Bewertung: Tim Höttges zu Marktkritik und Überregulierung
Bewertung der Aussagen von Tim Höttges
picture alliance/dpa
Telekom-Chef Tim Höttges kritisiert die Strukturen im deutschen Telekommunikations-Markt und die angebliche Überregulierung. Er "droht" mit der Verlagerung von Investitionen in lukrativere nationale Märkte, insbesondere in die USA. Das ist zunächst verständlich, da die Telekom in den USA mit T-Mobile US (TMUS) Marktführer werden und bleiben möchte. Die Renditen sind hier enorm viel größer als in Europa, insbesondere wenn es um das leidige Thema eines zu geringen Glasfaserinvestments in Deutschland geht. Und die Telekom investiert ohnehin bereits viel mehr in den USA als in Deutschland. Was also bewegt Höttges zum jetzigen Zeitpunkt die Gemüter der Politiker mit vagen, aber genug deutlichen Drohungen?
Bewertung der Aussagen von Tim Höttges
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Im deutschen Mobilfunkmarkt ist die Telekom bereits umsatzbezogener Marktführer. Die Regulierung im Mobilfunkmarkt kommt vornehmlich von der EU und betrifft alle Mobilfunknetzbetreiber. Und ja, manche dieser Regelungen, wie z.B. das EU-Roaming, entspringen dem Verbraucherschutz und belasten die Rendite der Unternehmen. Dies und anderes an Regulierung zu kritisieren, mag durchaus renditegetriebenen Unternehmen immanent sein, wird sich aber sicher nicht ändern lassen. Der eigentliche Wink mit dem Zaunpfahl an die Politik ist sicherlich die Sorge vor erweiterten Zugangsrechten Dritter auf die Netze der Netzbetreiber. Geschenkt - denn die Diskussion ist nicht neu und die Karten der Forderer und Verweigerer liegen längst mit allen Drohungen auf dem Tisch.
Andere Situation im Festnetzmarkt
Im Festnetzmarkt ist die Situation eine andere: Die Telekom ist auch 25 Jahre nach der vollständigen Marktliberalisierung das einzige Unternehmen mit wirklich flächendeckenden TK-Netzstrukturen, an denen keine andere Telco vorbeikommt. Fast jedes Wettbewerbsunternehmen ist bis heute Kunde bei der Telekom und bezieht Infrastruktur- oder Transportleistungen. Genau hier erwirtschaftet die Telekom aber bis heute Megarenditen und ist das einzige Unternehmen, das auch beim Glasfaserausbau dank dieser hohen Marge beim alten Kupfernetz - nämlich Vectoring Anschlüssen - auf hohe Auslastungszahlen auf den neuen Netzen verzichten kann. Jahrelang hat sie sogar auf den gesamten Ausbau mehr oder weniger ganz verzichtet und es vorgezogen, günstiger und investitionsschonender nur die Kabelverzweiger mit Vectoring-Technologie nachzurüsten, um so Kapital für die Investitionen in den USA einzusparen. Doch die hoch gesteckten - absolut Politik- und Wettbewerbsgetriebenen - Ziele von Anfang 2023, in denen noch 8 Mio. FTTB/H-Anschlüsse bis Ende 2023 versprochen wurden (+2,8 Mio.), wurden nicht erreicht - nur 1 Mio. Anschlüsse wurden im ersten Halbjahr gebaut, sodass bis Ende 2023 wohl nur zwei Drittel der geplanten Anschlüsse neu gebaut werden.
Andreas Walter
Bild: Dialog Consult GmbH
Sonderlich ernst meint es die Telekom bis heute nicht, denn nur so lässt sich erklären, dass sie diese so schlecht verkauft. Von den 6,2 Mio. FTTH-Anschlüssen, die die Telekom bis Mitte 2023 gebaut hatte (Homes passed), wurden nur 833.000 gebucht - das ergibt eine Take-up-Rate von gerade mal 13,4 Prozent. Die TK-Wettbewerber müssen sich deutlich mehr Mühe geben und verdienen mit über einem Drittel (33,7 Prozent) ihrer FTTB/H-Anschlüsse Geld. Wenn es aber nicht an den Milliarden Überrenditen im traditionellen DSL-Markt liegt, die Telekom schlechter als jedes kleine Stadtwerk vermarktet, und der Glasfaserausbau in Deutschland lästig ist und deutlich weniger Marge abwirft als das USA-Geschäft, dann wird die Stoßrichtung der Attacke schon etwas deutlicher. Die Telekom wird weniger bauen als versprochen. Und sie will vom eigentlichen Problem ablenken - dem steigenden Risiko ihrer hohen Investitionen in den USA. Wenn dann auch noch mit strategischem Überbau andere Investoren aus dem Land gedrängt werden, sollten bei der Politik die Alarmzeichen angehen.
Zur Person
Andreas Walter ist geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsinstituts Dialog Consult GmbH. Er besitzt über 25jährige Erfahrung mit Marktanalysen in Telekommunikations- und Medienmärkten. Außerdem hat er Lehraufträge an der Hamburg Media School und der Hochschule Rhein-Main.