Terror-Tweets

Soziale Medien informieren bruchstückhaft und ungeprüft

Soziale Netzwerke sind schneller, aber Nachrichtenredaktionen haben keine andere Wahl: Sie müssen Informationen überprüfen und verifizieren.
Von Marie-Anne Winter mit Material von dpa

Professor Volker Lilienthal erklärt, warum seriöse Nachrichtenmedien den sozialen Netzwerken nicht hinter her hecheln sollten. Professor Volker Lilienthal erklärt, warum seriöse Nachrichtenmedien den sozialen Netzwerken nicht hinter her hecheln sollten.
Bild: dpa
Tausende von Tweets, tausende von Posts auf Facebook: Soziale Netzwerke setzen TV-Nachrichtenredaktionen wie im Fall des Amoklaufs in München regelmäßig unter Druck. "Soziale Medien informieren aber immer bruchstückhaft und nicht verifiziert", sagte der Professor für Praxis des Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, Volker Lilienthal, der Deutschen Presse-Agentur. "Traditionelle Medien müssen erst den Rahmen herstellen und sind in der Berichterstattung immer etwas hinterher." Aus Lilienthals Perspektive haben sie keine Alternative: "Sie müssen Informationen verifizieren und können nichts ungeprüft herausposaunen."

Claus Kleber, Moderator des heute-journals im ZDF habe das Problem treffend beschrieben, sagte Lilienthal. Kleber hatte seine "Gedanken über seriöse Nachrichten in erschütternden Zeiten" nach der Kritik an den Fernsehberichterstattung über den Putsch in der Türkei für die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Der Text erschien erst am Samstag nach dem Amoklauf in München, war aber schon fertig, bevor dort die ersten Schüsse fielen. Der Moderator konterte die Kritik, die Fernsehsender seien zu spät in die Berichterstattung eingestiegen: "Bitte glauben Sie mir: Ich weiß, wie wichtig es ist, schnell auf Sendung zu gehen und zu bleiben."

Hinter den Kulissen

Professor Volker Lilienthal erklärt, warum seriöse Nachrichtenmedien den sozialen Netzwerken nicht hinter her hecheln sollten. Professor Volker Lilienthal erklärt, warum seriöse Nachrichtenmedien den sozialen Netzwerken nicht hinter her hecheln sollten.
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An solchen Tagen tobe hinter den Kulissen die Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen um das Gesamtprogramm. Von dort gebe es immer kritische Fragen: "Wie wichtig ist das Ereignis überhaupt? Was wissen wir sicher? Was habt ihr an Programm zu bieten?" Kleber betont den Druck, schnell umfassend zu berichten: Es gebe kaum noch Ereignisse, die der Welt nicht sofort Bilder lieferten. Schließlich hat heute fast jeder ein Smartphone mit einer Kamera und mobilem Internetzugang.

"Zuschauer haben sich an dieses Tempo gewöhnt und verlangen jetzt im Ungewohnten das Gewohnte: Erklärung und Einordnung des Geschehens. Aber sofort."

Nach dem Amoklauf in München haben die Fernsehsender diesmal vergleichsweise schnell reagiert. ARD, ZDF und RTL entschieden sich außerdem für weitreichende Programmänderungen. Im Ersten verlängerte sich die Tagesschau auf 75 Minuten inklusive Live-Schalten nach München. Gleich danach schloss sich Thomas Roth mit den Tagesthemen an und moderierte mehr als drei Stunden durch.

Hinterher ist man immer klüger

Möglicherweise sei das ein Reflex auf die Kritik in der Woche davor gewesen, nach dem Motto "Wir wollen den Vorwurf "Ihr wart nicht schnell genug" nicht noch einmal hören", sagte Lilienthal. "Und diesmal passierte es in München, wo der Bayerische Rundfunk eine gute Infrastruktur und das ZDF ein großes Studio hat." Damit sei klar gewesen, dass die Sender anders in die Berichterstattung hätten einsteigen müssen als beim Putsch in der Türkei.

Kritik an der Fernsehberichterstattung gab es auch diesmal - wegen der Schwierigkeit, tatsächlich schnell immer wieder neue fundierte Nachrichten zu liefern, während ein Gerücht das andere jagte. "In München hätte vielleicht zunächst ein Schriftband im laufenden Programm genügt", sagte Lilienthal. "Aber das sagt man hinterher. In der Retrospektive ist man immer klüger."

Nicht vergessen sollte man auch einen weiteren Aspekt: Nicht nur die Polizei, auch Medienexperten kritisierten die zahlreichen Falschmeldungen, die gerade auch zu den Ereignissen in München auf Twitter und Facebook kursierten. Dort wurden Bilder gepostet, die überhaupt nichts mit dem Amoklauf zu tun hatten, um Aufmerksamkeit zu erheischen und zusätzlich Panik zu verbreiten. Unter anderem dazu gibt es auch ein Interview mit dem Sicherheitsexperten Joachim Krause im Deutschlandfunk, in dem er den Medien zu mehr Gelassenheit im Umgang mit den sich überschlagenden Gerüchten in den sozialen Netzwerken rät. Da sei eine "Menge Müll mit dabei" und Fehlinformationen von Leuten, die sich daraus noch einen Spaß machen würden.

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