Graue Flecken

VATM kritisiert Brüsseler Förderungskompromiss

Durch viele Orte in Deutsch­land läuft eine Grenze, die über Sein oder Nicht­sein entscheidet: Die Aufgreif­schwelle. Die soll jetzt kompli­ziert über­wunden werden. Der VATM sieht stei­gende Kosten und Verzö­gerungen.
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Man stelle sich vor, es gibt einen Ort, wo auf der einen Stra­ßen­seite schnellstes Internet gebaut werden darf, auf der anderen Seite aber nicht. Das hängt mit der "Aufgreif­schwelle" der EU zusammen.

Gibt es in einem Ort schon Internet mit offi­ziell 30 MBit/s, dann darf dort nicht erneut "geför­dert ausge­baut" werden, weil das die Inves­titionen des bereits aktiven Anbie­ters "verderben" könnte. Nebenan ist die Versor­gung viel­leicht noch schlechter (offi­ziell unter 30 MBit/s), da darf geför­dert werden. In der Praxis sind die Kunden, die zu weit vom nächsten Verteiler sind, die dummen, weil die offi­ziell verfüg­baren 30 MBit/s dort gar nicht verfügbar sind. Ausbau ist aber auch nicht möglich.

Mitunter kann es passieren, dass das ausbau­ende Glas­faser-Unter­nehmen in solchen "Misch­gebieten", den nicht förder­fähigen Kunden eine Aufrüs­tung ihres Anschlusses gegen Aufpreis anbietet, was diese Kunden gerne nehmen, bevor sie abge­hängt bleiben. Sicher ist das nicht. Oft gibt es auch dann keinen schnel­leren Anschluss, wenn die Kunden den explizit haben (und bezahlen) wollen.

Die Branche spricht von "grauen Flecken", wo es "nur zu lang­sames Internet" gibt.

Brüs­seler Kompro­miss

Beim Wunsch nach Gigabit kommt es darauf an, wo genau man wohnt. Das soll überwunden werden, kann aber Kosten und Verwirrung steigern Beim Wunsch nach Gigabit kommt es darauf an, wo genau man wohnt. Das soll überwunden werden, kann aber Kosten und Verwirrung steigern
Foto: Picture-Alliance /dpa
Nun haben sich die Bundes­regie­rung und die EU-Kommis­sion über die "Noti­fizie­rung der Förde­rung von soge­nannten grauen Flecken" geei­nigt. Der „Zwei­stu­fen­plan“ weicht dabei deut­lich von allen bishe­rigen Konzepten ab. Er trägt einer­seits der neuer­dings gültigen 100-MBit/s-Aufgreif­schwelle Rech­nung, erlaubt aber ab 2023 die Förde­rung auch grund­sätz­lich in "besser" versorgten Gebieten. Mit der Geneh­migung durch die Kommis­sion wird zügig gerechnet.

VATM hat starke Bedenken

Der Verband der Anbieter von Tele­kom­muni­kations- und Mehr­wert­diensten (VATM), in dem wich­tige Mobil­funker und Netz­betreiber und Netzer­richter im Wett­bewerb zur Telekom zusam­men­geschlossen sind, sieht diese "Eini­gung" mit stark gemischten bis kriti­schen Gefühlen.

Nach endlosem Tauziehen mit Brüssel habe man sich auf einen Kompro­miss geei­nigt, der prin­zipiell überall gleich­zeitig in ganz Deutsch­land die Förde­rung auch in grauen Flecken erlaubt, also in Gebieten, die mit mehr als 30 MBit/s und in zahl­losen Einzel­fällen auch schon mit 100 MBit/s versorgt sind. Die EU hält bei der Grauen-Flecken-Förde­rung an der 100-MBit/s-Grenze fest – bis 2023.

Bis dahin kann überall ausge­baut werden, wo 100 MBit/s nicht sicher verfügbar sind. Das wird wohl in jeder Gemeinde der Fall sein, da die physi­kali­sche 100-MBit/s-Leis­tungs­grenze auch bei Vecto­ring bei nur wenigen 100 Metern vom Kabel­ver­zweiger liegen wird. Sprich, wer weiter weg ist, bekommt diese Geschwin­dig­keit in Wirk­lich­keit nicht.

Aber auch dort, wo bereits 100 MBit/s "verfügbar" sind, dürfen alle "sozio­öko­nomi­schen Treiber" – eine Wort­schöp­fung aus Brüssel – mit einzelnen extrem teuren Leitungen sofort mit Förde­rung auf Gigabit aufge­rüstet werden. Dazu gehören Schulen, Verwal­tung (Rathaus), aber auch alle Kleinst­unter­nehmen, Selbst­stän­dige bis hin zu unzäh­ligen Verkehrs­kno­ten­punkten.

Wer kriegt was?

Alles klar? Die Schule bekommt das schnelle Internet, der Nachbar mit schul­pflich­tigen Kindern daneben aber mögli­cher­weise nicht. Hat er (viel­leicht nebenbei noch) eine kleine Firma, bekommt er es aber doch. Die Folge ist klar: Der Ausbau wird unend­lich kompli­ziert und extra teuer.

Für den VATM sind das "Verschwen­dung von Steu­ermil­liarden" und ein solcher Ausbau verzö­gert sich durch "tief­bau­res­sour­cen­fres­sende Einzel­bau­maß­nahmen", was die Kosten am Ende nach oben treiben würde.

Abso­lutes Förder­chaos

Wenn nur ein Teil der 10 000 Kommunen ohne jede sinn­volle Struk­turie­rung in die Förde­rung geht, erwartet der VATM "ein abso­lutes Förder­chaos". Auf eine sinn­volle Prio­risie­rung, die auch Brüssel als Alter­native zur 100-MBit/s-Aufgreif­schwelle hätte akzep­tieren können, wollte man sich nicht verstän­digen. Die Idee des VATM: "Beson­ders gut versorgte etwas später – schlecht versorgte etwas früher ausbauen".

Aber: "Niemand wollte auf das sofor­tige Anzapfen neuer Förder­töpfe verzichten". Genau das habe Brüssel nicht tole­riert und an der Aufgreif­schwelle formal fest­gehalten, vorher­sehbar "sozio­öko­nomisch durch­löchert" und dies auch nur bis 2023 – dann heißt es in Deutsch­land "Fördern ohne jeden Plan und ohne jede Struktur".

Eigen­wirt­schaft­licher Ausbau?

Bei so viel Förde­rung werde es eng für den eigen­wirt­schaft­lichen Ausbau, der sinn­voll für ein Gebiet oder eine Gemeinde geplant, effi­zient und so schnell wie noch nie und bereits am Limit der verfüg­baren Tief­bau­kapa­zitäten arbeite.

Mit dem neuen Förder­pro­gramm würde man nach dem "Vecto­ring-Fehler" einen weiteren machen und versu­chen, den selbst verschul­deten Rück­stand mit Geld aufzu­holen, ohne dass die notwen­digen Bauka­pazi­täten bis 2025 bereit­stünden. Einen Grund für diese Panik­reak­tion gebe es nicht, denn bei der Gigabit-Versor­gung würde Deutsch­land am Ende des Jahres mit 62 Prozent sogar im EU-Vergleich gut abschneiden.

Deutsch­land hole gut auf und liege unter den besten Fünf euro­paweit. Flächen­deckend bis 2025 sei kaum zu schaffen, das wüssten Bürger und Wirt­schaft längst.

Vorrang für eigen­wirt­schaft­lichen Ausbau

Der VATM plädiert für eigen­wirt­schaft­lichen Ausbau, das heißt, inter­essierte Unter­nehmen sollen ohne Förder­mittel bauen dürfen. Sonst müssten "viele Tausend Bürger­meister nun mit aufwen­digen Markt­erkun­dungs­ver­fahren die Förde­rung einleiten und wenn Unter­nehmen keine Förde­rung brau­chen und wollen, müssen sie sich dennoch zwin­gend in tausenden Verfahren aktiv gegen eine Förde­rung zur Wehr setzen – eine welt­weit gera­dezu absurde Situa­tion."

Der Brüs­seler Kompro­miss sehe vor, dass nur dort gebaut werden soll, wo es Brüssel erlaubt – ein Konzept sei das genau nicht. Gebiete, die gerade erst mit Vecto­ring ausge­baut wurden, solle man erst mal nicht mehr anfassen, sondern dahin gehen, wo es noch gar nichts oder extrem schlechtes Netz gibt.

Für das Riesen­pro­jekt ganz Deutsch­land von 100 MBit/s auf Gigabit zu bringen, werde eine Struktur und einen Plan für die nächsten zehn Jahre gebraucht.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Die aktu­elle Lage, dass in einem Ort eine Zwei­klas­sen­gesell­schaft besteht, weil eine Straße wenige MBit/s und die nächste Straße FTTH-Geschwin­dig­keit bekommt, ist frus­trie­rend. Nun einfach den gesamten Ort mit Glas­faser komplett auszu­bauen, würde dem Unter­nehmen, das gerade erst FTTC (Vecto­ring) aufge­baut hat, das Geschäft verderben. Warum man dann nicht genau diesem Unter­nehmen "helfen" kann, gleich mit FTTH weiter­zubauen? Das wäre dann vermut­lich die Telekom und das wäre der privaten Konkur­renz logi­scher­weise bestimmt nicht recht.

Die Telekom argu­men­tiert - nicht zu Unrecht - ähnlich. Man sollte doch erst mal die Gebiete ausbauen, wo es gar nichts oder nur extrem schlechtes Netz gibt. Und den Neuausbau plant die Telekom gleich komplett in Glas­faser, was den Mitbe­wer­bern auch unheim­lich wäre, wenn die Telekom danach ihre nicht mehr gebrauchten Kupfer­lei­tungen abschalten wollte.

Überall Glas­faser bis ins Haus

Schon vor Jahren hatten VATM, BREKO, Buglas und andere gefor­dert, gleich und jetzt von vorn­herein Deutsch­land komplett mit Glas­faser bis ins Haus/Wohnung auszu­statten. Die Telekom hielt damals dagegen, dass das so schnell gar nicht ginge und die Kunden noch länger auf eini­ger­maßen schnelles Internet warten müssten.

Brau­chen wir eine Förde­rung?

Was schwer verständ­lich ist: Erst heißt es, der Ausbau lohnt sich nicht, wir brau­chen Förde­rung. Dann kommen Unter­nehmen und sagen, "wir bekommen das eigen­wirt­schaft­lich" hin, wenn 40 Prozent oder mehr einen Anschluss bestellen. Oft hat das geklappt, oft aber auch nicht. Stecken­geblie­bene Ausbau­pro­jekte von Firmen, die sich über­nommen hatten und vom Markt verschwanden, gibt es immer wieder. Örtliche Bürger­meister und Anwohner vor die Wahl zwischen Telekom und einem neuen unbe­kannten Anbieter gestellt, entscheiden sich gerne für die Telekom, "da weiß man, was man hat".

Echter Wett­bewerb (der einzelne Kunde kann wählen, ob er seine Leitung ins Haus von Anbieter A oder B nehmen will) ist kaum machbar, weil sich paral­lele Netze kaum rechnen können, denn Netze müssen auch ausge­lastet werden. Der ulti­mative Zwang zur Öffnung bereits verlegter Netze für andere Anbieter schei­tert oft an den Kosten­vor­stel­lungen. Das ist alles selbst für Kenner schwer verständ­lich und undurch­schaubar.

Der Kunde wartet indes verzwei­felt auf besseres Netz oder zieht woan­ders hin. Der Kunde muss auch wissen: Schnellste Glas­faser für nicht mehr als 20 Euro im Monat, was viele Kunden als preis­liche Ober­grenze erhoffen, wird ein Wunsch­traum bleiben.

Wer sich einen inter­essanten Kombi­tarif aus Mobil­funk und Fest­netz wie den neuen MagentaEINS Plus gönnen will, sollte vorher die Preise genau studieren.

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