Editorial: Verkaufsförderung für VPNs
Netzsperre in Thailand beim Aufruf einer Pornoseite. Das Land ist zwar sexuell recht freizügig - Pornografie ist aber generell verboten, nicht nur für unter-18-Jährige.
Screenshot: teltarif.de
Öffentliche Aufgaben sind oft widersprüchlich. Auf der einen Seite
muss der Staat Kinder und Jugendliche über Sexualität aufklären. Dazu
gehört auch der umstrittene Sexualkundeunterricht in der Schule, bei dem,
je nach Bundesland und Lehrkraft, durchaus explizites Anschauungsmaterial
verwendet wird. Auf der anderen Seite will der Staat Heranwachsende aber
auch vor übermäßiger Sexualisierung schützen. Dazu hat sich - nicht nur
in Deutschland - die Regel herauskristallisiert, Kinder und Jugendliche
unter 18 vor Pornografie und ihrem doch
meist recht einseitigen voyeuristischen Blick auf die Sexualität zu
schützen. Auch bestimmte Lokale dürfen erst ab 18 aufgesucht
werden. In anderen Ländern liegt die Altersgrenze teils noch höher,
oder Pornografie ist gar ganz verboten.
Auf der anderen Seite gibt es im Internet eine gewaltige Pornoflut. Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen Sites sind voll mit sexuell eindeutigen Bildern und Videos. Jeder Versuch, zu verhindern, dass 17-jährige Jugendliche das finden, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wer das nicht anerkennt, der versteht nicht, wie das Internet funktioniert. Es ist nun mal kein zentral administriertes Netz, sondern ein recht loser Verbund von Milliarden Computern und Smartphones. Für jeden Server, den man irgendwo abschaltet oder sperrt, tauchen woanders sofort zwei neue auf, die die soeben neu geschaffene Marktlücke nutzen.
Prohibition funktioniert schon bei Drogen nicht
Netzsperre in Thailand beim Aufruf einer Pornoseite. Das Land ist zwar sexuell recht freizügig - Pornografie ist aber generell verboten, nicht nur für unter-18-Jährige.
Screenshot: teltarif.de
Bei der Drogenprävention hat sich bei der Mehrheit der Regierungen in
Europa inzwischen die Erkenntnis durchgesetzt, dass Prohibition nicht
funktioniert. Sie fördert lediglich die Entstehung von
Parallelgesellschaften, in denen die Drogen trotzdem verfügbar sind,
die Gesetze der Hauptgesellschaft hingegen nichts mehr zählen. Sammelt
man an einem Tag alle Dealer aus dem Stadtpark ein, stehen spätestens
zwei Tage später dort neue Dealer, die sich lediglich besser tarnen
als die alten. Gleichzeitig laufen die Krankenhäuser voll mit Süchtigen
mit Überdosis, weil sie beim neuen Dealer Stoff erwischt haben, der
weniger gestreckt ist, oder sie was Neues probieren mussten, weil ihr
neuer Dealer ihr übliches Rauschgift nicht hatte.
Alkohol ist allen Gefahren zum Trotz in Europa fast überall legal. In Deutschland dürfen (in Gegenwart der Eltern) in Gaststätten Bier und Wein schon ab einem Alter von 14 Jahren serviert werden. Die Idee dahinter ist klar: Lieber Jugendliche langsam in kontrollierter Umgebung an Alkohol gewöhnen, als alles verbieten - und dann riskieren, dass sie ihre ersten Alkoholerfahrungen gleich mit hartem Schnaps machen, weil sich ein Flachmann nun mal leichter aus dem Supermarkt schmuggeln lässt als eine Flasche Bier.
Inzwischen reift in der Politik auch die Erkenntnis, dass zwei legale harte Drogen, von denen auch noch eine zunehmend in der Öffentlichkeit geächtet ist, der Bevölkerung nicht ausreichen. Die neue Regierung möchte daher Cannabis legalisieren. Zwar schädigt Cannabis nachweislich das Gehirn und kann zu Psychosen führen. Aber eine Legalisierung durchbricht einige gefährliche Teufelskreise, die sonst Abhängige immer tiefer hineinziehen. Einer davon ist, dass Abhängige oft Drogen nehmen, um zu vergessen, dass sie gerade was Illegales tun. Ein anderer ist, dass auf dem Schwarzmarkt der Stoff meist von schwankender Qualität und oft verschnitten ist. Das führt zu Überdosierungen und zur Gewöhnung an neue Substanzen.
Mit der Cannabis-Legalisierung wird die Zahl der Konsumenten wahrscheinlich zunehmen. Die Hoffnung ist aber, die Zahl der schwer Abhängigen reduzieren zu können. Und wenn ein Teil der jungen Erwachsenen künftig beim Cannabis hängenbleibt, statt mit immer härteren Stoffen zu experimentieren, dann ist durch die Legalisierung wirklich etwas für die Gesamtgesellschaft gewonnen.
Prohibition funktioniert auch bei Porno nicht
Ich bin in der Diskussion in den vorhergehenden Absätzen auf das Thema "Drogen" ausgewichen, weil dieses in der Gesellschaft wohl inzwischen etwas rationaler diskutiert wird als "Porno". Denn die Parallelen zwischen beiden Themen sind zahlreich. Insbesondere: Wer Jugendlichen den Zugang zu Pornos verbieten will, dem muss klar sein, dass er das in den allerwenigsten Fällen schaffen wird. Er riskiert aber, dass die Jugendlichen sich die Pornos dann künftig beim "Dealer" im Darknet holen - und dass sie dort dann auch Filme finden, von denen man aus sehr gutem Grund nun wirklich nicht will, dass sie diese schauen.
Von daher stellt sich die Frage, warum die Landesanstalt für Medien (kurz LfM) von Nordrhein-Westfalen nun plötzlich nach Jahrzehnten des Stillhaltens gegenüber Internet-Pornoportalen sich nun doch am Kampf gegen Windmühlen versucht. Zwar ist die Sache juristisch eindeutig: 99 Prozent aller Internet-Pornoportale verstoßen gegen die deutschen Jugendschutzgesetze und daher dürfen (und müssten nach aktueller Rechtslage sogar) diese Portale grundsätzlich bei deutschen Provider gesperrt werden. Doch erreicht man damit eben real selbst im besten Fall genau nichts, weil die Jugendlichen einfach auf das nächste Portal mit legaler Erwachsenenpornografie ausweichen. Im ungünstigeren Fall erreicht man, dass die Jugendlichen lernen, dem Staat und seinen Regeln auf der Nase herumzutanzen, beispielsweise, indem sie ein VPN installieren oder sich die Filme vom großen Bruder herunterladen lassen und/oder diese dann per USB-Stick oder WiFi-Sharing auf dem Schulhof tauschen. Im schlimmsten Fall landen die Jugendlichen dann auf den bereits erwähnten Portalen im Darknet und den wirklich schlimmen Filmen dort.
Legalisierung statt Prohibition!
Den aktuellen gesetzeslosen Zustand zu belassen, dass Pornos für Jugendliche verboten sind, sie aber jeder im Internet ohne wirksame Alterskontrolle finden kann, ist andererseits auch nicht richtig. Wenn der Staat schon Gesetze macht, dann muss er sie auch durchsetzen. Und das ist beim Thema Porno grundsätzlich auch nötig. Pornosucht ist für die Betroffenen ein echtes Problem, das meist zu sozialer Isolation führt. Je früher der Pornokonsum beginnt, und je gewalttätiger, härter und reizüberflutender die Pornoseiten sind, die genutzt werden, desto höher ist die Gefahr der Pornosucht.
Und gerade auf den kostenlosen Pornoportalen, die zuhauf im Internet ohne Altersverifikation erreichbar sind, befindet sich viel qualitativ minderwertiger zusammengeschnittener Schund, der es wirklich nur auf den "schnellen Kick" anlegt. Mit anderen Worten: Die Pornoportale, bei denen die Suchtgefahr am höchsten ist, sind die, die für Jugendliche am leichtesten erreichbar sind.
Es gibt auch viele respektvollere Pornoseiten, in deren Videos die Darsteller nicht zu Pornopuppen reduziert werden, sondern wo diese weiterhin als Menschen gezeigt werden - inklusive ihrer Gefühle, ihrer gefühlsmäßigen Höhen und Tiefen während des Akts. Solche Filme sind sicher viel besser geeignet, die Neugier von Jugendlichen zu befriedigen, denen ein paar Skizzen im Biologiebuch nicht ausreichen, ohne gleich eine Sucht oder frauenverachtende Denkprozesse auszulösen. Nur: Die genannten respektvolleren Seiten befinden sich fast alle hinter einer Paywall mit wirksamer Altersverifikation. Und man findet sie meist nur dann bei Google, wenn man gezielt nach Alternativen zu billigen Mainstream-Pornos sucht.
Jugendlichen erlaubt man mit 16 Jahren, ihr eigenes Bier im Supermarkt zu kaufen, auch ohne die Eltern und in Mengen, die für einen ordentlichen Rausch reichen. Ebenso ist 16 das allgemeine Schutzalter, ab dem Jugendliche auch mit Menschen über 21 Jahren Sex haben dürfen, ohne, dass besondere Schutzregelungen greifen. Wenn aber dieselben Jugendlichen ein Video vom Sex von zwei Erwachsenen herunterladen und anschauen wollen - was ja ein viel weniger einschneidendes Erlebnis ist, als selber Sex zu haben! - dann wird ihnen das verwehrt. Und ja, die sozialen Folgen und die Gefahren von Alkoholsucht sind deutlich höher als die von Pornosucht.
Das Pornoproblem bei Jugendlichen löst man also nicht mit der Verbotskeule. Besser, man gibt gezielt maßvollen Konsum einfühlsamer, aber trotzdem echter pornografischer Filme (angedeutete Bildergeschichten wie bei "Dr. Sommer" früher in der "Bravo" reichen definitiv nicht aus!) auch schon ab einem geeigneten Alter unter 18 Jahren frei. Diese Filme müsste man dann von einer geeigneten Stelle produzieren (oder zumindest aus dem reichlich vorhandenen Angebot auswählen) lassen und anschließend auch verbreiten.
Das wird aber in Deutschland (und auch in anderen Ländern) so schnell nicht passieren. Denn, wie schon geschrieben: Über Porno kann man noch weniger rational diskutieren als über Drogen.