Editorial: Gebe Daten, bekomme Kredit
Die Schufa: Fast jeder kennt den Begriff, was die genau tun und wissen, ist weniger bekannt.
Foto: Picture Alliance / dpa
Mobilfunkverkäufer können ein Lied davon singen: Diejenigen mit dem
größten Interesse an hochwertigen Smartphones sind leider auch diejenigen
mit der niedrigsten Bonität. Grund dafür ist die nicht gerade kleine
Gruppe der mehr oder weniger Shopping-Süchtigen, für die es immer das
Beste sein muss, und zwar hier, sofort und gleich. Auf dem Konto
herrscht dann natürlich dauernd Ebbe.
Jeder zehnte Deutsche gilt als überschuldet, kann also seine Verpflichtungen nicht oder zumindest nicht mehr regelmäßig bezahlen. Für die Mobilfunk- und Festnetz-Anbieter ist das gleichermaßen ein Riesenproblem, da sich die Zahlungsausfälle auf Milliardenbeträge aufsummieren. Die Qualität der Bonitätsprüfung bei Vertragsabschluss entscheidet daher - möglicherweise sogar noch vor der Netzqualität - über den wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg eines Anbieters. Denn ist man bei der Bonitätsprüfung zu lasch, macht man zwar viele Vertragsabschlüsse, hat aber einige Monate später dann auch viele offene Rechnungen. Ist man bei der Bonitätsprüfung hingegen zu streng, schickt man die Kunden direkt zur Konkurrenz.
Detaillierter Blick ins Konto
Die Schufa: Fast jeder kennt den Begriff, was die genau tun und wissen, ist weniger bekannt.
Foto: Picture Alliance / dpa
Seit gut zwei Jahren erlaubt die europäische Zahlungsdiensterichtlinie,
dass Zahlungsdienstleister - nach entsprechender Autorisierung durch
einen Kunden - einen direkten "Blick" in das jeweilige Konto werfen
dürfen. Das Ziel dieser Richtlinie ist es, den Informationsvorsprung
der Hausbanken vor unabhängigen Kreditgebern zu beseitigen. Denn die
Banken nutzen die Daten zu regelmäßigen Geldeingängen, laufenden
Belastungen und dem allgemeinen Zahlungsverhalten, um detaillierte
Entscheidungen zu treffen, welchem ihrer Kunden sie einen wie hohen
Dispositionskredit gewähren. Dritte haben diese Daten hingegen nicht
und müssen entsprechend vorsichtiger kalkulieren, was entsprechend
höhere Zinssätze für die Verbraucher zur Folge hat. Der Einblick
in fremde Konten dient also der Liberalisierung des Kreditmarktes.
Wer schon einmal einen Immobilienkredit beantragt hat, der weiß, dass man sich dafür in der Regel vor der Bank "finanziell nackig" machen muss und in einer Selbstauskunft detailliert sein Einkommen, seine regelmäßigen Ausgaben und sein weiteres Vermögen darlegen muss. Nun ist eine Immobilienfinanzierung ein derartig umfangreiches Geschäft, dass es bei diesem der Aufwand für die detaillierte manuelle Bonitätsprüfung durchaus gerechtfertigt ist. Bei einem Handyvertrag wäre es hingegen Overkill, mit den letzten drei Gehaltsabrechnungen und den Kontoauszügen der letzten Monate zum Verkäufer zu gehen und dann alles detailliert prüfen zu lassen.
Das ändert freilich nichts daran, dass Bonitätsprüfer wie die Schufa dennoch gerne genau diese detaillierte Prüfung vornehmen würde, und die zitierte Zahlungsdiensterichtlinie der Schufa grundsätzlich das Recht einräumt, sich vom Kunden zu ebendieser Prüfung per automatisiertem elektronischen "Blick" in das Konto autorisieren zu lassen. o2 und die Schufa hatten jüngst einen entsprechenden Versuchsballon gestartet, haben aber nach der daraus sofort entsprungenen Datenschutzdiskussion erstmal einen Rückzieher gemacht.
Politische Lösung nötig
Klar ist: Das Thema ist damit nicht vom Tisch. Die entsprechenden Daten über die Kontobewegungen sind bei den Banken gespeichert und die EU-Zahlungsdiensterichtlinie erlaubt grundsätzlich - nach Autorisierung durch den Kunden und zu Zwecken der Bonitätsprüfung - die Nutzung. Da werden Schufa, Infoscore, Bürgel und Co. nicht dauerhaft verzichten. Selbst, wenn der Kontoeinblick beim Mobilfunk-Vertragsabschluss jetzt erstmal vom Tisch ist, er wird bei anderen größeren Finanzierungen - beispielsweise dem Ratenkauf eines neuen Autos - künftig immer öfters verlangt werden.
Schlimmer noch: Die bei den größeren Finanzierungen aus dem Kontoblick gewonnenen Daten werden dann sicher auch bei den kleinen Geschäften genutzt werden. Beispiel: Bei der Schufa wird der Ratenzahlungskauf einer neuen Küche für insgesamt 10 000 Euro angefragt. Die Schufa lässt sich den Blick ins Konto autorisieren und ermittelt dann aufgrund der Gehaltseingänge und der Ausgabenstruktur einen Kreditrahmen von bis zu 15 000 Euro. Die nach dem Kauf der Küche verbleibenden 5 000 Euro können verwendet werden, um kurze Zeit später einen Handyvertrag (zwei Jahre Laufzeit bei 89 Euro monatlich = 2 136 Euro insgesamt) und eine Kreditkarte (Kreditrahmen: 2 500 Euro) auch ohne erneuten "Kontoblick" zu autorisieren.
Ohne Eingreifen der Politik führen die Verbraucher hier jedenfalls eine Abwehrschlacht, die sie nicht gewinnen werden können. Parteien, denen die Verbraucher am Herzen liegen, sollten daher überlegen, ob sie zu Gunsten der Verbraucher die Abfrage der Kontobewegungen doch wieder verbieten, was freilich auf Ebene der EU erfolgen müsste, oder zumindest den Verbrauchern zum Ausgleich einen anderen Vorteil gewähren. So könnte beispielsweise der Wohlverhaltenszeitraum verkürzt werden, nach dem überschuldete Verbraucher bei einer Privatinsolvenz die Restschuldbefreiung erhalten. Der Gedanke dahinter: Die Auskunfteien nutzen die zusätzlichen Informationen aus der Kontoabfrage, um in möglichst vielen Zweifelsfällen doch noch eine positive Kreditentscheidung treffen zu können. Die Gefahr für die Verbraucher, sich durch übermäßige Ausgaben in Zahlungsnöte zu bringen, steigt daher weiter an. Entsprechend sollte es künftig auch einfacher möglich sein, sich aus der Misere wieder zu befreien.