bundes­regie­rung beschäf­tigt sich in diesem Jahr schwer­punkt­mäßig mit den wirt­schaft­lichen und gesell­schaft­lichen Chancen der Auswer­tung großer Daten­bestände.

Bundes­regie­rung will Daten­aus­wer­tungen erleich­tern

Die Bundes­regie­rung will künftig mehr Daten besser verfügbar und nutzbar machen, um Inno­vati­ons­pro­jekte bei Start-ups, Unter­nehmen, aber auch der Wissen­schaft und Zivil­gesell­schaft zu ermög­lichen. Das kündigten Digital- und Verkehrs­minister Volker Wissing (FDP) und Wirt­schafts- und Klima­minister Robert Habeck heute auf dem Digital-Gipfel an. "Dafür werden wir den bestehenden Rechts­rahmen hand­habbar gestalten", sagte Wissing. Das trage dazu bei, dass Inno­vationen die nötigen recht­lichen Bedin­gungen schneller und einfa­cher erfüllten.

Wissing setzte sich für eine neue, offene Daten­kultur in Deutsch­land ein. "Denn Daten stehen im Mittel­punkt des digi­talen Wandels. Sie bestimmen Produk­tions­pro­zesse und Liefer­ketten genauso wie unseren Konsum und unsere Lebens­weise. Daten klug zu nutzen, ist ein Schlüssel zu Inno­vation und nach­hal­tigem Wachstum."

Habeck sagte, der Digital-Gipfel finde nicht im luft­leeren Raum statt: "Die großen Krisen und Heraus­for­derungen unserer Zeit sind alle auch digital: die Klima­krise, der Krieg in der Ukraine oder die Covid-19-Pandemie." Der Wett­bewerb um intel­ligente grüne Tech­nolo­gien habe längst begonnen, sagte Habeck. "Deut­sche Unter­nehmen sind hier sehr gut aufge­stellt und genießen einen exzel­lenten Ruf. Aber um wett­bewerbs­fähig zu bleiben, müssen wir besser werden im klugen Umgang mit digi­talen Daten. Daten­ver­füg­bar­keit ist die Bedin­gung für künf­tige Wett­bewerbs­fähig­keit."

Wissing und Habeck kündigten weiterhin für das kommende Jahr den Aufbau eines "Daten­insti­tuts" an. Es solle Daten­zugang und Daten­nut­zung erleich­tern. Bei der Grün­dung werde externer Sach­ver­stand aus Wirt­schaft, Wissen­schaft, Zivil­gesell­schaft und öffent­liche Verwal­tung einbe­zogen. "Das Daten­institut wird ein wich­tiger Baustein zur Stär­kung der Daten­öko­nomie sein, der Inno­vationen fördert und dem Gemein­wohl dient."

Das Institut soll zunächst drei Pilot­pro­jekte starten. Dabei geht es um die Auswer­tung von Daten zu "Long Covid", Mobi­lität in den Kommunen sowie zur Gaspreis­bremse.

Bitkom zum Digital-Gipfel der Bundes­regie­rung

Nach Ansicht des Digi­tal­ver­bands Bitkom muss mit dem dies­jäh­rigen Digi­tal­gipfel eine digi­tale Zeiten­wende in Deutsch­land beginnen. "Ein biss­chen Verän­derung hier, ein wenig dort und vor allem niemandem auf die Füße treten - so kommen wir nicht weiter. Wir müssen jetzt sehr schnell und sehr konse­quent Verwal­tungen und Unter­nehmen durch­digi­tali­sieren. Wir brau­chen eine digi­tale Zeiten­wende in Deutsch­land und müssen mehr Digi­tali­sie­rung wagen", sagte Bitkom-Präsi­dent Achim Berg auf dem Digital-Gipfel.

"Wir müssen raus aus der in Deutsch­land domi­nanten Risi­ko­per­spek­tive und rein in die Chan­cen­per­spek­tive. Wir brau­chen eine neue, offene Kultur des Daten­tei­lens und mehr Open Data in Deutsch­land", so Berg. Konkret forderte Berg, Daten gezielt einzu­setzen, um die großen gesell­schaft­lichen Aufgaben zu lösen. Digi­tali­sie­rung sei untrennbar mit Dekar­boni­sie­rung und dem Wandel der Demo­gra­phie verbunden.

Digi­tale Zeiten­wende bedeutet für Bitkom-Präsi­dent Berg auch, den Staat hand­lungs­fähig zu halten und digital funk­tions­fähig zu machen, dabei seien das Online-Zugangs­gesetz (OZG) 2.0 und die elek­tro­nische Iden­tität wich­tige Schritte. "Helfen würde auch, die mehr als 2000 Schrift­form­erfor­der­nisse in Deutsch­land komplett zu strei­chen", so Berg.

Update 16:10 Uhr: Scholz räumt Defi­zite ein

Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) räumte zum Abschluss des zwei­tägigen Digital-Gipfels in einem Gespräch mit der Premier­minis­terin von Estland, Kaja Kallas, Defi­zite bei der Internet-Infra­struktur und das Fehlen einer digi­talen Iden­tität in Deutsch­land ein. Aber trotz der Heraus­for­derungen durch Krisen wie dem Ukraine-Krieg werde in der Bundes­regie­rung hart und erfolg­reich daran gear­beitet, die Poten­ziale der Digi­tali­sie­rung zu erschließen.

Kallas riet Scholz, mit Vorrang eine eID einzu­richten, also digi­tale Iden­titäts­nach­weise für Bürger und Orga­nisa­tionen. Deutsch­land könne sich Digital-Projekte in Estland zum Vorbild nehmen. Estland gilt in Europa als Vorreiter der Digi­tali­sie­rung. Ende des Updates.

In den nächsten Monaten ist zu entscheiden, wie die für 2024 anste­hende Vergabe von Mobil­funk-Frequenzen gestaltet werden soll. Unser Gast­bei­trag von Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott ordnet zentrale Ideen der Bundes­netz­agentur und der Bundes­regie­rung für die Frequenz­ver­gabe ein.

Mehr zum Thema Bundesregierung